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Sind Fair Values noch Marktwirtschaft?

Wie ist es zur Finanzkrise gekommen? Viele Wissenschaftler halten internationale Bilanzierungsregeln, insbesondere den Fair Value für ursächlich. Selbst der oberste deutsche Bankenaufseher Jochen Sanio bezeichnet ihn als einen „wesentlichen Teil des Problems“. ÖkonomenBlog-Gastautor Gerhard Schroeder erklärt weshalb: der Fair Value sei nichts weiter als eine Prognose auf Grundlage von Wahrscheinlichkeitsverteilungen – mit der Realität habe dies nichts zu tun. Ausgerechnet aus der Finanzbranche kommt anlässlich der Krise die Kritik, der Markt, zentrales Element der Marktwirtschaft, würde den Wert komplexer Finanzprodukte nicht richtig widerspiegeln. Alternativ wird dazu vorgeschlagen den so genannten Fair Value anzusetzen, der mit komplizierten Formeln berechnet wird, die auf Wahrscheinlichkeitsverteilungen basieren. Fair Values sind Nachfrage-unabhängig - ein Phänomen, das eher aus der Planwirtschaft bekannt ist.

Diese Praxis ist seit 2005 für Finanzinstitute möglich, wird inzwischen aber für die “reale Wirtschaft” notwendig, wenn Derivate in den Bestand genommen werden. Internationale Accountingstandards, die für die EU durch ein IAS Board in London erarbeitet werden, sind ein Fortschritt (es sei denn, man stößt sich an den extrem komplizierten Texten). Nur die Bilanzierung sog. Fair Values ist umstritten. Die Anleitung ist so vage formuliert, daß eine große Bandbreite an Formeln anwendbar ist, ganz zu schweigen von den sieben oder mehr Faktoren, die festzulegen sind. Da ist eine ganze Industrie entstanden, die Modellformeln entwickelt und Schätzverfahren für die Faktoren, vor allem die Volatilität, anbietet.

Heikel wurde die Formelbewertung durch eine erneute Ausweitung der Anwendung von IAS 39 im September 2008 durch eine EU-Verordnung von McCreevy und Pöttering. Danach war es zulässig, etwa Staatsanleihen, die nicht oder schwach notierten, ins Anlagevermögen zu verlegen und per Formel zu bewerten – rückwirkend zum 1. Juli!

Die Verfechter des Fair Value argumentieren nun so, dass ihre Modelle den Wert besser, “richtiger”, bestimmen würden als die realen Märkte. Das ist eine verwegene These. Tatsächlich hatte das Modell von Black und Scholes den Charme, ein Modell für die Börsenpreisbildung zu liefen, das sich aus der Brownschschen Bewegung – das Zittern unter dem Mikroskop – Optionen berechenbar zu machen schien. Das Zittern des Präparats stand für die Kursbewegungen. Nach 1900 fanden Bachelier und Einstein heraus, dass unsichtbare Wassermoleküle die Bewegung verursachten.

Aber Orders sind nicht gleich groß wie Moleküle, der Markt kann sich erhitzen, die  Volatilität sich erhöhen: Ende 2008 auf über 60 Prozent, Werte die seit 2000-2002 erst jetzt wieder erreicht wurden. Das Black-Scholes-Modell setzt aber konstante Volatilität voraus und kann deswegen nicht – schon gar nicht in Krisenzeiten – angewendet werden.  

Man kann mit den Modellen Werte, Preise, Kurse auf mehrere Kommastellen ausrechnen. Aber sie bleiben Prognosen, die auf Wahrscheinlichkeitsverteilungen beruhen. Modell-Design und Faktoren-Ansatz bieten viel Spielraum. Sie können nicht mit Marktpreisen konkurrieren, zu denen Geschäfte zwischen mindestens zwei oder besser mehr Marktteilnehmern gemacht werden.

Marketmaking ist kein Ersatz für Markt. Die Geldkurse sind in der Regel ungünstig. Ziel ist es, ein Minimum an Handel zu erlauben, damit hinter den errechneten Quotes Umsätze stehen. Kurse nach dem Marktmodell stellen dagegen auf Preise ab, die ein Maximum an Handel erlauben. Viele Finanzprodukte haben Wettcharakter, sind damit nahezu unbegrenzt vermehrbar und tendieren zum Wertverfall. Das Marktmodell für die Kursfeststellung geht dagegen von knappen Gütern und Geldmengen aus.


ÖkonomenBlog-Gastautor Gerhard Schroeder ist Diplom-Kaufmann, war 30 Jahre bei IBM im Finanzbereich tätig (D, USA, F), hat bei Prof. von Stein in S-Hohenheim hospitiert und hatte ab 2001 Lehraufträge über Statistik, Finanzmärkte und Islamic Banking an der Uni Flensburg.