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Gelegenheit macht Diebe – oder: Warum uns die Werbung zunehmend für dumm verkauft

Mogelpackungen, wo man nur hinschaut. Geradezu inflationär versucht die Konsumgüterindustrie, ihre Kunden auszutricksen. Scheinbar erfolgreich, sonst würde es sich ja bald keiner mehr trauen. Wie wir dem Teufelskreis entkommen könnten? Mit mehr Eigenverantwortung.
Gerd Maas

Autor

Gerd Maas

ist Unternehmer im oberbayerischen Landkreis Rosenheim, Publizist, Leiter Wirtschaftsethik-Kommission der Familienunternehmer e.V. und bloggt regelmäßig unter Maashaltig.

Gleicher Preis, weniger Inhalt. Größer anmutende Verpackung, gleicher Inhalt, höherer Preis. Gleicher Preis, gleiches Gewicht, weniger wertvolle Zutaten. –  In allen erdenklichen Kombinationen wird versucht, die Verbraucher hinters Licht zu führen. Der Fantasie sind in der Konsumgüterindustrie keine Grenzen gesetzt.

Mit den Vorstellungen eines ehrbaren Kaufmann hat das, was einem da alles an versteckten Preiserhöhungen untergejubelt wird, nichts zu tun. Das ist Bazar-Mentalität à la „Selber schuld, wenn man zu blöd ist zum Handeln“. In unseren Breitengraden wird das trickreiche Feilbieten von Waren aber nicht als gewieft, sondern als unanständig empfunden. In der abendländischen Handelssitte obliegt es nicht dem Käufer, die Katze im Sack zu entdecken, sondern er verlässt sich auf den Grundsatz von Treu und Glauben.

Das heißt, wenn nichts Besonderes erwähnt wird, erwartet er das im Warenverkehr Übliche. Und nicht große Fernseh-Reklame für „Aus 8 werden 10!“ Schokoriegel in der Kinderschokolade – „Jetzt dauerhaft mehr Inhalt“. Erst im Laden merkt man dann – wenn man aufpasst –, dass die Tafel natürlich auch teurer geworden ist. Und man zahlt nicht nur die zwei Riegel mehr, sondern gleichzeitig noch einige Prozent Aufschlag. Da ist auf Treu und Glauben kein Verlass.

Warum aber werden in den letzten Jahren immer mehr Anbieter verleitet, sich entgegen den guten Sitten derart unredlich zu verhalten. Die Antwort ist meines Erachtens recht einfach: Weil es so vollkommen problemlos funktioniert. Gelegenheit macht Diebe. Weil es die Kunden gar nicht merken, wenn sie heiße Werbeluft kaufen (oder zum Beispiel bei Kartoffelchips tatsächlich für immer mehr Luft in der Tüte bezahlen).

Das, so scheint mir, hat zwei Gründe:

  • Erstens der wachsende Wohlstand. Immer weniger Familien müssen offenbar mit knappem Haushaltsgeld einkaufen gehen. Wer scharf kalkulieren muss, kennt die Preise und hat ein Auge auf die obligatorischen Preis-pro-Gewichtseinheit-Angaben. Wer knapp bei Kasse ist, fühlt sich von solchen Tricksereien echt beschissen, und wird versuchen, die entsprechenden Produkte zu meiden. Da würden es sich die Hersteller schnell anders überlegen.
  • Der zweite Grund ist, dass die Menschen in vermeintlicher Sicherheit des Verbraucherschutzes eingelullt sind. In der überbordenden Verpflichtung von Zutaten-, Nährwert-, Allergen- und Nanoangaben, Gütesiegeln, Mindesthaltbarkeits-, Verbrauchs- und Einfrierdaten, Herkunftsbezeichnung und so weiter ist das eigene Nachdenken untergegangen. Allein beim Verkauf von Lebensmitteln sind über 250 verschiedene Verordnungen, Richtlinien und Gesetze einschlägig.

Und was grenzwertig korrekt ist, wird darüber hinaus von den Verbraucherschutzorganisationen öffentlichkeitswirksam aufgespießt. Die mokieren dann, dass der Camembert aus der altbekannten Käserei Champignon die Verbraucher irreführt, weil aus dem Firmenlogo fälschlicherweise auf Pilze im Käse geschlossen werden könnte. Oder dass in einem Tee, der „Landlust“ heißt und ein idyllisches Bildchen auf der Verpackung hat, kein von einem lustigen Bauern im Garten geerntetes Obst enthalten ist.

Man sieht an diesen Beispielen gleich, für wie hummelblöd der gemeine Konsument inzwischen gehalten wird. Durch die verschiedenen Initiativen des Verbraucherschutzes wähnt sich der Kunde in trügerischer Sicherheit. Durch die ins Absurde getriebene Öffentlichkeitsarbeit wird er in seinem Vertrauen noch bestätigt – „denen entgeht ja offenbar gar nichts“. Das eigene kritische Hinterfragen verkommt dabei.

Wenn man alles vorgekaut bekommt, verlernt man, selbst zu beißen. Die Bürger sind eingegangen in die selbstverschuldete Unmündigkeit des Verbraucherschutzes.

Und so wird auch jetzt bei den Mogelpackungen den 2009 abgeschafften Standardgrößen bei Lebensmittel-Verpackungen nachgeweint. Deswegen fordert man jetzt die Standardisierung zurück und merkt gar nicht wie sehr man sich da in einem Teufelskreis der Verantwortungslosigkeit verstrickt: Je mehr Verordnungen umso weniger denken die Verbraucher beim Einkaufen mit. Und: Je mehr Verordnungen, umso weniger wird bei den Herstellern über Treu und Glauben nachgedacht – man hält sich ja schon an so unzählige Regeln, dass die Moral doch wohl damit erledigt sein muss.

Ich will da, wie eingangs gesagt, die Hersteller gar nicht aus der unmoralischen Ecke lassen. Aber solche Unmoral ist letztlich auch nur ein Ausfluss des herrschenden Systems. Nur in Freiheit und Eigenverantwortung kann sich eine verkehrsübliche Handelssitte herausbilden, die auf Treu und Glauben angenommen wird. Dann wird es freilich immer noch schwarze Schafen geben, aber die können sich nicht mehr darauf rausreden, dass sie sich doch an die Regeln gehalten haben. Denn dann sind die Regeln eher unerheblich, sondern allein der state oft the art gibt den Ausschlag. Wer den weiterentwickelt, wird damit werben. Wer davon abweicht, wird in einer Wettbewerbswirtschaft schnell bloßgestellt.

Viele Regeln verschleiern die tricksenden Profitmacher. Wenige Regeln – zum Beispiel das Verbot von anerkannt gesundheitsschädlichen Zutaten – eröffnen den Wettbewerb und binden die Anbieter an den größten Kundennutzen. Zu viele Regeln führen zu blindem Vertrauen der Verbraucher und gleichzeitig halten sich die Hersteller eben nur an die Regeln und fühlen sich bei allem, was nicht geregelt ist, automatisch im Recht. Ein sich selbst bestärkender Regelkreis, der tatsächlich zu weniger Verbraucherschutz führt, wie man am überbordenden Ideenreichtum der Mogelpackungen sieht.

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