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Zwang zur Vorsorge statt Altersarmut?

Als Ordoliberaler sitzt man beim Thema Altersvorsorge in Zeiten des demografischen Wandels in der Zwickmühle: Begreifen die rentenversicherungspflichtigen Durchschnittsverdiener, dass sie ohne zusätzliches privates Vorsorgesparen ihren gewohnten Lebensstandard im Rentenalter bei weitem nicht aufrechterhalten können? Dass vielen von ihnen sogar existenzbedrohende Altersarmut droht? Kann der Staat seine Bürger vor den sündhaft teuren Folgen von massenhafter Altersarmut nur schützen, indem er sie zum Vorsorgesparen für das Alter zwingt?

Die Frage beantwortete ich mir, als ich Anfang des letzten Jahrzehnts – damals als Abgeordneter im Deutschen Bundestag – für das ursprüngliche Riester-Rentenmodell plädierte, das jedem versicherungspflichtigen Arbeitnehmer einen obligatorischen monatlichen Sparbeitrag für eine zusätzliche kapitalgedeckte Altersvorsorge abverlangt hätte. Damit sollte ein Ausgleich für das sinkende Rentenniveau der umlagefinanzierten gesetzlichen Rente geschaffen werden. Die Arbeitnehmer hätten den Zwangssparbeitrag damals bei ihrer Gehaltsabrechnung kaum gespürt, weil durch den Systemwechsel auf die nachgelagerte Besteuerung die Steuerpflicht auf ihren Rentenbeitrag in Stufen weggefallen ist und sich dadurch der Nettolohn für viele leicht erhöhte. Doch es kam anders. Die BILD-Zeitung titelte in großen Lettern: „Rot-Grün plant Zwangsrente“. Und schon knickten Kanzler Gerhard Schröder und Joschka Fischer ein. Aus dem sinnvollen Obligatorium, wie es Bundesarbeitsminister Walter Riester ursprünglich konzipiert hatte, wurde die freiwillige, mit zig-Milliarden Steuerzuschüssen alimentierte Riester-Rente, mit deren Vermarktung sich vor allem Versicherungswirtschaft und Banken über Jahre Milliarden an Provisionen verdienten.

Die Resonanz beim Publikum war dagegen trotz aller staatlichen Vertriebsanreize für die Versicherungswirtschaft eher bescheiden. Seit 2002 sind knapp 16 Millionen Riester-Verträge in Deutschland abgeschlossen worden. Nur auf knapp 13 Millionen Verträge werden überhaupt noch Beiträge eingezahlt. Nach geltendem Recht könnten aber fast 36 Millionen Menschen, neben den sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmern auch Beamte, Soldaten und Richter, „riestern“. Von Praktikern an der Vertriebsfront ist schon seit Jahren zu hören, dass die falschen Leute „riestern“, nämlich eher die mit den höheren Einkommen, darunter auch überdurchschnittlich viele Beamte. Menschen mit niedrigen Einkommen, für die ein späteres Rentenniveau vor Steuern von etwa 43 Prozent mit Sicherheit in die Altersarmut führt, ersparen sich die Vorsorge – allen Steueranreizen zum Trotz.

Doch genau dieser kollektive Vorsorgeverzicht kann sich für unsere alternde Gesellschaft zum Bumerang entwickeln. Denn der dürfte mit Sicherheit zu verbreiteter Altersarmut führen. Die Sozialausgaben werden explodieren – für die Mindestsicherung im Alter, für Hartz IV und ergänzende Sozialleistungen. Steuern und Sozialbeiträge der Erwerbstätigen werden auf breiter Front steigen. Das wird die Nettoeinkommen strukturell reduzieren. Als Folge tritt ein massiver Verlust an Wachstumsdynamik der gesamten Volkswirtschaft ein. Wer diese Risiken und Nebenwirkungen vor Augen hat, der muss bei der so dringenden Revision der Riester-Rente heute die Frage nach dem Vorsorgezwang erst recht mit Ja beantworten. Im Interesse der gesamten Gesellschaft und des langfristigen Wohlstands unserer Volkswirtschaft.

Es gibt elementare Lebensrisiken, Krankheit und Pflegebedürftigkeit etwa. Doch auch ein auskömmliches Einkommen im Ruhestand gehört zu diesem Risikokreis. Wenn der gewohnte Lebensstandard im Alter für viele realistisch bedroht ist, muss dann vielleicht doch der Staat im Interesse des Gemeinwohls uns Bürger zu unserem Glück zwingen? Denn wer heute auf Freiwilligkeit pocht, selbst vorsorgt und dann im Alter über seine Steuern die Vielen alimentieren muss, die auf ihre individuelle Vorsorge verzichtet haben, hat den Schaden zu tragen. Für Protest ist es dann zu spät.

Bei aller Gefahr von Vergleichen: Haben Sie jemals Beschwerden gehört, dass der Staat uns Kraftfahrzeughalter verpflichtet, eine Zwangshaftpflichtversicherung abzuschließen? Wer selbst unverschuldet bei einem Unfall geschädigt wird, ist immer froh, wenn die Zwangsversicherung des Unfallverursachers den Schaden begleicht, auch wenn der Fahrer selbst mittellos ist.