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Weder marktwirtschaftlich noch sozial: Was aus der Partei Ludwig Erhards geworden ist

Nicht die Soziale Marktwirtschaft ist in einer Krise, sondern ihre faktische Abwesenheit, meint Prof. Dr. Andreas Freytag von der Uni Jena. Ein Grund für diese Entwicklung: die CDU. Die habe zur Erosion der Sozialen Marktwirtschaft beigetragen. Jetzt will sich die Partei von Ludwig Erhard ein neues Grundsatzprogramm geben. Es würde völlig ausreichen, das bestehende zu lesen und umzusetzen, so Freytag. 

Auf ihrem 30. Parteitag hat die CDU Deutschlands dem Bundesvorstand den Auftrag mitgegeben, zum 31. Parteitag einen Antrag auszuarbeiten, mit dessen Hilfe eine breite öffentliche Diskussion zur Erneuerung, Stärkung und zukunftsfesten Gestaltung der Sozialen Marktwirtschaft angestoßen werden kann.

Dies ist zunächst sehr lobenswert, denn um die Soziale Marktwirtschaft ist es in Deutschland aktuell nicht gut bestellt. Allerdings ist nicht die Soziale Marktwirtschaft selbst in einer Krise, sondern ihre faktische Abwesenheit das Problem; sie scheint eher in Vergessenheit geraten zu sein angesichts des Wirtschaftsbooms mit steigenden Löhnen und der ausgesprochen guten Beschäftigungslage. Man muss allerdings bedenken, dass wir zum einen heute die Früchte der Agenda 2010 ernten und zum anderen die aus Sicht Deutschlands faktische Unterbewertung des Euro, die unserem Land einen Exportboom beschert.

Seit den letzten großen arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischen Reformen sind etwa 15 Jahre vergangen. Im Windschatten dieser Reformen hat die Kanzlerpartei CDU in den vergangenen drei Legislaturperioden eher zur Erosion der Sozialen Marktwirtschaft als zu ihrer Erneuerung, geschweige denn zukunftsfesten Gestaltung beigetragen. Dabei spielt es nur eine untergeordnete Rolle, dass etliche der weiter unten beschriebenen politischen Maßnahmen nicht von der CDU, sondern vom sozialdemokratischen Koalitionspartner initiiert wurden. Als führende Partei in der Regierung hätte die CDU vieles verhindern können.

Ein Übermaß an Bürokratisierung, rekordverdächtige Subventionszahlungen, verzerrende Eingriffe in die Preisbildung auf vielen Märkten und die grobe Vernachlässigung der Alterssicherung angesichts einer ungünstigen demographischen Entwicklung sind die wesentlichen Ergebnisse der Politik der letzten Dekade, die im Grundsatz weder marktwirtschaftlich noch sozial genannt werden kann.

Für einen Antrag für ein neues Grundsatzprogramm besteht keine echte Notwendigkeit. Denn im bereits vorhandenen Programm, beschlossen am 3. und 4. Dezember 2007 in Hannover, hat die CDU sich recht klar zur Sozialen Marktwirtschaft bekannt. Drei Zitate aus diesem Grundsatzprogramm mögen zur Unterstützung dieser These herhalten:

Textziffer (Tz.) 140: „… Damit ist die Soziale Marktwirtschaft die wirtschaftlich-soziale Ordnung der freiheitlichen Demokratie. Denn sie ist vom gleichen Impuls getragen wie die Staatsverfassung: Es geht ihr um die Wahrung der Würde und Freiheit des Menschen vor Übergriffen des Staates und vor der Willkür von Mitmenschen. Sie trägt so wesentlich zur inneren Stabilität des Gemeinwesens bei.“

Die Würde des Menschen ist in der Tat eine wesentliche Begründung für die Soziale Marktwirtschaft. Denn nur in einer freien marktwirtschaftlichen Gesellschaft können die Menschen ihrer Verantwortung für sich selbst und ihre Kinder gerecht werden, indem sie für ihre Handlungen einstehen und von anderen Menschen auf Augenhöhe betrachtet werden. Insofern kann man der CDU hier nur zustimmen.

Aber wie verträgt sich diese Aussage zum Beispiel mit dem neuen Verbraucherbild der großen Koalition, die den „mündigen Verbraucher“ als ein überholtes Konzept ansieht und die Menschen mit Hilfe von zahlreichen Schubsern (Nudges) beziehungsweise Vorschriften erziehen will? Man denke auch an die ständigen Debatten zum Energiesparen oder die Überlegungen zum Dieselverbot bis hin zur technologiespezifischen Förderung von Elektroautos.

Der Würde des Menschen wäre sicherlich mehr geholfen, wenn es der Politik gelänge, für sämtliche Transaktionen Vollkosten, also beispielsweise auch die Externalitäten der Energieversorgung, in Rechnung zu stellen. Dann hätten die Bürger die Wahl zwischen umweltfreundlichem und preiswertem Verhalten und weniger schonendem, aber teurem Umgang mit der Energie. Mit Sozialer Marktwirtschaft kann man Umweltschutz auch ohne Bevormundung praktizieren.

Auch die wenig nachhaltige Rentenpolitik wirkt inkompatibel mit der Menschenwürde, wenn es nicht gelingt, die Rentenzahlungen auch für die Generation der Babyboomer auf einem angemessenen Niveau zu halten. Anstatt die Rente sicherer zu machen und den Weg der großen Koalition der Jahre 2005-2009 mit einer moderaten Verlängerung der Lebensarbeitszeit fortzuführen, wurden 2014 mit einer großzügigen Frühverrentungspolitik falsche Anreize gesetzt: Während 53-jährige Arbeitnehmerinnen sich fragen, ob die Rente reicht, freut sich die reichste Rentnergeneration der Geschichte über zwei zusätzliche Rentenjahre. Damit fehlen zum einen Arbeitnehmer, und zweitens werden große Belastungen für die Zukunft aufgebaut. So hatte Ludwig Erhard die Soziale Marktwirtschaft sicher nicht gemeint.

Tz. 163: … Wir wollen die Staatsquote senken, Bürokratie abbauen, das Arbeitsrecht überschaubar und flexibel sowie das Steuerrecht wettbewerbsfähig gestalten und die Bedingungen für die Unternehmensfinanzierung verbessern.“

Auch dieses Zitat spiegelt die korrekte Interpretation der Sozialen Marktwirtschaft wider. Aber man kann nur feststellen, dass keines der angesprochenen Ziele seit 2007 erreicht wurde. Stattdessen fordert das Berichtswesen (Compliance) den Unternehmen inzwischen große Anstrengungen ab; dies gilt vor allem für den Mittelstand. Die Staatsquote ist angestiegen, und das Arbeitsrecht wird immer komplexer. Die Geldpolitik der EZB, für die die Bundesregierung die Verantwortung in der Tat nicht – oder nur zu einem kleinen Teil – übernehmen kann, erschwert zunehmend die Finanzierung junger und innovativer Unternehmen.

Die Steuer- und Abgabenbelastung laut OECD in Deutschland ist rekordverdächtig. Inzwischen zahlen mittlere Einkommensbezieher regelmäßig den Spitzensteuersatz der Einkommensteuer; die Unternehmensbesteuerung bedarf ebenfalls dringender Korrekturen. Die Grundsteuer ist verfassungswidrig, und die Grunderwerbsteuer ist in manchen Bundesländern eher räuberisch zu nennen.

Die CDU sollte deshalb keine Zeit darauf verwenden, eine neue Schrift zur Erneuerung, Stärkung und Zukunftsfestigkeit der Sozialen Marktwirtschaft zu verfassen.  Sie sollte ihre Energie darauf richten, den Worten Taten folgen zu lassen.

Angesichts der beschlossenen Steuersenkung in den Vereinigten Staaten werden andere Länder mitziehen. Dann wird es Zeit für die Bundesregierung, den Fiskus wieder maßvoll agieren zu lassen. Bislang fehlte dazu die politische Kraft, dennoch muss es auf die Agenda.

Tz. 165: „Wir müssen mehr Freiheit und Wettbewerb ermöglichen. Dies heißt vor allem, Märkte zu öffnen und offen zu halten, unlauteren Wettbewerb zu unterbinden und der Konzentration wettbewerbsgefährdender wirtschaftlicher Macht entgegenzuwirken. Wir wollen staatliche Subventionen begrenzen und abbauen sowie weiterhin Wirtschaftsbetriebe mit staatlicher Beteiligung privatisieren. Auch für die kommunale Ebene gilt: Die öffentliche Hand soll nur dann tätig werden, wenn eine Leistung nicht ebenso gut oder besser durch Private erbracht werden kann.“

Wie schon erwähnt und bereits vielfach dokumentiert, werden in der Bundesrepublik Subventionen in Höhe von 160 Milliarden Euro pro Jahr gewährt (Steuererleichterungen und Zahlungen aus Brüssel sind eingerechnet); dies sind etwa fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Dabei sind die Zahlungen, die private Haushalte für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und für die Energiewende zahlen müssen, nicht eingerechnet. Gerade Letzteres ist ein Beispiel sowohl für allokative Ineffizienz als auch für soziale Ungerechtigkeit. Das Solarpanel auf dem Dach können sich nur Hausbesitzer leisten; bezahlt werden die dort anfallenden Gewinne von allen Stromnachfragern, auch den ärmsten!

Die Bedeutung kommunaler Unternehmen ist in der Bundesrepublik überragend hoch; sie setzen knapp 300 Milliarden Euro pro Jahr um. Vielfach werden ehemals privatisierte Aufgaben wieder zurück in die staatliche Hoheit geführt, obwohl es dafür größtenteils keine Notwendigkeit gibt. In den Augen vieler Beobachter stellt der Wohnungsmarkt eine Ausnahme dar, denn dort gibt es zum Teil eine erhebliche Diskrepanz zwischen der Miethöhe und der Zahlungsfähigkeit der potentiellen Mieter. Dafür sollte man aber nur sehr vorsichtig private Anbieter verantwortlich machen, denn die ständig kleinteiliger werdenden Regulierungen einschließlich der Mietpreisbremse machen ein privates Angebot bezahlbaren Wohnraums nicht attraktiver. Ganz im Gegenteil, sie dürfte Anreize für Angebotssteigerungen im Hochpreissegment setzen. Dennoch kann man öffentliche Wohnungsunternehmen nicht grundsätzlich verteufeln; zu wichtig ist das Wohnen.

Dies sind nur einige Beispiele dafür, wie die gegenwärtige, von der CDU-geführten Bundesregierung betriebene Politik die Grundpfeiler der Sozialen Marktwirtschaft untergräbt, obwohl das Grundsatzprogramm der Partei so vielversprechend klingt. Dieser Widerspruch ist frappant und ist durchgängig beobachtbar. Das Grundsatzprogramm liest sich auch an vielen anderen Stellen wie eine Zitatensammlung von Ludwig Erhard; wer es ohne Kenntnis der Realität liest, ist begeistert.

Die CDU sollte deshalb keine Zeit darauf verwenden, eine neue Schrift zur Erneuerung, Stärkung und Zukunftsfestigkeit der Sozialen Marktwirtschaft zu verfassen.  Sie sollte ihre Energie darauf richten, den Worten Taten folgen zu lassen. Die Themenliste ist lang: Sie umfasst Steuerpolitik, Rentenpolitik, Energie- und Verkehrspolitik, Subventionsabbau, Bürokratieabbau und Bildungspolitik. Das hilft nicht nur den Menschen, sondern dürfte auch die CDU selber wieder stärken (und erneuern).

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