Ordnungspolitik

Weekender-Themen: Monika Schnitzer, Mindestlohn, Staatsinvestitionen, Klimarettung, Ampel

Jeden Freitag empfiehlt der Weekender fünf Vertiefungen zu wirtschaftspolitisch interessanten wie relevanten Themen.

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Interview mit WirtschaftsweiseMonika Schnitzer, Mitglied des Sachverständigenrats der Bundesregierung zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, hat dem Spiegel ein Interview zum Start der neuen Bundesregierung gegeben. Schnitzer gefällt prinzipiell der Ansatz, Fortschritt und die Digitalisierung (nicht zuletzt die der staatlichen Bürokratie) in den Mittelpunkt der Legislatur zu stellen, aber es gibt auch Kritik („Die Rente ist ein Schwachpunkt im Koalitionsvertrag“). Vor allem kommen von der Ökonomin interessante Ratschläge: „Autos der Zukunft definieren sich nicht durch die größten Motoren, sondern durch die beste Software“, „Markt sollte nicht mitmischen, wenn es darum geht, marktfähige Technologien und Produkte zu machen”, „Wir müssen mehr Leute aus dem Ausland holen”, „Digitale Ausbildung muss schon in der Schule anfangen“. – Ebenso lesenswert und zum gleichen Thema auch Schnitzers Leitartikel im neuen Wirtschaftsdienst.

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Die neue Regierung möchte viel investieren. Unklar ist in vielen Fällen, wo und wie viel. In Andreas Freytags aktueller Kolumne in der Wirtschaftswoche geht es um die Frage, in welchen Bereichen der Staat investieren sollte – und in welchen besser nicht. Es werde Zeit, so der Ökonom, dass der Staat dringend benötigte Infrastrukturinvestitionen vorantreibe. „Im Koalitionsvertrag findet man allerdings zahlreiche Aussagen, die eine besondere Sicht auf den Staat als Akteur und Investor nahelegen“, schreibt Freytag. Es gehe dort zum Beispiel darum, die Transformation der Automobilindustrie voranzubringen, die Batteriefertigung zu fördern, den Schiffbau zu stärken und vieles mehr. „Dieser Typ des investierenden Staates geht weiter, als nur die Infrastruktur, also eine Art öffentliches Gut, herzustellen“, so Freytag. Er sieht deshalb die Gefahr, dass der Staat vom Regelsetzer und Anbieter öffentlicher Güter zum Unternehmer werde. Staatliche Investitionen wären dann nicht komplementär zu privaten Aktivitäten, sondern substitutiv. Private Anbieter würden in der Folge verdrängt und Wettbewerb um die besten Technologien aufgegeben. Freytag: „Staatliche Akteure übernähmen dann eine Rolle, für die sie nicht die besten Voraussetzungen haben.“

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Was bedeuten 12 Euro Mindestlohn für den deutschen Arbeitsmarkt? Wird die deutliche Anhebung zu Arbeitsplatzverlusten im Niedriglohnbereich führen? Im aktuellen Zeitgespräch des Wirtschaftsdienstes diskutieren folgende Arbeitsmarktexpertinnen und Arbeitsmarktexperten diese Fragen: Nicole Gürtzgen, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Alexandra Fedorets, DIW Berlin, Andreas Knabe, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Ronnie Schöb, Freie Universität Berlin, Marcel Thum, Technische Universität Dresden, Helena Bach, Institut der deutschen Wirtschaft Köln e. V., Christoph Schröder, Institut der deutschen Wirtschaft, Arne Heise, Universität Hamburg, und Toralf Pusch, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut in der Hans-Böckler-Stiftung (WSI).  

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Entkoppeln statt verzichten – „Wirtschaftliches Wachstum ist künftig nötiger denn je“, schreibt Norbert Berthold in seinem jüngsten Blogbeitrag auf Wirtschaftliche Freiheit. Nur so ließen sich die erheblichen finanziellen Mittel aufbringen, die im Kampf gegen den Klimawandel gebraucht würden. Aber das Wachstum hat uns doch erst den Klimawandel eingebracht, werden Kritiker entgegnen. Das stimmt. Wachstum war zu lange und zu stark umwelt- und ressourcenfressend. Weil externe Effekte nicht internalisiert wurden. Häufig noch immer nicht. „Es ist eine Binsenweisheit, dass der Preis für die Nutzung der Umwelt und des Klimas seit Langem zu gering ausfällt“, so Berthold. Und: „Notwendig ist weltweit mehr Kostenwahrheit, um die Umwelt- und Klimaschäden zu verringern. … Von einem solchen Zustand sind wir trotz erster Anstrengungen noch weit entfernt.“ Berthold plädiert für eine Strategie der Entkoppelung von Wachstum und Umweltverbrauch. Die Erfahrung zeige, dass es gehe. „Wirtschaftliches Wachstum und CO2-Emmission lassen sich entkoppeln. So stieg etwa das BIP in der EU zwischen 1990 und 2019 inflationsbereinigt um 60 Prozent, der CO2-Ausstoß ging in dieser Zeit um 24 Prozent zurück.“

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Wirklich anders als Merkel? – „Das Politikverständnis der Ära Merkel war durch den Fall Schröders nach Hartz IV geprägt. Die Lehre war, wenig zu wagen, um lange politisch zu überleben. Die neue Ampel mag auch aus dem Scheitern Laschets gelernt haben, dass sich das nicht mehr durchhalten lässt.“ Das schreibt Christoph Möllers im Spiegel. Möllers lehrt Verfassungsrecht und Rechtsphilosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Aber was macht die Ampel wirklich anders als die Merkel-Regierungen? Sie warte, so Möllers, anders als die Union, bei Entscheidungen, die ohnehin gekommen wären, nicht auf die letzten Zögerer. „Der Fortschrittsanspruch, den der Koalitionsvertrag im Namen trägt, liegt in der Behauptung, dass sich bestimmte Entwicklungen, die aus der Gesellschaft kommen, nicht rückgängig machen lassen, sondern vom Staat aufgenommen werden müssen. Das kann man bestreiten, aber dieses Bestreiten setzt programmatische Ressourcen voraus, die sich die CDU erst wieder zulegen müsste.“ Das könnte auch deshalb schwierig werden, weil die aktuellen Regierungsparteien weite Teile der Wählerschaft abdecken. Grüne und FDP könnten, so Möllers, „als Flügel eines liberalen Projekts eine Koalition antreiben, in der die SPD die Funktion eines sozial- und gesellschaftspolitisch sensiblen Vermittlers übernimmt, also nachgibt, moderiert und ermahnt“. – So oder so: Der Union steht ein langer Weg zurück zu bundespolitischer Macht bevor.


Gute Kommentare, interessante Hintergründe – jeden Freitag präsentieren wir (Link zum Archiv) fünf Vertiefungen zu den wirtschaftspolitisch interessantesten und relevantesten Themen der Woche. > Keinen Blogpost verpassen