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Großer Kommunikator gesucht

Geert Mak: Was, wenn Europa scheitert, München 2012, Pantheon-Verlag Europa steckt in der Schuldenkrise und jeder tut, als wäre alles in bester Ordnung. Davon zumindest ist Geert Mak überzeugt. In seinem Essay fordert der Niederländer mehr Mitsprache für die Menschen Europas, damit die Währungsunion nicht zusammenbricht.

Man kann den Finanzmärkten vieles vorwerfen. Sie sind aber nur die Überbringer der schlechten Nachrichten, schreibt Geert Mak. Das wirkliche Problem liegt für den Niederländer bei den Banken, bei der Politik und vor allem bei den Konstruktionsfehlern der Euro-Zone. Diese habe niemals eine ordentliche demokratische Legitimation gehabt, sie würde ohne Disziplin, Kontrolle und Hierarchie geführt. Und das Schlimmste: Es gebe keine Exit-Strategie für Versagerländer – einmal Euro-Land, immer Euro-Land.

Geert Mak nimmt kein Blatt vor den Mund. Das mag seinem niederländisch gradlinigen Naturell zu verdanken sein. Neu ist eine solche Kritik nicht. Aber die Perspektive ist neu. Dieses Mal ist es nämlich nicht irgendein deutscher Streber und Besserwisser, der sich über die Fehler der Euro-Krise auslässt, sondern ein niederländische Nörgler und Sturkopf, der die Währungsunion an den Pranger stellt. In seinem leicht und locker wie Vanille-Vla geschrieben 140-Seiten Essay gelingt es Mak, komprimiert und pointiert die Entwicklung einer einst vom europäischen Geist hoch inspirierten EU der Nachkriegszeit zur degenerierten Währungszwangsgemeinschaft der Jetztzeit zu beschreiben. So hebt der Autor die großen Europäer Jean Monet, Willy Brandt und den Polen Bronislaw Geremek aus der Versenkung und feiert sie als die Männer, aus deren tiefer Überzeugung die Europäische Union zusammenwuchs – eine Union, die heute mehr oder weniger zur Groteske mutiert: mit einer amorphen Bürokratie, die sich überall einmischt, von der Zusammensetzung französischer Ziegenkäse über die Mindestgröße von Kondomen in Berlin bis hin zur Länge der Leitern der Fensterputzer in Amsterdam.

Die niederländische Perspektive macht die Künstlichkeit einer zum Erfolg verdammten Währungsunion noch deutlicher. Verbitterung zeigt sich beim Autor,  wenn er darlegt, dass die Euro-Krise am Ende doch noch der Preis für die deutsche Wiedervereinigung ist, für den „Kuhhandel zwischen Deutschland und Frankreich“: Frankreich unterstützte das Nachbarland bei der Wiedervereinigung und im Gegenzug erklärte Deutschland, die harte D-Mark zuungunsten einer weniger stabilen Währung wie dem französischen Franc aufzugeben und sich in Euro-Abenteuer zu stürzen. Für die Niederländer, meint Mak, habe es in diesem Machtspiel keine andere Wahl gegeben, als den Gulden aufzugeben. So geißelt er heute die „kreative Buchhaltung“ der Mitgliedstaaten einer EU, bei der nur noch Finnland, Luxemburg und Estland die vereinbarten Grundwerte einhielten.

Mak plädiert nicht nur für strengere Kontrolle der Finanzmarktjongleure. Er fordert auch eine grundsätzliche Besinnung auf das, was Europa ausmacht: den europäischen Geist wieder zu entdecken. Dazu erinnert er an das Amerika in der Depression. Auch der „New Deal“ des US-Präsidenten Roosevelt sah einen in seiner Kraft bis dahin unvorstellbares öffentliches Konjunkturprogramm vor – doch anders als heute den Politikern Europas, gelang es dem US-Präsidenten die gesamte Bevölkerung für dieses Paket zu begeistern. Er erklärte jedem, was getan werden muss und  wie es gemeinsam zu schaffen ist.

Wie weit wir von einem solchen Kommunikationserfolg und einem damit einhergehenden Stolz über unseren alten Kontinent entfernt sind, zeigt die Tatsache, dass so gut wie niemand aufjubelte, als der diesjährige Friedensnobelpreis der EU verliehen wurde. In Zeiten der Krise und des tiefen Vertrauensverlustes innerhalb der EU steht Europa heute in den Augen der Bürger nicht mehr für Solidarität und Gerechtigkeit. Den politischen EU-Entscheidern, meint Mak, fehlt das Talent, den Bürgern der Mitgliedstaaten besser vermitteln zu können, dass sie auch dazugehören – mit allen dazugehörenden Rechten und Pflichten. Die EU ist für viele eher irgendeine Verwaltung in Brüssel als ein Kontinent, mit dem man sich identifiziert.

Mak ist überzeugt: Die meisten Niederländer und Deutschen werden nicht direkt alles verlieren, wenn die Währungsunion zusammenbricht, auch wenn ihr Lebensstandard auf das Niveau von vor zehn, zwanzig Jahren zurückfallen wird. Doch langfristig werde auch für sie der Preis hoch sein – in punkto Stabilität, Frieden und Sicherheit.

Schade, dass Mak zum Schluss seiner Abhandlung doch noch herumeiert: Er schließt nicht aus, dass die EU den Sturm doch übersteht.

Optimismus tut zwar gut. Doch für eine Buchthese wäre eine Art Apokalypse tauglicher. So bleibt der Leser fast ein wenig ratlos zurück. Man hätte sich dann doch lieber ein radikales Ende á la Michel Houellebecq gewünscht. Über die Zukunft Europas schrieb der französische Schriftstelle: Europa wird nur noch als Vergnügungspark und Bordell für asiatische Touristen fungieren.