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Deutschlands Zufriedenheitsblase

Wirtschaftswachstum, ein ausgeglichener Haushalt, sinkende Arbeitslosigkeit und obendrauf der WM-Titel: Die Stimmung im Land ist gut. Doch Vorsicht ist geboten, denn Euphorie und Selbstzufriedneheit können schneller umschlagen als man glaubt.

Wir sind wieder an der Spitze. Die Welt beneidet uns rund um den Globus: um unseren wirtschaftlichen Erfolg, die politische Stabilität und natürlich unsere formidable Weltmeister-Elf. Nie war die Außen- und Binnenwahrnehmung unseres Landes so übereinstimmend positiv, ja fast euphorisch. Zufriedene Deutsche allenthalben. Selbst eine Politikerin ist derzeit populär wie nie und noch populärer als die deutschen WM-Fußballer. Die Kanzlerin toppte zu ihrem runden Geburtstag bei den Zustimmungswerten sogar die kickenden Müllers, Götzes und Schweinsteigers.

Auch wenn schon Ludwig Erhard um die Wirkung der Psychologie auf die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit wusste: Selbstzufriedenheit und Euphorie können schneller umschlagen als viele glauben wollen. Die objektive Lage der deutschen Volkswirtschaft lässt derzeit wenig Raum für Euphorie. Das starke erste Quartal, dem milden Winter geschuldet, relativierte sich im zweiten Quartal dramatisch. Im Wahlkampfmodus des vergangenen Jahres war ohnehin schlicht verdrängt worden, dass sich das reale Wirtschaftswachstum in den Jahren 2012 und 2013 auf sehr bescheidenem Level bewegte.

Dazu passen aktuelle Hiobsbotschaften, die in der allseits positiven Stimmungslage aber fast untergehen. Erstmals seit 2009 ist das Volumen der Sozialleistungen in Deutschland wieder deutlich schneller gewachsen als die Jahreswirtschaftsleistung (BIP). Um 3,4 Prozent stiegen die Sozialausgaben im vergangenen Jahr auf den Rekordwert von rund 812 Milliarden Euro. Das BIP dagegen wuchs nominal, also ohne Inflationsbereinigung, um nur 2,7 Prozent.

Bei den Lohnstückkosten, also den Arbeitskosten pro produziertem Gut, hat Deutschland seit dem Vorkrisenjahr 2007 seinen Wettbewerbsvorsprung deutlich verringert. Um 13 Prozent lagen sie im vergangenen Jahr höher als damals. Und wer die Kosten- und Investitionsstruktur in der deutschen Automobilindustrie beleuchtet, dem dämmert vielleicht, wie schnell immens wichtige Branchen unserer Volkswirtschaft unter Druck geraten können. In Europa stagniert der Automarkt, der langfristig von den deutschen und europäischen Standorten bedient werden soll. Der wachsende asiatische und amerikanische Markt wird von Daimler, Audi/VW und BMW immer stärker durch marktnahe Fabrikation versorgt. Heute noch gehen 75% der deutschen Automobilproduktion in den Export. Wer glaubt, diese hohe Exportquote werde bleiben, der will die Signale nicht hören.

Jetzt erst nimmt der nachlaufende Konjunkturfaktor, der Lohn, richtig Fahrt auf. Wenn selbst der Bundesbank-Chefvolkswirt zu höheren Lohnabschlüssen auffordert, dann haben die Gewerkschaften erst recht keinen Grund zur Lohnzurückhaltung. Die Folge wird eine weitere Verschlechterung der Wettbewerbsbedingungen sein. Doch die Politik der Großen Koalition geht hier seit Monaten mit schlechtem Beispiel voran. Mit ihrer sozialpolitischen Freigebigkeit treiben Union und SPD die Lohnzusatzkosten massiv in die Höhe.

Doch Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall. Die deutsche Zufriedenheitsblase kann schnell platzen.