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Freiheit ist Voraussetzung für Gerechtigkeit

Mehr Gerechtigkeit: Wer diese Forderung unter dem Eindruck der jüngsten Finanzmarktkrise aufstellt, hat meist Verteilungsfragen im Sinn. Vermögens- und Reichtumssteuern sowie höhere Einkommens- und Kapitalertragssteuern sind die Instrumente, mit der Wohlstand in den Augen einer weltweit zu beobachtenden Linksbewegung verteilt werden soll. Doch statt den Sozialstaat auszubauen, ist eine liberale Wirtschaftspolitik gefragt, die auf Wachstum und Beschäftigung setzt und als Folge davon Sozialfälle und damit Ungerechtigkeit gar nicht erst entstehen lässt.

Das Vertrauen in den Kapitalismus und die Marktwirtschaft ist seit der Krise eingetrübt. Wo die Globalisierung zuvor nationale Märkte geöffnet und mehr Wettbewerb und Wohlstand ermöglicht hat, haben sich die Wachstumsperspektiven nun verschlechtert. Die Krise hat gezeigt, dass das Gewinnstreben von Anlegern, Händlern und Finanzinstituten nicht immer auch den gesamtwirtschaftlichen Wohlstand mehrt, sondern zu Ineffizienz und makroökonomischen Krisen führen kann.

Europa außerhalb Deutschlands verharrt seit Jahren in einer Rezession. Insbesondere die junge Generation ist von hoher Arbeitslosigkeit betroffen. Sie wird die erste Generation der Nachkriegszeit sein, der es schlechter geht als der vorherigen. Wenn jetzt Liberale der neuen Verteilungsdebatte reflexartig mit dem Ruf nach mehr Freiheit und mehr Markt begegnen, dürfen sie kaum mit Zustimmung rechnen.

Vielmehr sollte die liberale Bewegung die Gewinne der mit Deregulierung und Marktöffnung gewonnenen Freiheit in den Vordergrund stellen und jene Gruppen ansprechen, die davon besonders profitieren: Frauen haben heute in Beruf und Politik mehr Chancen denn je, jungen Menschen steht ganz Europa offen, wenn es um die Wahl des Lebensmittelpunktes, Arbeitsplatzes oder auch des nächsten Reiseziels geht. Den Rentnern geht es heute finanziell wesentlich besser als den Vorgängergenerationen. Und Deutsche mit Migrationshintergrund haben entgegen der allgemeinen Darstellung als soziale Aufsteiger, Selbstständige, Fach- und Führungskräfte eine wichtige Position in der Gesellschaft eingenommen.

Das zeigt, dass Freiheit und Gerechtigkeit sich nicht ausschließen. Freiheit ist vielmehr die Voraussetzung für Gerechtigkeit. Denn wo jeder die Freiheit hat, jenen Bildungsweg zu wählen, der einen sicheren und gut bezahlten Arbeitsplatz ermöglicht, und wo Unternehmen die Freiheit haben, solche Arbeitsplätze zu bieten, ist auch Gerechtigkeit erreicht.

Die liberale Bewegung hat im Thema „Gerechtigkeit“ viel zu lange einen Gegensatz zur eigenen Haltung gesehen. Doch wenn der Liberalismus seine Krise überwinden will, müssen sich Liberale auf die Frage konzentrieren, wie Arbeitsplätze den Menschen ein sicheres und auskömmliches Einkommen gewährleisten können. Und vor allem darauf, wie der Einzelne durch Wissen und berufliches Können die Voraussetzungen dafür erhält. In Zukunft wird die Bildungs- und Gesundheitspolitik essenziell für einen gerechten Liberalismus sein, der nicht nur auf Leistung und Aufstieg setzt, sondern auch die Voraussetzungen dafür schafft.


Dieser Beitrag ist in einer längeren Fassung auf WELT.de erschienen