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Das Gläubiger-Kartell

Aus der Lehman-Pleite und der folgenden Finanzkrise haben wir nichts gelernt. Die Finanzmärkte sind immer noch nicht besser reguliert. Jüngstes Beispiel ist der Skandal um die Manipulation des LIBOR-Zinssatzes. Der Finanzsektor setzt damit mehr aufs Spiel, als nur Milliarden.

Es gehört zu den Grunderkenntnissen der Wirtschaftswissenschaft, aber auch der alltäglichen Lebenserfahrung: Kartelle oder gar Monopole hebeln jede marktwirtschaftliche Ordnung aus, weil sie den Wettbewerb ausschalten, technologische Entwicklungen hemmen, und die Verbraucher die Zeche in Gestalt überhöhter Preise bezahlen. Deshalb gibt es in vielen Staaten dieser Erde Kartellgesetze und entsprechende Behörden, die verbotene Preisabsprachen durch Anbieterkartelle aufdecken und mit Bußgeldern belegen. Die EU-Kommission etwa erließ im Jahr 2010 in Kartellverfahren Bußgelder gegen Firmen in Höhe von mehr als 3 Milliarden Euro, 2011 immerhin über mehr als 600 Millionen Euro.

Vor wenigen Tagen erst hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine bahnbrechende Entscheidung für die Saatgutvielfalt in der Agrarindustrie getroffen. Er kippte das Verbot des Handels mit nicht zugelassenen Saatgutsorten. Das ist gut für Artenvielfalt und Lebensmittelqualität wie für bäuerliche Familienbetriebe und Verbraucher.

Im derzeit wichtigsten Markt für die Funktionsfähigkeit unserer Wirtschaftsordnung, dem Finanzmarkt, liegt viel im Argen. Dort sind Lichtblicke – trotz zahlreicher Interventionen der Aufsichtsbehörden – eher selten. Der Skandal um die Manipulation des LIBOR, des täglich festgesetzten Referenzzinssatzes im Interbankenhandel in London, beweist, mit welcher kriminellen Energie der Leitzins für den internationalen Geldmarkt offenbar über Jahre hinweg zu Gunsten einiger Großbanken gefälscht wurde.

Erinnert sich heute noch jemand an die Absichtserklärungen, die von der internationalen Politik nach der Lehmann-Pleite im Herbst 2008 und dem anschließenden globalen Bankenbeben abgegeben wurden? Nie wieder dürfen die Systemrisiken von Großbanken dazu führen, hieß es damals unisono. Wo stehen wir eigentlich heute? Herrscht nicht, wie es Paul Kirchhoff vor wenigen Tagen formulierte, „eine moderne Feudalwirtschaft, die getarnt als Markt die Herrschaft des Geldes gegenüber produzierenden Unternehmen und Staaten ausüben will, die Gewinn ohne Risiko, Chance ohne Haftung, Herrschaft ohne Legitimation beansprucht“?

Im Kern sind wir Gefangene eines Gläubiger-Kartells, dem sich Bürger wie Unternehmen, aber auch viele Staaten freiwillig ausgesetzt haben, weil wir alle immer mehr Leistungen auf Pump finanziert haben. Wir wollen alles und zwar sofort, ist die Devise einer Gesellschaft, die das Maßhalten verlernt hat. Doch der Preis dieser Maßlosigkeit ist eine teuflische Abhängigkeit von den Feudalinstitutionen unserer Tage, den anonymen Finanzmärkten und ihren Akteuren.

Der marktwirtschaftlichen Ordnung erweisen diese neuen Feudalherren, die selbst so gerne von der Freiheit der Märkte und den Chancen der globalen Grenzenlosigkeit fabulieren, einen Bärendienst. In vielen Staaten der Welt schwindet das Vertrauen in den Kapitalismus als Wirtschaftsordnung, wie gerade erst wieder eine renommierte Studie der US-Denkfabrik Pew Reasearch Center belegt.

Deshalb müssen wir in alter ordnungspolitischer Tradition für zwei Grundpfeiler unserer Sozialen Marktwirtschaft kämpfen. Erstens: Kampf der kreditfinanzierten staatlichen Wohlfahrt! Nur ein Staat, der über den Konjunkturzyklus keine neuen Schulden mehr macht, befreit sich vom Joch der Gläubiger. Zweitens: Keine Finanzinstitution dieser Welt darf so groß und systemrelevant sein, dass sie nicht mehr in Konkurs gehen darf. Notfalls muss sie durch Kartellgesetz zerschlagen werden. Denn wer die schärfste Waffe im Kapitalismus, die Angst vor dem drohenden Totalverlust, außer Kraft setzt, der beerdigt schlussendlich auch die marktwirtschaftliche Ordnung.