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Wechselkurspolitik: Abwälzen von Verantwortung

Der Eine sagt: 50 kg „gutes“ Fleisch sind besser für Sie als 100 kg „schlechtes Fleisch“. Die Anderen sagen, der Euro sei „irrationalen Bewegungen“ ausgesetzt oder sei „gefährlich hoch“. Besserwisser sind alle drei. Kein Politiker kann besser als Sie entscheiden, was Ihnen schmeckt und wovon Sie sich ernähren wollen. Kein Politiker kann besser entscheiden, wie hoch der Euro stehen sollte und welche Preisentwicklungen irrational sind.

Preise sind das Ergebnis eines Vertrages von Käufer und Verkäufer. Wer behauptet ein Preis sei irrational, der unterstellt den Vertragsparteien fehlende Rationalität, also Unvernunft. Unvernünftig wäre es, die Preisfindung in die Hände von Politikern zu legen. Im Gegensatz zu Devisenhändlern haften Politiker nicht mit ihrem Vermögen, wenn sie sich irren.

Die Forderung des französischen Präsidenten Hollande, dass eine „Währungszone eine Wechselkurspolitik haben muss“, ist daher schon deshalb abzulehnen. Hollandes Forderung ist Bewirtschaftung französischer Nationalinteressen. Der inzwischen etwas stabilere Wechselkurs des Euro erschwert Frankreichs Exportwirtschaft das Geschäft. Bliebe der Euro dauerhaft auf diesem Niveau, verschärft sich die französische Misere. Frankreich bekommt weder sein Haushaltsdefizit in den Griff noch setzt es die nötigen Strukturreformen um. Die Maastricht-Kriterien werden verfehlt. Seine Wirtschaft siecht, das Wachstum wird auf 0,4 Prozent in diesem Jahr und magere 1,2 Prozent für 2014 geschätzt. Die Arbeitslosigkeit liegt stabil über 10 Prozent.

Deutschland trägt diesen kranken Mann Europas auf den Armen. Das wird klar, sobald man das Bild der deutschen Wirtschaft voll ausleuchtet. Im hellen Zentrum steht der deutsche Exporterfolg. Viele Waren werden in Deutschland produziert und ins Nicht-Euro-Ausland verkauft. Der simple Zusammenhang ist, dass ein weicherer Euro die Preise dieser Waren sinken lässt. Deutsche Exportwaren wären im Nicht-Euro-Ausland erschwinglicher und konkurrenzfähiger. Die Ausfuhren würden steigen. Ein schwächerer Euro brächte jedoch umgekehrt höhere Einfuhrpreise mit sich. Unbeachtet am Rande des Bildes zeigt sich die Erkenntnis, dass alle Waren, die von außerhalb der Eurozone nach Deutschland importiert werden, teurer eingekauft werden müssen. Das gilt natürlich zunächst für alle Vorprodukte der deutschen Exportindustrie. Rohstoffe kommen ganz überwiegend nicht aus der Eurozone. Besonders wichtig ist der Import von Erdöl und Erdgas. Ein schwacher Euro ist mitverantwortlich für die hohen Energiepreise. Das ist wichtig für Verbraucher. Ein schwacher Euro ist auch bei den Produkten von Bedeutung, die unseren Konsum wesentlich prägen. Bekleidung, Unterhaltungselektronik und Computerprodukte stammen aus Asien. Urlauber wissen, dass diese Produkte in den Vereinigten Staaten und in Asien selbst deutlich preiswerter sind und es sich lohnt, diese mitzubringen. Selbst Nahrungsmittel werden von außerhalb der Eurozone nach Deutschland importiert. Ein stärkerer Euro würde alle Importgüter verbilligen. Den Exporterfolg deutscher und französischer Unternehmen bezahlen die deutschen Verbraucher mit Konsumverzicht.

Etwas vereinfachend kann man sagen, dass ein schwacher Euro dem Export nutzt, aber dem Konsum schadet. Die so häufig gehörte Klage, Deutschlands Binnennachfrage sei zu schwach, findet eine Ursache im Wechselkursverhältnis. Diverse Studien kommen zu dem Ergebnis, dass unter der Annahme des Austritts aus dem Euroraum eine fiktive deutsche Währung gegenüber dem Rest-Euro aufwerten würde (z.B. Nomura). Nimmt man dies als Maßstab, dann wäre der Euro für Deutschlands Verhältnisse unterbewertet. Andererseits kommt so auch der französische Wunsch nach einer Abwertung des Euro zum Ausdruck: Für französische, spanische und italienische Verhältnisse wäre der Euro überbewertet. Deshalb hat Hollande ein Interesse an einem niedrigeren Wechselkurs, um die strukturellen Reformen auf dem französischen Arbeitsmarkt nicht entgegen seiner Wahlversprechen durchsetzen zu müssen.

Doch mit einer Wechselkurspolitik für den Euro könnte man es niemandem Recht machen. Einheitsprodukte werden individuellen Anliegen niemals gerecht. Der eine isst gern viel Fleisch und verzichtet dafür auf Qualität, der andere macht es umgekehrt. Beim Euro ist es nicht anders. Eine einheitliche Wechselkurspolitik der EZB kann niemals allen nationalen Interessen Rechnung tragen. Eine einheitliche Währung für einen uneinheitlichen Wirtschaftsraum birgt innere Fliehkräfte und verlangt die Anpassung ihrer Mitglieder an ihr starres Korsett. Doch der Wille, sich in dieses Korsett zu zwängen, schwindet.

Nicht erst das jüngst von Hollande im nationalen Interesse geäußerte Ansinnen einer Wechselkurspolitik zeigt, dass der Wille zur eigenverantwortlichen Anpassung an das Euro-Korsett schwächer wird. Inzwischen ist die Geldpolitik im Eurosystem zum Vehikel fiskalischer Interessen geworden. Die Liste der ungewöhnlichen Maßnahmen der EZB ist lang, viel zu lang. Am bedeutendsten ist der unbegrenzte Ankauf von Staatsanleihen, beschlossen am 6. September 2012. Die fiskalische Dominanz über die Geldpolitik ist Realität. Eine gute Politik wäre es, den Zentralbanken die Last der Eurorettung zu nehmen. Dazu müsste die Politik Verantwortung übernehmen. Die Einschnitte in die Ausgaben müssten europaweit größer werden. Weil dies unpopulär beim Wähler ist, besteht ein Anreiz fiskalische Anpassungslasten aufzuschieben.  Die Lücke wird von den Zentralbanken gefüllt. Diese sind bei der Ausführung ihres Auftrags demokratisch nicht kontrolliert. Die Zentralbanken werden so zu einem neuen Machtzentrum, zu einem Staat im Staat. Der Ruf nach einer Wechselkurspolitik für den Euro ist ein weiterer Schritt dorthin.


Dieser Beitrag ist auch im Newsletter von Frank Schäffler erschienen.