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Der Sparwahn-Gegner

Paul Krugman: Vergesst die Krise – warum wir jetzt Geld ausgeben müssen, Frankfurt/New York 2012 Der Mann schreibt wie man ihn kennt – verständlich, kurz und leidenschaftlich. Paul Krugman zu lesen macht Spaß. Nur alles glauben muss man ihm deswegen nicht. Jetzt will er vor allem Deutschland das Sparen abgewöhnen.

Um Krugmans Credo vorwegzunehmen: Für das Wohl oder Wehe einer Wirtschaft spielt die Haushaltspolitik eine entscheidende Rolle: Sparmaßnahmen beeinträchtigen das Wachstum – zumindest kurzfristig. Konjunkturprogramme schaffen Arbeitsplätze.

Paul Krugman, der sich selbst „irgendwo in der Nähe von Neokeynesianern“ einordnet, geht es in zwei Dritteln seines 260-Seiten-Buches zunächst einmal darum, die „Große Lüge“ über die amerikanische Krise zu veranschaulichen – nämlich die Behauptung, der Staat selbst sei der Verursacher der Krise, weil er den Fehler gemacht habe, den sozial benachteiligten helfen zu wollen. Für Krugman war es die Privatwirtschaft.

Dann geht er Europa und seiner „großen Täuschung“ an den Kragen. Diese bestünde in dem Glauben, dass die Krise durch unverantwortliche Haushaltsführung zustande gekommen sei. Krugman wirft den Spitzen-Politikern Europas vor, die Mär zu verbreiten, dass einige Mitgliedsstaaten riesige Haushaltsdefizite angehäuft hätten und sich immer weiter verschuldeten. Nun gehe es den führenden Ländern Europas darum, Regeln aufzustellen, um zu verhindern, dass es jemals wieder dazu kommt. Dieser Vorwurf der Misswirtschaft könne aber höchstens Griechenland gemacht werden, so Krugman. Irland und Spanien hätten dagegen lange Zeit Überschüsse erwirtschaftet und seien durch den Zusammenbruch des Immobilienmarktes erschlagen worden.

Krugmans Rettungsvorschlag für ganz Europa: Mit dem „Sparwahn“ der Europäer und vor allem der Deutschen, müsse nun endlich Schluss sein. Die Eurozone müsse ausreichend Liquidität für die Eurostaaten gewährleisten und sicherstellen, dass diesen das Geld nicht ausgeht, nur weil der Markt in Panik verfalle. Konjunkturprogramme seien unabdingbar. Zudem müsse die Europäischen Zentralbank (EZB) eine Inflation von drei oder vier Prozent in den Kernstaaten, also vor allem auch in Deutschland, in Kauf nehmen, um Ländern mit einem großen Außenhandelsdefizit keine kostspielige Deflation aufzubürden. Das Problem der Industriestaaten sei für ihn nicht zu viel, sondern eben zu wenig Inflation.

Dass in Deutschland Inflation so ziemlich das Letzte ist, was man sich als Wachstumsmotor vorstellen kann, ignoriert er so gut er kann. Wie die EZB die Inflation später unter Kontrolle halten soll, sagt er leider auch nicht. Und auch scheint er vollkommen unbeeindruckt von der Tatsache zu sein, dass sowohl Amerika als auch Europa bereits jetzt so unvorstellbar hohe Staatschulden angehäuft haben, von denen kein Mensch weiß, wie sie jemals wieder in einen überschaubaren Zustand zurückgeführt werden können.

Man muss mit Krugman nicht einverstanden sein. Aber ihn zu lesen macht Spaß, weil er trotz aller Polarisierungen und Vereinfachungen niemals abgehoben oder arrogant wirkt und im Grunde den Konsens wünscht. So ist er trotzt aller Euro-Kritik auch ein großer Europafan – die Gemeinschaftswährung abschaffen, käme ihm nie in den Sinn. Noch nicht einmal Austritte befürwortet er: „Jedes Land, das heute aus dem Euro ausschert, müsste einen Run auf seine Banken befürchten“, schreibt Krugman. Die Anleger würden ihr Geld dann in sicherere Eurostaaten verschieben. Eine Rückkehr zur Drachme oder Peseta zöge gewaltige juristische Folgen nach sich, meint Krugman. Denn der Wert der auf Euro belaufenden Schulden müsse neu festgelegt werden.

Letztlich, fast á la Helmut Kohl, sieht Krugman bei einem Zerfall der Eurozone auch die politische Einheit Europas in Gefahr. Und dies hätte für ihn gewaltige Auswirkungen auf die Sicherheitslage in der ganzen Welt.