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Reflexionen nach dem Köhler-Rücktritt: Politik als Beruf

Der Rücktritt eines Bundespräsidenten, der im Volk jahrelang in hoher Wertschätzung stand, weil er gerade nicht der allseits unbeliebte Prototyp des Profi-Politikers war, hat fast unisono in den Medien zur Schlussfolgerung geführt: Jetzt muss für das oberste Staatsamt aber wieder ein politischer Profi her! Doch ist in einer Zeit, in der sich die Politik vom Volk entfremdet hat wie selten und die Legitimation der politischen Macht als Folge zunehmender Wahlabstinenz immer fragwürdiger wird, nicht ein grundsätzlicheres Nachdenken über unser politisches Personal notwendig? Max Weber, Jurist und Nationalökonom, ist schon vor 90 Jahren der Frage nachgegangen, was einen guten Politiker auszeichnet. „Man kann sagen, dass drei Qualitäten vornehmlich entscheidend sind für den Politiker: Leidenschaft - Verantwortungsgefühl – Augenmaß.“ Leidenschaft bedeutet für Weber keine „sterile Aufgeregtheit“, die sich im tagespolitischen Aktionismus manifestiert, dem alles sachliche Verantwortungsgefühl fehlt. Leidenschaft setzt Kompetenz voraus. Es bedeutet die Fähigkeit und den Willen, sich mit den komplexen Wirkungsmechanismen unserer Wirtschaft und Gesellschaft auseinanderzusetzen. Im guten Politiker muss ein inneres Feuer brennen, das aus Lebenserfahrung, sachlicher Kompetenz und Herzensbildung gespeist wird.

Die Ausstrahlung des guten Politikers, sein Charisma, das Vertrauen begründet, sind unabdingbare Voraussetzung, um die Wähler wieder für Politik zu begeistern. Wer als Politiker kein Herz für die Mitmenschen hat, wer Bürgerkontakte als lästige Zumutung empfindet, der taugt schlicht nicht für diesen Beruf. Denn zur Leidenschaft gehört auch das Einfühlungsvermögen. Die meisten Berufspolitiker können viel reden, ohne etwas zu sagen. Das Zuhören und das Verstehen sind ihnen fremd.

Doch allein mit Leidenschaft kommt der gute Politiker nicht weit. Seine Aufgabe verlangt von ihm ein Verantwortungsgefühl gegenüber dem Gemeinwohl. Er darf den eigenen Standpunkt, die Position der eigenen Partei niemals überhöhen. Wem gegenüber ist er eigentlich verantwortlich? Seiner Partei, seinen Wählern, seinem Wahlkreis, seinen Überzeugungen ? Welche Rolle spielt das eigene Gewissen?

Der gute Politiker muss aber auch die Fähigkeit besitzen, sich selbst und seine Rolle in Frage zu stellen. Hauptfeind bei der notwendigen Selbstreflexion des guten Politikers sei die Eitelkeit, warnt Max Weber. Politiker stehen im Rampenlicht. Sie kokettieren nur zu gern mit der öffentlichen Aufmerksamkeit, nach der sie permanent gieren. Ich will mich selbst nicht davon freisprechen, weil auch ich auf dieser Klaviatur zu spielen gelernt habe.

Politiker zelebrieren und inszenieren sich, wechseln mit professioneller Unterstützung immer wieder ihr Image. Sie spielen Rollen und verlieren dabei zunehmend ihren inneren Kompass. Sie benötigen Augenmaß, um zu erkennen, dass die öffentliche Aufmerksamkeit der formalen Macht, aber nicht der Person gilt. Oft zeigt sich erst beim Verlust der Macht, welches Zerstörungspotenzial diese narzisstische Kränkung entfalten kann.