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Pro&Contra: Anpassungen beim Industriestrompreis ermöglichen!

Ist der Industriestrompreis der richtige Weg? Die steigenden Strompreise sind nur eine der vielen Herausforderungen für die deutsche Industrie. Aber wie lassen sich der Industriestandort sichern und gleichzeitig erneuerbare Energien fördern, ohne dabei mehr Bürokratie auf den Weg zu bringen? Michael Hüther will sich dem Thema nähern und überlegt, welche Anreize es braucht.

Subventionen sind ordnungspolitisch Teufelszeug – sie sind grundsätzlich von der Vergangenheits-Zukunfts-Asymmetrie regierungsamtlichen Wissens geprägt und wirken deshalb eher strukturkonservierend als innovativ strukturbildend. Dennoch weist der Bundeshaushalt umfangreiche Subventionen aus. Laut dem 28. Subventionsbericht stiegen Finanzhilfen und Steuervergünstigungen des Bundes von 24,6 Mrd. Euro im Jahr 2019 auf 47,2 Mrd. Euro im Jahr 2022. Von den 42 neuen Finanzhilfen waren die bedeutendsten die Bundesförderung für effiziente Gebäude, die Zuschüsse für die Anschaffung von Nutzfahrzeugen und Bussen mit alternativen, klimaschonenden Antrieben. Dennoch gilt: „Neue Subventionen dienen zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und zur Umsetzung zentraler politischer Kernanliegen, vor allem in den Bereichen Klimaschutz, Mobilität, Digitalisierung und Wohnungsbau“, so heißt es regierungsamtlich in dem Bericht.

Aus ordnungspolitischer Sicht sind strenge Maßstäbe zu erfüllen: So sollten Subventionen allenfalls ausnahmsweise als vorübergehende Anpassungshilfe, jedenfalls nicht zur Erhaltung von Wirtschaftsstrukturen gegeben werden und sollten möglichst Impulse für Neues setzen. Nun befindet sich die deutsche Volkswirtschaft in einer ungewöhnlichen Lage. Die per Gesetz für das Jahr 2045 verordnete Klimaneutralität von Produktion und Konsum erfordert klare Rahmensetzungen durch den Staat und vor allem eine gute Infrastruktur. Zentral für das Gelingen der Transformation ist in den Planungen der Bundesregierung der zügige Ausbau Erneuerbarer Energien, vor allem auch, um die Gestehungskosten für Strom auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau zu bringen. Durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sind die Annahmen für die Übergangsperiode mit günstigem Erdgas geplatzt.

Damit erreichten die Strompreise für die Industrie neue Höchststände. Rund 25 Cent zahlten Unternehmen in Deutschland im zweiten Halbjahr 2022 durchschnittlich für eine Kilowattstunde Strom – knapp mehr als im EU-Durchschnitt und etwa dreieinhalb Mal so viel wie in den USA, wie eine Auswertung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt. Da die Reaktivierung der jüngst stillgelegten drei respektive sechs Atomkraftwerke von der Regierung abgelehnt wird, fehlt auch deren entlastender Effekt auf den Strompreis. Die Sorge um den Fortbestand der energieintensiven Industrien ist virulent, obgleich diese Branchen schon in den vergangenen Jahren negative Nettoinvestitionen aufwiesen; Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen fanden zunehmend im Ausland statt. Diese Industrien sind dessen ungeachtet hinsichtlich Beschäftigung, Wertschöpfung und Innovationsleistung im Verarbeitenden Gewerbe überdurchschnittlich bedeutsam.

So droht die deutsche Industrie als Ganzes im internationalen Wettbewerb unter die Räder zu kommen. Infolge der Energiekrise sind die Strompreise zwar auch in vielen anderen europäischen Ländern gestiegen. Ein Vergleich mit den Preisen des zweiten Halbjahrs 2020 zeigt aber: Die Bundesrepublik ist schon lange Hochpreisland, damals war nur Dänemark teurer. Das belegt, dass die Probleme bei den deutschen Energiepreisen in großen Teilen strukturell sind – selbst wenn die Energiekrise wieder abflacht, dürften die deutschen Standortnachteile bleiben. Der Wirtschaftsminister möchte deshalb – befristet bis längstens 2030 – mit einem fixen Brückenstrompreis von 6 Cent je Kilowattstunde den Industriestandort sichern – ein pragmatischer Vorschlag zur richtigen Zeit, um die Erwartungen der Investoren an den Standort zu stabilisieren.

Wichtig ist jedoch, wie das Instrument gestaltet wird. Besonders zentral: Preisanreize müssen erhalten bleiben, damit es sich weiterhin lohnt, Windräder und Solaranlagen zu bauen – und damit Strom dann verbraucht wird, wenn er an den Börsen durch hohe Einspeisungen durch Sonne und Wind besonders günstig ist. Ebenso sendet der Markt in Zeiten hoher Preise wichtige Sparanreize. Die Pläne zeigen, dass das Bundeswirtschaftsministerium diese Zusammenhänge sieht. Denn nur besonders energieintensive Unternehmen kommen in den Genuss der Förderung – und das auch nur für 80 Prozent des Stromverbrauchs. Außerdem orientiert sich die Förderung am durchschnittlichen Börsenstrompreis, nicht an den tatsächlich gezahlten Preisen. Die Maßnahme schafft damit Anreize, günstigen Strom zu kaufen, wenn er verfügbar ist. Anspruchsberechtigt sind grundsätzlich die gleichen Unternehmen wie bei der Besonderen Ausgleichsregelung der früheren EEG-Umlage; das ist politisch konsistent. Unternehmen, die besonders auf Energieeffizienz setzen und deshalb aus der Förderung herausfielen, sollten jedoch dafür weiterhin belohnt werden. Wer unter die Bezugsgrenze fällt, könnte beispielsweise immer noch für 50 Prozent des Strombedarfs die volle Subvention bekommen.

Der Preis von 6 Cent ist zudem gut gewählt. Er liegt nur leicht unter dem Preis, der derzeit bei langfristigen Verträgen für Erneuerbare Energien gezahlt wird und spiegelt die Kosten von Wind und Solar gut wider. Auch die EEG-Vergütung für Windkraftanlagen lag in den letzten Jahren in diesem Bereich. Damit möchte man an das erwartete Preisniveau des geplanten Transformationsstrompreises nach 2030 anknüpfen. Es ist gut, dass der Minister hier die Empfehlungen der EU-Kommission umsetzt. Mit diesem Instrument soll grüne Energie mit Preiskorridoren und abgesicherten Verträgen gezielt gefördert werden. Das ist wichtig, um das notwendige Angebot an grünem Strom zu schaffen, denn nur so lässt sich der Preis nachhaltig senken. In der aktuellen Situation ist nun vor allem Tempo gefragt – in der energieintensiven Industrie ist die Produktion zuletzt um 20 Prozent unter das Niveau von 2015 gefallen. Im ersten Quartal des Jahres 2023 ist die Wirtschaft nur knapp an einer Rezession vorbeigeschrammt.

Wichtig ist, dass der Minister den Unternehmen bei der Umsetzung durch überbordende Bürokratie nicht den nächsten Knüppel zwischen die Beine wirft. Zu kleinteilige Vorgaben würden die Planungssicherheit und damit die Wirkung der Preisbremse stark verwässern. Vor allem aber gilt es, den konsequenten Ausbau der Erneuerbaren Energien voranzutreiben. Denn langfristig liegt genau darin der Hebel, die Strompreise zu senken und vor kurzfristigen Preisexplosionen, wie im vergangenen Jahr, zu schützen. Deshalb ist die Inanspruchnahme an eine Transformationsstrategie und an eine Standortgarantie der Unternehmen geknüpft; damit wird die zeitliche Befristung der Subvention noch deutlicher, zumal dann, wenn die Anreizstruktur mit einer Subventionsentzugsrate von 50 Prozent verbessert wird. Völlig sachfremd ist hingegen die Bedingung der Tariftreue. Und offen bleibt, ob und wie durch eine Angleichung der Stromsteuer auf europäisches Mindestniveau oder verringerte Netzentgelte allen Unternehmen eine Entlastung gewährt wird. Mit Blick auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit sowie auf die über Strom anvisierte Sektorkopplung wäre dies erwägenswert. So erfüllte der besondere Industriestrompreis die strengen Maßstäbe, die für Subventionen gelten.


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