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Wie konservativ wird die Zukunft?

Die großen Volksparteien verlieren immer stärker an Integrationskraft. Die populistischen Ränder erfreuen sich eines großen Zulaufs. Die bürgerliche Mitte wirkt entleert. Quo vadis, Zivilgesellschaft? Der Historiker Andreas Rödder analysiert, wie eine moderne konservative Politik wirklich aussehen könnte. Er findet klare Antworten, die allen Parteien auf die Sprünge helfen dürften ⎼ gerade in ihrer Abgrenzung.

Mit einfachen politischen Zuschreibungen wie „links“ oder „rechts“ ist es heute nicht mehr getan. Die klassischen sozialmoralischen Milieus als Stützen der Volksparteien sind so gut wie verschwunden. Die Hallen der populistischen Meinungsmacher füllen sich und werden zum Austragungsort politischer Konflikte ⎼ während die bürgerliche Mitte sprachlos zurückbleibt und empört oder still vor Wut verharrt. Die Debattenkultur in der Mitte der Gesellschaft scheint lahmgelegt.

Dass die klassischen politischen Richtungen zurzeit im Nirwana zu verschwinden scheinen, ist kein deutsches Phänomen, sondern ein internationales. Was sind die Gründe und was könnten die Antworten auf diese enorme Verschiebung der politischen Meinung und Agitation in den westlichen Gesellschaften sein? Andreas Rödder, Essayist und Professor für Neueste Geschichte an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, hat mit „Konservativ 21.0 ⎼ eine Agenda für Deutschland“ einen Essay vorgelegt. Das Buch ist mit seiner analytischen Präzision ein Muss für jeden politisch Interessierten.

Die drei Arten des Konservatismus

Rödder geht zunächst dem schwammigen Begriff des Konservatismus auf die Spur und zeigt drei große Strömungen auf: den liberalen Konservatismus, der reaktionäre Konservatismus und den Traditionalismus, der auf die Aufrechterhaltung der bestehenden Ordnung Wert legt. Ebenso versucht Rödder Konservatismus über Werte und Inhalte wie Privateigentum, Freiheit, Religion, Patriotismus oder über das Menschenbild, das er projiziert, zu definieren.

Es wird klar, dass Konservative sich immer mit neuen Entscheidungen arrangieren müssen und deswegen einem gewissen Dilemma ausgesetzt sind: „Konservative verteidigen heute, was sie gestern noch bekämpft haben, und verteidigen morgen, was sie heute bekämpfen.“

Von sozialdemokratischem Denken unterscheiden sich heutige Konservative dadurch, meint Rödder, dass bei ihnen Gesellschaft vor dem Staat kommt. Auch setzen sie „die Ungleichheit von Menschen“ als normal voraus. „Konservative des 21. Jahrhunderts akzeptieren keine ständisch gegliederte Gesellschaft mehr, die sozialen Rang durch Geburt nachweist. Stattdessen folgen Konservative dem Ideal möglichst gleicher Voraussetzungen, deren freie Nutzung aber unterschiedliche Ergebnisse hervorbringt. Eine egalitäre Gestaltung der Gesellschaft nach einem vorgegebenen Modell ist Konservativen fremd“, schreibt der Autor.

Damit meint Rödder vor allem den liberalen Konservatismus ⎼ angefangen beim irisch-britischen Politiker Edmund Burke, der als Vater des Konservatismus gilt, und dem deutschen Philosophen Hermann Lübbe. Für Rödder ist der liberale Konservatismus weder traditionalistisch und schon gar nicht reaktionär. Vielmehr will er „das Rad nicht zurückdrehen. Ebenso wenig will er eine neue Welt erschaffen. Er will vielmehr den Wandel so gestalten, dass er für die Menschen erträglich ist.”

Agenda für politische und wirtschaftliche Orientierung

So weit die Theorie. Doch wie kann nun eine moderne liberal-konservative Politik dazu beitragen, den Wandel so zu gestalten, dass die Menschen ihn nachvollziehen können? Rödder formuliert dazu zehn Thesen, die er als „allgemeine Richtlinien der politischen Orientierung” versteht, die aber „konkreten politischen Schritten vorausgehen“. Seine Agenda für Deutschland reicht von der internationalen Politik und der Flexibilisierung der Europäischen Union über deutsche Bildungs-, Migrations-, Umwelt und Familienpolitik („family mainstreaming statt Ständegesellschaft“) bis zu Fragen der Infrastruktur und Digitalisierung.

Auch die Soziale Marktwirtschaft bedarf der Stärkung und Sicherung, meint Rödder. Nicht nur durch die Finanzkrise 2007/2008 sei das Vertrauen in die Märkte, den freien Handel und die Marktwirtschaft verloren gegangen. Ein Bruch habe sich schon zuvor angebahnt, als sich in den 90er-Jahren die US-amerikanischen Finanzmärkte verselbstständigten und nach der Jahrtausendwende von einer Politik des billigen Geldes beherrscht wurden.

Diese Entwicklung heizte wiederum eine wachsende Verschuldung vieler Staaten zusätzlich an. Schon damals, meint Rödder, wären ordnungspolitische Neuerungen nötig gewesen. Doch zu stark war der amerikanische Markt von der Ideologie Milton Friedmans und der Chicago School of Economics beeinflusst, die ganz auf die Stabilität der sich selbst regulierenden Märkte baute. Das sollte sich als Irrtum erweisen. Für Rödder sind deswegen heute solide Staatsfinanzen die Basis für die nachhaltige Sicherung der Sozialen Marktwirtschaft, verbunden mit Investitionsoffensiven in Sicherheit, Bildung, Grundlagenforschung und europäische Kooperationen.

Letztlich plädiert der Autor für eine bürgergesellschaftliche Leitkultur als Grundlage einer offenen Gesellschaft. Bei dieser „Leitkultur“ darf es nicht stumpf um die Frage gehen Was ist Deutsch?, sondern vielmehr um die Antwort auf die Frage: Wer ist Bürger in Deutschland? „Leitkultur in diesem Sinn gilt für alle“, meint Rödder, „sie schließt nicht aus und diskriminiert nicht, wie es Vorstellungen einer ethnisch homogenen Volksgemeinschaft tun. Sie gibt vielmehr Orientierung für Integration.”

Fazit

Moderne konservative Politik setzt auf ein Konzept für Gerechtigkeit, das Gleichberechtigung und Chancen für alle ermöglicht und engagiert Chancenpolitik vorantreibt ⎼ das ist die Vorstellung des Autors. Im Zentrum einer solchen Politik steht für ihn das Prinzip der Subsidiarität, das Selbstverantwortung und Solidarität gleichermaßen verbindet. Was diese Politik von Ideen anderer Parteien unterscheidet, ist, dass sie keine Ergebnisgerechtigkeit herstellen will. Sie möchte auch nicht die Gesellschaft nach bestimmten Vorgaben umgestalten. Rödders Vorstellung eines modernen Konservatismus akzeptiert, dass Ungleichheit die Folge von individuellen Entscheidungen, Leistungen und von Wettbewerb sein kann. Bleibt nur zu fragen, welche Farben ein solcher Konservatismus zukünftig parteipolitisch tragen wird. Von Schwarz über Gelb bis Grün ist alles möglich.

Andreas Rödder: Konservativ 21.0 – eine Agenda für Deutschland, C.H. Beck, München 2019

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