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Schöpferische Zerstörung?

Der Strukturwandel, den Schumpeter einst als „schöpferische Zerstörung“ bezeichnete, verdrängt Ladengeschäfte aus Innenstädten zu Gunsten von uniformen Franchiseunternehmen. Doch mit den Ladengeschäften stirbt mehr als wir glauben.

Die Symptome sind überall wahrzunehmen, ja wir können sie förmlich riechen: Selbst in besten Innenstadtlagen stinkt es in Deutschland nach Frittenöl und Fastfood-Einerlei. Überall die gleichen Filialisten und Franchise-Konzeptläden, umrahmt von einer trostlosen Kettengastronomie, den unsäglichen Back- und Naschverkaufsstätten und den omnipräsenten Tele-Shops. Wo einst tatsächlich Angebotsvielfalt und Qualität dominierten, werden heute nur noch „Einkaufserlebnisse“ beschworen, wenn mal wieder die Werbetrommel für die unzähligen verkaufsoffenen Sonntage oder das allseits beliebte „Nacht-Shopping“ gerührt wird.

Gigantische Milliardensummen flossen jahrzehntelang in die Innenstadtsanierungen. Doch heute stellen immer mehr Kommunalpolitiker konsterniert fest, das schöne Fassaden und aufwendig gestaltete Plätze ohne das geschäftige Treiben einer einst breiten Angebotspalette unzähliger Ladengeschäfte, oft noch mit Handwerksbetrieben kombiniert, ganz schön öde wirken. Die ehemals besten Lagen der Städte sehen einander immer ähnlicher, ersticken in ihrer Uniformität und den Abfällen von Legionen von Fast-Food-Buden.

Das Sterben des Einzelhandels ist seit vielen Jahren zu beobachten, doch die Dynamik hat sich in den letzten Jahren massiv verschärft:  von der Großstadt bis in die Landgemeinden. Waren es vor Jahrzehnten die großflächigen Märkte auf der grünen Wiese, die Handwerk und Handel aus den Innenstädten und aus dem Markt drängten, revolutioniert inzwischen die Online-Einkaufslust der Konsumenten den gesamten Einzelhandel, aber auch viele andere Branchen. Mit zweistelligen jährlichen Wachstumsraten explodiert der Online-Handelsumsatz in unseren gesättigten Märkten unaufhörlich. Er durchbricht in diesem Jahr bereits die 33 Milliarden Euro-Schwelle.

Nicht mehr leibhaftige Kunden rennen mit Einkaufstüten durch die Innenstädte, sondern gehetzte Zusteller, oft schlecht bezahlt, suchen verzweifelt die bei Amazon, ebay, Zalando & Co georderten Pakete ihren Kunden zuzustellen.

Erlebt der stationäre Einzelhandel in diesen Jahren, um eine starke Metapher des großen Ökonomen Joseph Schumpeter zu gebrauchen, seine finale „schöpferische Zerstörung“? Vollendet der Innovationsschub des Internetzeitalters, in dem sich unser Konsumverhalten in kurzer Zeit so fundamental zu verändern scheint, jetzt endgültig, was in vielen Jahren Bau- und Elektronikmärkte und Handelsketten auf der Grünen Wiese nicht geschafft haben: das Aussterben des stationären Facheinzelhandels?

Mit dem Tod des inhabergeführten Einzelhandels gehen ganz nebenbei auch Kommunikationsräume verloren, in denen sich leibhaftige Menschen beim Einkauf in zufälliger Regelmäßigkeit treffen und Freud und Leid quasi nebenbei austauschen konnten. Anonyme Netz-Interaktion – und sei es beim „Shoppen“ – kann doch auf Dauer keinen Ersatz für das wahre Leben darstellen? Das Aus des stationären Einzelhandels schafft auch Hunderttausende von Geschäftsinhabern mit ab, die zum Teil über Generationen sich und ihre oft mitarbeitenden Familien ernährten, ohne nach dem Staat oder der 35-Stunden-Woche zu rufen. Und ganz nebenbei übrigens auch die Verantwortung für den öffentlichen Raum um ihre Ladengeschäfte übernahmen – Stadtreinigung inklusive!

Mit dem Einzelhandel stirbt in unserer Gesellschaft weit mehr als wir glauben. Denken Sie einfach vor Ihrem nächsten Online-Kauf an die Risiken und Nebenwirkungen.