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Mäßigt Euch!

Paul Kirchhof: Deutschland im Schuldensog – der Weg vom Bürgen zurück zum Bürger, München 2012, Beck-Verlag Wer den „Professor aus Heidelberg“ nicht ernst nimmt, kann nur ein Kamel sein. Oder ein Ex-Kanzler. Paul Kirchhof hat ein kluges Buch geschrieben. Seine Kritik gilt dem deutschen Schuldenstaat. Er analysiert ohne anzuklagen. Und er präsentiert konkrete Lösungsvorschläge, um der Schuldenfalle zu entkommen.

Es sind unvorstellbare Zahlen. Laut Planungen des Bundesfinanzministeriums werden Deutschlands Schulden dieses Jahr auf mehr als 2,2 Billionen Euro Schulden steigen – das entspricht einer Verschuldungsquote von über 83 Prozent. Deutschland müsste mehr als 800 Milliarden Euro zurückzahlen, um die EU-weit zulässige Gesamtverschuldungsmarke von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erreichen. Bei einem Gesamtsteueraufkommen der Bundesrepublik von 530 Milliarden Euro dürfte das so gut wie unmöglich sein.

Wenn wir es nun nett ausdrücken, könnte man sagen: Wir sind hochverschuldet. Wenn wir es zynisch formulieren, müsste es heißen: Deutschland ist ein Sanierungsfall. Im Ton stets freundlich, aber in der Sache eindeutig nimmt sich Paul Kirchhof dieses Sanierungsfalles an. In seinem lesenswerten Buch „Deutschland im Schuldensog“ appelliert er eindringlich für eine baldige Rückführung der staatlichen Neuverschuldung auf null und für einen Abbau der Defizite. Deutschland habe das Schuldenproblem zurzeit nicht im Griff und missachte durch fortwährendes Neuverschulden geltendes Recht. Die Entscheider dieses Landes müssten sich endlich darauf besinnen, dass eine Stabilität des Geldes ohne eine Stabilität des Rechts nicht erreichbar sei. Deutschland und die Staaten Europas seien auf dem besten Wege, sich kaputt zu verschulden.

So lässt sich leicht sprechen, wenn man selbst nicht in Verantwortung und der Komplexität politischer und wirtschaftlicher Zwänge nicht unterworfen ist. Dennoch ist Kirchhof alles andere als ein Katheder-Prediger. Der Großteil seines Buches dreht sich um konkrete Lösungsvorschläge, wie man den Staat wieder festigen kann. „Neue Schulden werden vermieden, wenn der Haushalt Einnahmen und Ausgaben ohne neue Kredite ausgleicht“, schreibt Kirchhof. Diese rechtliche Normalität würde erreicht, wenn der Deutsche Bundestag seine Hoheit über den Haushalt bewahren und diese auch gegenüber Begehrlichkeiten anderer Staaten und dem Zugriff des Finanzmarktes abschirmen könne. Der deutsche Gesetzgeber sollte Finanzhilfen grundsätzlich einem Staat verweigern, dessen Pro-Kopf-Verschuldung günstiger oder ähnlich der eigenen Verschuldung ist.

Kirchhof ist zudem ein eindeutiger Verfechter der „Finanztransaktionssteuer“, die börsliche und außerbörsliche Finanztransaktionen besteuert. Diese, so Kirchhof, ziehe konsequent diejenigen zur Finanzierung der Finanzkrise heran, die wesentlich zur Krise beigetragen haben.

Um aus der Schuldenfalle herauszukommen, gilt es, die Staatsausgaben zu mäßigen. Kirchhof empfiehlt, Mehreinnahmen künftig in den Abbau der Verbindlichkeiten zu stecken. Finanzhilfen an andere Staaten, Banken oder produzierende Unternehmen dürften nur noch auf Gegenseitigkeit geleistet werden: Wenn also ein Staat den anderen saniert habe, müssten diese nach Sanierung durch Finanzdienstleistungen, Kredit- und Zinsnachlässe oder kostenlose Lieferung von Produkten den helfenden Staat unterstützen.

Auch fordert er ein Gesetz, durch das bei einem Schuldenanstieg von einen Prozent automatisch veranlasst werden müsste, dass sich die Staatsleistungen für die Bevölkerung um ein Prozent verringern. So würde jeder Bürger am eigenen Leib spüren, dass die Staatsschuld im Grunde für jeden eine Last bedeutet – und nicht wie irgendein abstraktes Geldsummenspiel erscheint.

Zweifellos wirkt ein solcher Vorschlag dann doch zu pädagogisch und ist politisch wohl kaum durchsetzbar. Aber ein Bewusstsein dafür zu schärfen, dass dieses wahnsinnige Schuldenmachen spätestens unsere Kinder irgendwann empfindlich treffen wird, müsste dringend entwickelt werden.