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Europa wählt Sparpakete ab!

Am Sonntag wird in Frankreich und Griechenland gewählt. Die Rufe nach mehr staatlichen Wohltaten sind trotz Schuldenkrise nicht zu überhören. Vom Wahlausgang hängt nicht nur die Besetzung der aktuellen Parlamente ab, sondern auch der europäische Stabilitätskurs.

Mit allergrößter Wahrscheinlichkeit werden am Sonntag die Wählerinnen und Wähler in Frankreich ihren bisherigen Präsidenten und die in Griechenland die bisherige Große Koalition abwählen. Der Sozialist Francois Hollande gewinnt die Präsidentenwahl in Frankreich mit einer klaren Abgrenzung vom Fiskalpakt, den Kanzlerin Angela Merkel Frankreich „aufgezwungen“ habe. In Griechenland steht so gut wie fest, dass die riesige Parlamentsmehrheit der alten Koalitionsregierung förmlich pulverisiert wird. Voraussichtlich werden so viele kleine links- wie rechtsextreme Protestparteien ins Athener Parlament einrücken, dass die Regierungsbildung einem Lotteriespiel gleicht. Auch in Griechenland beherrschte die Auflehnung gegen die „deutschen Sparpakete“ den Wahlkampf.

Vor knapp zwei Jahren habe ich in ÖkonomenBlog unter der Überschrift „Vier Lebenslügen“ gefragt: „Lassen Lobbys, Medien und wir Wählerinnen und Wähler es in der Demokratie überhaupt zu, öffentliche Leistungen einzuschränken, soziale Besitzstände zu reduzieren?“

Die Antwort des Souveräns in Frankreich und Griechenland macht deutlich, wie stark sich Wohlstandsillusionen in den Köpfen der Menschen festgesetzt haben. Griechen wie Franzosen negieren, seit vielen Jahrzehnten über ihre Verhältnisse gelebt zu haben. Die Verantwortung für die Unfähigkeit zu eigenen Strukturreformen wird auf andere – vor allem auf uns Deutsche – abgeschoben. Wir strangulierten letztendlich mit unserem sturen Pochen auf Haushaltsdisziplin die Konjunktur. Die Tonlage ist rau geworden in Europa.

Doch wo bitte ist die Alternative zur objektiv notwendigen Konsolidierung? Früher Renteneintritt, aufgeblähter Öffentlicher Dienst, kurze Arbeitszeiten, ein überregulierter Arbeitsmarkt: das sind strukturelle Reformbaustellen in Frankreich und anderswo. Wir Deutschen haben in den vergangenen 20 Jahren – unter dem Druck der Wiedervereinigung und der Euro-Einführung – mehr Mut zur Veränderung bewiesen, als wir uns es selbst manchmal eingestehen: die Agenda 2010 und die Erhöhung des Renteneintrittsalters stehen exemplarisch dafür. Durch sinkende Lohnstückkosten sind wir wieder wettbewerbsfähiger geworden, hat sich die Arbeitslosigkeit massiv reduziert. Dafür haben die deutschen Einkommen in der Breite fast eineinhalb Jahrzehnte stagniert, während sie im Rest Europas deutlich gestiegen sind. Jetzt fühlen sich viele bei uns als Zahlmeister Europas, die den mangelnden Leistungs- und Reformwillen andernorts ausbügeln müssen. Wie unpopulär die Euro-Rettungsaktionen im Volk sind – und zwar jenseits der parteipolitischen Präferenzen – belegen alle Umfragen stabil.

Der europäische Fiskalpakt steht nach bisheriger Planung Ende Mai im Deutschen Bundestag zur Abstimmung. Weil es sich um eine Verfassungsänderung handelt, ist eine Zweidrittel-Mehrheit erforderlich. Sollte Kanzlerin Angela Merkel den bereits beschlossenen Fiskalpakt in Europa wieder aufweichen wollen, weil der neue französische Präsident sein Wahlkampfversprechen einfordert und auf Nachverhandlungen besteht, dann werden haufenweise Abgeordnete der Regierungsfraktionen von der Fahne gehen. Und wie agieren Sozialdemokraten und Grüne, ohne die eine Grundgesetzänderung keine Mehrheit hätte? Eine Regierungskrise in Deutschland als Folge der Wahlentscheidungen in Frankreich und Griechenland? Der Euro und Europa werden damit wieder mal zum beherrschenden Sommerthema in Deutschland.