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Studiengebühren schaffen Chancengerechtigkeit

Wer über seinen Lebensstatus nachdenkt, vergleicht sich meist mit vermeintlich besser Gestellten. Das gilt auch für die Gesamtgesellschaft. So wähnt sich Deutschland zusehends in einer Klassengesellschaft. Mit der Realität hat das wenig zu tun: Heute geht es vielfach gerechter zu als früher. Nur im Bildungssystem steckt noch viel Potenzial – mit Studiengebühren zum Beispiel.

Die Antwort auf die Frage, wie sich unsere Gesellschaft entwickelt hat, hängt davon ab, womit wir die Entwicklung vergleichen. Schon ein Blick in die jüngste Vergangenheit würde reichen, um festzustellen, dass es mit der Behauptung, wir würden in einer Klassengesellschaft leben, nicht weit her ist. So hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in seiner neuesten Analyse der Einkommensentwicklung nicht nur gezeigt, dass das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte von 2005 bis 2010 gestiegen ist. Gleichzeitig hat auch die Ungleichheit in der Einkommensverteilung merklich abgenommen. Das liegt vor allem an der gestiegenen Beschäftigtenzahl, durch die mehr Menschen Teilhabe am Wohlstand und Aufstieg möglich ist. Eine gute Arbeitsmarktpolitik ist also eine wichtige Voraussetzung für mehr Gerechtigkeit. Doch ohne eine ausgewogenere Verteilung der Chancen durch Bildung stößt auch sie an ihre Grenzen.

Hier bleibt in der Tat noch viel zu tun. Wie kein anderes hat das deutsche Bildungssystem die Vererbung von Bildungschancen zementiert. Nach einer empirischen Untersuchung des DIW vom Januar 2013 bedingt der familiäre Bildungshintergrund knapp die Hälfte der Ungleichheit zwischen den Arbeitseinkommen und über die Hälfte der Unterschiede im formalen Bildungserfolg.

Wenn nun allerorts die Studiengebühren abgeschafft werden, hilft dies finanziell schwächerer Familien kaum, da deren Kinder ohnehin nur vereinzelt studieren. Andererseits, müssen sie nun, stärker als vorher über ihre Steuern das Studium vor allem von Kindern wohlhabender Eltern von ihrem spärlichen Einkommen mitfinanzieren.  Demgegenüber schaffen es die Kinder gut verdienender Akademiker mit Unterstützung des Elternhauses einfacher zum Abitur und damit an die Uni. Der Wegfall von Studiengebühren verfestigt somit die Ungerechtigkeiten im Bildungssystem. Ein gebührenfreies System führt dazu, dass im Vergleich der sozialen Herkunftsgruppen der Studierenden die unterste Einkommensgruppe kaum weniger belastet wird als die höchste.

Ein System aus Studiengebühren, -Krediten und Stipendien, sowie einkommensabhängigen und nicht rückzahlbaren BAföG-Zuschüssen wäre dagegen effizienter und könnte einen fairen Hochschulzugang für alle schaffen – ein entscheidender Schritt für mehr Chancengerechtigkeit.


Dieser Beitrag ist in einer längeren Fassung auf Welt.de erschienen.