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Die Pfadfinder einer Kultur des Weniger

Bernd Sommer, Harald Welzer: Transformationsdesign – Wege in eine zukunftsfähige Moderne, München 2014, oekom-VerlagBernd Sommer, Harald Welzer: Transformationsdesign – Wege in eine zukunftsfähige Moderne, München 2014, oekom-Verlag Ob Wohnen, Mobilität, oder Ernährung – alles ist im Wandel. Und damit unsere Gesellschaft auch morgen noch sicher, frei, und gesund existieren kann, brauchen wir Veränderung – vor allem was unsere Produktion und unser Konsumverhalten angeht. Davon sind die beiden Autoren überzeugt. Sie plädieren für Reduktion in allen Lebenslagen.

Ein Buch mit dem Namen „Transformationsdesign“ klingt nicht unbedingt verlockend. Ein sperriger Begriff ist das, der wirkt wie ein Relikt aus der Wissenschaftsschlaumeierei-Sprache der 70er Jahre. Doch der Titel des Buches „Transformationsdesign – Wege in eine zukunftsfähige Moderne“, das der Soziologe Harald Welzer mit seinem Kollegen Bernd Sommer verfasst hat, ist nur folgerichtig: Seit 2012 lehrt Welzer als Professor für Transformationsdesign am Norbert Elias Center for Transformation Design & Research (NEC) der Universität in Flensburg. Um was geht es hier: In Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur verändert sich heute alles unaufhörlich und unausweichlich – so schnell wie kaum zuvor. Kein Tag vergeht, an dem Medien und Wissenschaft nicht von Wandel in allen Bereichen unseres Lebens berichten – sei es Wohnen, Mobilität oder Ernährung. Der Titel des Buches meint die Gestaltung eines notwendigen Transformationsprozesses. Dieser ist den Autoren zufolge vor allem für diejenigen Volkswirtschaften notwendig, „deren ökologische Fußabdrücke und CO2-Emissionen pro Kopf rechnerisch um ein Vielfaches über dem liegen, was für eine nachhaltige und zukunftsfähige Weiterentwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft möglich ist“.

Welzer ist mit seinem Bestseller „Selbst denken“ für viele zu einer Galionsfigur einer Bewegung geworden, die das Wachstumsmodell der westlichen Wirtschaft radikal in Frage stellt. In der Co-Autorenschaft seines neuen Werkes gibt er sich allerdings alles andere als radikal, eher moderat. Das mag am wissenschaftlichen Ansatz des Buches liegen – dem leider wohl auch eine etwas spröde Sprache geschuldet ist. Dennoch bietet das Werk für alle, die bisher auf Wachstum als einzigen Parameter für eine funktionierende Wirtschaft gesetzt haben, viele überlegenswerte Impulse.

Masterplan für eine reduktive Moderne

Ausgehend von der Problematik, wie Gesellschaften sicher, frei und gesund existieren können, ohne unsere Ressourcen aufzubrauchen, schlagen Sommer und Welzer das Projekt einer „reduktiven Moderne“ vor: „Bisher gibt es keinen Masterplan, wie sich Gesellschaften unseres Typs in eine reduktive Richtung transformieren können“, schreiben die Autoren. Es geht ihnen um die Frage, ob sich der zivilisatorische Standard, den die Menschen in den frühindustrialisierten Gesellschaften erreicht haben, bewahren lässt oder nicht. Nicht das gesamte System soll sich ändern, schon gar nicht der Kapitalismus abgeschafft werden. Die Autoren plädieren für eine „Schrumpfung oder Abschaffung nicht-zukunftsfähiger Teilbereiche der Gesellschaft mit dem Ziel, andere zu bewahren“. Dazu gehören das Verschwinden von Überflüssigem (6,7 Millionen Tonnen Lebensmittel schmeißen Deutsche jährlich in den Abfall, 800.000 Tonnen Kleider in den Container), die Vermeidung von Aufwand und die Reduktion von Energie und Material.

 Falscher Mythos um grünes Wachstum

Eine Wirtschaft mit „grünem Wachstum“ reiche dafür jedoch beileibe nicht. „Die magische Qualität, die Wachstum heute im politischen Diskurs vorkommt, findet im Begriff des Green Growth seine bislang höchste Vollendung – soll hier doch ein unbegrenztes, stetiges Wirtschaftswachstum bei gleichzeitiger Schonung von Umwelt und Ressourcen möglich sein“. Sachliche Belege dafür, dass diese Annahme wahr sei, gebe es aber nicht. Die Autoren sind sich sicher: Es müssen neue Wege für Produktion und Reproduktion gefunden werden. Dazu gehören verkürzte Arbeitszeiten, ein bedingungsloses Grundeinkommen oder auch Gemeinwohlökologie. Sinnvoll wären zudem Re- und Upcycling-Projekte, die mit Hilfe von Open Source funktionierten.

„Eine reduktive Moderne muss sich in den Strategien des Weglassens einüben“, fordern die beiden Wissenschaftler. Um eine „Kultur des Weniger“ zu erreichen, sei ein wirklicher Pfadwechsel nötig. Dazu bedürfe es eines Abstiegs bestimmter sozialer Gruppen und eines gleichzeitigen Aufstiegs anderer – zum Beispiel wachstumsneutraler Unternehmen, ökologischer Landwirte oder Energiegenossenschaften. Das „Design“ hätte nicht mehr die Aufgabe, Dinge zu gestalten, sondern jene Dinge, die man nicht braucht, aus der Welt zu schaffen. Beispiel: Ein Getränkeproduzent sollte zukünftig keine Flaschen mehr für neues Mineralwasser designen, sondern einfach den Hinweis auf den nächsten Wasserkran geben.

Für viele Unternehmen dürfte eine derartige Selbstlosigkeit ein schwerer Ritt werden.