In welcher Welt leben wir eigentlich? Ich dachte immer, im Kapitalismus liege die schärfste Waffe gegen das Zockertum darin, hochspekulatives Verhalten im Ernstfall mit dem Totalverlust zu bestrafen. Nur wenn die Marktakteure für Fehlspekulationen auch vollständig haften müssen, zwingen wir in der marktwirtschaftlichen Ordnung übermäßige Gier in einen Haftungsrahmen, der die Rechnung an die Verursacher adressiert. Alle Finanzkrisen weisen immer die gleiche Verlaufsform auf: Weil alle Akteure wissen, dass beim Platzen von Spekulationsblasen die Verluste sozialisiert werden, gehen die Spekulationsgeschäfte nach jeder durchstandenen Krise ganz zügig wieder weiter: Business as usual! Die gigantischen Gewinne wurden ja von den Profistrategen jahrelang realisiert, ehe der Steuerzahler das Ausfallrisiko via staatlicher Rettungsschirmpolitik zu schultern hatte.
Im Fall Griechenland gilt Ähnliches. Im Jahr 2000 wurde der entscheidende Fehler gemacht, als sich in Brüssel die politische Mehrheit fand, den Griechen den Beitritt in die Eurozone möglich zu machen. Viele Insider stellten schon damals die Solidität der griechischen Finanz- und Wirtschaftspolitik offen in Frage. Doch kritische Stimmen wurden mit der „No bail out“-Klausel beruhigt, mit der im Vertrag von Maastricht sichergestellt ist, dass ein Euro-Teilnehmerland nicht für Verbindlichkeiten und Schulden anderer Teilnehmerländer haften oder aufkommen muss.
Doch Europa hat ein Jahrzehnt zugeschaut, wie sich die Südeuropäer im Euroraum über die Maßen weiter verschuldeten, öffentliche wie private Haushalte. Man hatte ja plötzlich vermeintlich Spielraum, weil die Zinsen in Folge der Euro-Rendite massiv sanken. Statt Strukturreformen bei Rente und Pensionen oder in der Steuerpolitik anzugehen, prasste man ungeniert weiter, manipulierte die Haushaltsstatistiken und lebte auf Pump.
Tragisch ist nur, dass gerade wir Deutschen beim Thema Solidität im Glashaus sitzen. Obwohl wir den europäischen Partnern in den Neunziger Jahren einen Stabilitätspakt verordnet hatten, der automatische Sanktionen beinhaltete, waren wir selbst jahrelange Sünder. Und gemeinsam mit den Franzosen haben wir Deutschen dem Stabilitätspakt dann seine Sanktionszähne gezogen, weil deutsche Regierungen keine Lust verspürten, sich von Europa mehr Haushaltssolidität verordnen zu lassen.
Quintessenz: Heute haben wir global noch größere Banken als vor der Bankenkrise. In der nächsten Blase wird das systemische Risiko der Insolvenz einer Großbank noch schneller nach „alternativloser“ öffentlicher Hilfe rufen lassen. Dabei sind die Finanzen vieler Staaten bereits durch die aktuelle Rettungsaktion völlig zerrüttet.
Und die europäische Rettungsaktion wird nach menschlichem Ermessen Griechenland nicht zahlungsfähig machen, sondern in eine jahrelange Depression stürzen. Würde Griechenland aus dem Euroraum ausscheiden, seine Währung abwerten und in Umschuldungsverhandlungen mit seinen Gläubigern eintreten, wäre dem Land objektiv mehr geholfen. Und das Beispiel dieses Staatsbankrotts würde die Portugiesen, die Spanier und die Italiener wirkungsvoller als alle anderen Maßnahmen zu mehr finanzpolitischer Solidität ermutigen.