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Erpressung und Austritt

Auch im neuen Jahr begleitet uns die Eurokrise. Momentan richtet sich die Aufmerksamkeit auf  Irland, als aufmunterndes Beispiel für die Fortschritte in der Krise und Zypern, als jüngster Krisenherd. Aber auch Italien meldet sich in der Person Silvio Berlusconis lautstark zu Wort. 

Das neue Jahr beginnt, wie das alte endete: Mit Krisennachrichten. Inzwischen ist der Bericht der Kommission über ihren Besuch in Irland im Oktober 2012 fertiggestellt. Irland, so heißt es dort, ist – wie stets jedes Programmland – auf einem guten Weg. Leider ist der Bericht der Kommission Verschlusssache, doch ist der Bericht des Internationalen Währungsfonds öffentlich einsehbar.

Eines wird klar, die irische Entwicklung ist vor allem von der Hoffnung auf eine direkte Rekapitalisierung seiner Banken durch den ESM und durch die Ankündigung des Anleihenaufkaufprogramms der EZB getrieben. Irland zahlt im Verhältnis zu Griechenland sehr hohe Schuldzinsen an die europäischen Geldgeber. Eine günstige Bankenrekapitalisierung durch den ESM – wie sie bei Griechenland durchgeführt wurde – könnte dieses Problem für die Iren beseitigen. Die öffentliche irische Meinung tendiert eindeutig in diese Richtung. Soeben erschien ein Kommentar in der Irish Times, in dem folgender Vorschlag geäußert wurde: Die jetzige Situation sei unbefriedigend und die Behandlung Irlands ungerecht. Es müsse nachverhandelt werden und die Deutschen müssten an den Verhandlungstisch genötigt werden. Nur so könne den unzumutbaren Kosten der Bankenrekapitalisierung begegnet werden. Schließlich würden ja auch die Kosten der spanischen Bankenrekapitalisierung in Europa sozialisiert. Der wirksamste Hebel sei die Drohung mit einem Austritt aus der Währungsunion und anschließendem Staatsbankrott. Die EZB werde vor Angst die Hosen voll haben. Sie würde sich fragen, welche irischen Sicherheiten bei ihr hinterlegt seien. Wenn die Iren ernsthaft das Nachdenken anfingen, dann würden es ihnen andere gleichtun. Man solle nur an die Bilanz der BNP Paribas denken. Man könne bei einem irischem Austritt gleich von vorn mit allen europäischen Bankenrekapitalisierungen anfangen. Ein fantastisches Chaos werde geschaffen. Sei man so mutig, würden in Verhandlungen Irlands Bankschulden neu geregelt.

Auch Silvio Berlusconi ist aus seinem Weihnachtsurlaub zurück. Er wiederholte in einem Fernsehinterview seine alte Forderung, dass die Deutschen zulassen müssten, dass die Europäische Zentralbank Geld druckt. Stimmten die Deutschen einer solchen italienischen Währungsunion nicht zu, dann werde Italien die Eurozone verlassen. Der politische Wiedergänger Berlusconi sieht also für Italien ein ähnliches Erpressungspotential, wie die Iren es zu meinen haben.

Übereinstimmend wird also angenommen, dass der Austritt für Italien und Irland leicht zu verkraften wäre und Deutschland den Schaden hätte. Das erinnert inhaltlich an eine Studie der Bank of America aus dem letzten Sommer.

Darin kamen die Verfasser zum Ergebnis, dass der Austritt aus der Währungsunion am leichtesten für Italien und Irland zu verkraften wäre. Insbesondere Italien sei aufgrund seines niedrigen Primär- und Zahlungsbilanzdefizits zu einem geordneten Austritt fähig. Irland habe eine kleine offene Wirtschaft. Ein Austritt sei positiv für sein Wirtschaftswachstum. Italien habe während seiner Euro-Mitgliedschaft an Wettbewerbsfähigkeit verloren. Der Grund – das erklärt die Studie nicht – liegt wohl darin, dass das italienische Modell auf Wirtschaftswachstum durch Wettbewerbsfähigkeit im Wege der Inflationierung gesetzt hat. Damit wurde den Rigiditäten der italienischen Wirtschaft begegnet und zu hohe Löhne abgeschmolzen. Berlusconi hat also den richtigen Riecher, wenn er in Anknüpfung an die italienische Tradition und zum Nutzen Italiens eine Inflationierung durch die EZB fordert. Selbstverständlich wäre dies tödlich für die entgegengesetzt strukturierte deutsche Wirtschaft. Bei einem Austritt sänken sowohl für Irland als auch für Italien die Zinskosten. Für die irischen Bilanzen sei der Austritt auch deshalb hervorragend, weil es enorme Auslandsverbindlichkeiten habe, die es auf seine neue Währung umstellen könnte. Italiens Bilanzen profitierten, weil es zu einer Rückkehr zum italienischen Modell zu einer besonders hohen Währungsabwertung käme.

Das sind interessante Ergebnisse einer holistischen, volkswirtschaftlichen Sichtweise. Ich halte es aber für falsch, wie mit einem Fernglas von oben auf ein Land zu schauen und die positiven und negativen Folgen des Austritts miteinander zu verrechnen und zu einer Endsumme zu kommen. Die Welt funktioniert anders. Es kommt nicht auf die Vogelperspektive, sondern auf die politisch entscheidenden Akteure und deren individuelle Interessenlage an. Man muss also die politische Ökonomie beachten. Nur ein Beispiel für diese Form der Analyse: Man kann annehmen, dass Berlusconi seine Position nur deswegen besetzt, weil er persönlich sich davon eine erleichterte politische Rückkehr verspricht.

Das wirklich wichtige Merkmal der Austrittsdrohung von Italien und Irland ist für mich ohnehin ein anderes: Offenbar glauben mehr und mehr Leute, dass man die Eurozone und insbesondere Deutschland erfolgreich mit einem Austritt zu Transferzahlungen erpressen kann. Es wird angenommen, Deutschland habe den größten Schaden. Diese Annahme ist die Folge der verfehlten Rettungsschirmpolitik.Denn die Rettungspolitik beruht darauf, dass die Eurozone unumkehrbar sein soll und der Euro irreversibel ist. Die Belege aus Italien und Irland zeigen, wohin dies führt: In Teufels Küche. Solange diese Annahme fortbesteht, kann die Erpressung erfolgreich sein. Der kluge politische Weg wäre, die Annahme der Unumkehrbarkeit zu widerlegen. Die Eurozone muss atmen können, sie muss als Club in ihrem Mitgliederbestand veränderlich sein. Die beste Gelegenheit für eine solche Demonstration bietet Zypern – eine halbe Insel mit einer Bankbranche, deren Niedergang allein Griechenland betrifft, aber vom Rest Europas verschmerzt werden könnte. Zypern ist nicht von Bedeutung für die finanzielle Stabilität der Eurozone als Ganzes.

Ließe man Zypern bankrott gehen und ausscheiden, so wäre der erste Schritt für eine Gesundung der schädlichen Anreizsituation, die eine Erpressung ermöglicht, getan. In einem zweiten Schritt muss die Eurozone zwei von mir seit Krisenbeginn geforderte Maßnahmen anstoßen: Erstens brauchen wir für Banken ein Regime, unter dem wir sie abwickeln statt sie zu rekapitalisieren. Zweitens brauchen wir eine Insolvenzordnung für die Mitgliedsstaaten der Eurozone. Das war im FDP-Mitgliederentscheid Konsens beider Antragssteller, doch liegt immer noch nichts dazu vor. Solange wir den Umgang mit Bankrotten von Staaten und Banken nicht drastisch verändern, wird es kein Ende der Krise geben.