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Der Kampf um Werte in einer globalen Welt

Der abscheuliche Anschlag auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo verdeutlicht dramatisch, dass fundamentale Werte der Demokratie – die Freiheit der Meinung und die Pressefreiheit – religiösen Fanatikern überall auf der Welt den Vorwand liefern, Todesurteile im Namen Allahs zu exekutieren. Die globale Empörung über die Mordtat ist zwar groß und vor allem in den Medien ein beherrschendes Thema. Schließlich wurden Kollegen zur Zielscheibe des tödlichen Meinungsterrors. Doch wie stark sich die Furcht vor dem Terror auch in Journalistenköpfen eingenistet hat, belegten am Tag nach dem Terroranschlag von Paris die Reaktionen vieler Medien im angelsächsischen Raum. Dort wurden die islamkritischen Cartoons aus Charlie Hebdot überwiegend nicht nachgedruckt, Fotos der Ermordeten mit retuschierten Karrikaturen in der Hand veröffentlicht und im TV-Nachrichtenkanal CNN verpixelt. In deutschen Medien dagegen herrschte viel mehr Mut, sich für die Presse- und Meinungsfreiheit als Mahnung an die ermordeten Kollegen stark zu machen. In vielen Blättern wurden die Cartoons prominent und unzensiert auf den Titelseiten veröffentlicht.

Doch hinter dem aktuellen Pariser Anschlag und vielen anderen, die vorausgingen und – leider – auch noch folgen werden, steckt im Kern ein globaler Kulturkampf, der sich im 21. Jahrhundert immer stärker zu entfachen scheint. Als der Amerikaner Samuel P. Huntington 1996 sein Werk The Clash of Civilizations (Kampf der Kulturen) publizierte, war der Al-Quaida-Anschlag auf das World-Trade-Center noch Jahre entfernt. Doch nach Nine-Eleven beherrschten Huntingtons Thesen kurzzeitig die Debatten. Obwohl ich auch heute bei weitem nicht alle machtpolitischen Schlussfolgerungen Huntingtons teile, der Kern seiner Analyse manifestiert sich von Jahr zu Jahr stärker in der globalen Realität.

Nach dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts und der alten Kalten Krieg-Ordnung hat sich vor allem ökonomisch eine westliche Dominanz herauskristallisiert, die sich in der Adaption kapitalistischer Marktlogik von Peking über Moskau bis nach Havanna niederschlägt. Doch mit der ökonomischen Dominanz gehen keineswegs zivilisatorische Errungenschaften westlicher Demokratien Hand in Hand. Abgesehen davon, dass im globalen Kapitalismus oft genug fundamentale Ordnungsprinzipien auf dem Altar der grenzenlosen Gier geopfert werden: Meinungs- und Pressefreiheit, Rechtstaatlichkeit und Toleranz im Umgang mit Minderheiten oder der Schutz vor schamloser Ausbeutung von Mensch und Natur werden oft genug mit Füßen getreten. Marktwirtschaft und Demokratie sind nicht von selbst ein symbiotisches Paar. Für politische wie wirtschaftliche Freiheit und fairen Wettbewerb muss tagtäglich gekämpft werden. China und Russland, aber auch viele kleinere Staaten der Welt, belegen, dass wirtschaftliche und politische Freiheit keine selbstverständlichen Partner sind. Und wer sich den Umgang mit Terrorverdächtigen in der amerikanischen Demokratie in Erinnerung ruft, der spürt, wie gefährdet demokratische Grundwerte selbst in ihren vermeintlichen Trutzburgen sind.

Woran halten sich Menschen, wenn sie sich von einer Ordnung überrollt sehen, die sie in ihrer kulturellen Identität bedroht? Hier kommt als sinnstiftender Faktor die Religion ins Spiel, wie Huntington vor fast zwanzig Jahren schrieb. Und da kommt dem Islam als großer Religionsgemeinschaft mit mehr als 1,5 Milliarden Menschen auf diesem Planeten eine gewichtige Rolle zu. Aus der kulturellen Überfremdung mit dem westlichen (amerikanischen) Way of Life resultieren Abwehrreflexe, die sich immer stärker in den Köpfe und Herzen von Millionen Menschen einnisten und in mehr als nur Einzelfällen in fanatischen Todesaktionen münden.

Die Abwehrreaktionen sind aber nicht nur auf den islamischen Kulturkreis begrenzt. Hass und Intoleranz nisten auch in den Köpfen von „eingeborenen“ Deutschen. Wie viel Überfremdungsangst steckt hinter denen, die in den letzten Wochen für „Pegida“ in Deutschland auf die Straße gingen? Schon der Name sagt hier eigentlich alles: Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes. Kein Kulturkampf? Wie schaukeln sich Hass und Gewalt auch in der angeblich zivilisierteren Welt hoch, wenn in Deutschland oder anderswo Asylbewerberheime brennen und Moscheen und Synagogen geschändet werden?

Auch die Demokratie ist eine zerbrechliche Ordnung. Deshalb muss sich die zivilisierte Welt ihres eigenen Wertefundaments immer wieder aufs Neue versichern. Dazu bedarf es einer kritischen, aber toleranten gesellschaftspolitischen Debatte, die das Fremde, das Anderssein achtet, ohne die eigene Identität vor lauter political correctness aufzugeben. Und vor allem: die eigenen Werte müssen in einer Gesellschaft von der überwiegenden Mehrheit auch glaubwürdig gelebt werden. Das gilt für den einzelnen Bürger, das gilt für die Wirtschaftsakteure und natürlich auch für die Politik. Denn die Ursachen von Terror werden mit Werten bekämpft, nicht mit ihrer Einschränkung. Ohne Werte kann es auf diesem Globus weder persönliche Freiheit noch materiellen Wohlstand geben.