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“Asia 2030” von Karl Pilny: Wie umgehen mit dem Aufstieg Asiens?

Schon heute gilt Europa für seine schärfsten Kritiker als der kranke Mann der Weltwirtschaft. Die Europäische Union zerfasere, China und die USA seien dem Alten Kontinent längst enteilt, heißt es. Fest steht: Will Europa zukünftig mitspielen, sollte es die asiatischen Wachstumspläne nicht weiter ignorieren, sondern sie mitgestalten.

An Asien geht für Europa kein Weg mehr vorbei ⎼ wirtschaftlich und technologisch. Auch in den USA und sogar in Israel herrschen heute bereits bessere Bedingungen für neue Ideen und technischen Fortschritt als auf dem alten Kontinent. Manche Prognosen gehen davon aus, dass bis zum Jahr 2050 das Pro-Kopf-Einkommen in Asien um das Sechsfache im Vergleich zu heute wächst ⎼ damit wären etwa drei Milliarden Asiaten als wohlhabend zu bezeichnen.

In seinem nun erschienenen Buch „Asia 2030 ⎼ was der globalen Wirtschaft blüht“ bestätigt der Asienexperte und Jurist Karl Pilny die These vom „asiatischen Jahrhundert“, in dem „China, Indien, Japan und Indonesien die wirtschaftliche Vormachtstellung erlangen werden“. Nur die USA könnten in rund 20 Jahren noch mithalten, Europa sei dann endgültig an den Rand gedrängt.

Eine starke Rolle wird den Prognosen zufolge auch der Verband Südostasiatischer Staaten (Asean) mit Brunei, Kambodscha, Indonesien, Laos, Malaysia, Myanmar, den Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam einnehmen.  Sollten die Spannungen der asiatischen Länder und Märkte in den nächsten 15 Jahren nicht eskalieren, sei das Szenario eines bis dahin nie da gewesenen globalen Reichtums möglich, ist sich Pilny sicher.

Mitgestalten statt ignorieren

Nach Lektüre der rund 300 Seiten über „neue Mächte“, „neue Märkte“ und „neue Menschen“ – wird der selbstbewusste Europäer zwar nicht in Demut verfallen, aber wohl zur Kenntnis nehmen müssen, dass Asien die westliche Welt hinsichtlich der Bevölkerungszahl, des Bruttoinlandsprodukts, bei Investitionen in Technologie sowie bei Patenten und Militärausgaben bei Weitem überholt haben wird. Autor Pilny empfiehlt: Damit Europa ansatzweise mithalten kann, solle es heute von seiner griesgrämigen und furchtsamen Zuschauerrolle lassen, sich nicht weiter in Ablehnungsphrasen suhlen, sondern endlich mitgestalten.

Besonderes Augenmerk legt Pilny, Präsidiumsmitglied beim Bundesverband Deutsche Seidenstraßen Initiative (BVDSI), freilich auf „die neuen Seidenstraßen“, deren Ausbau zu Lande und zu Wasser China und an der Spitze Präsident Xi Jinping eifrig und unaufhaltsam vorantreiben. Denn China will nicht länger Werkbank der Welt, sondern innovatives Dienstleistungs- und Technologiezentrum werden. Im Gegensatz zum Westen, wo oft nur in Quartalsberichten und Legislaturperioden gedacht werde, meint Pilny, plane China für lange Zeiträume. Der Autor prognostiziert, dass das Reich der Mitte 2030 die größte Volkswirtschaft der Welt sein wird, gefolgt von den USA, Indien und Japan.

Vernetzung westlicher und östlicher Güter

Es ist kein Geheimnis, dass China mit der Seidenstraßen-Initiative im Volumen von 900 Milliarden US-Dollar seinen Einfluss weltweit steigern möchte. Peter Frankopan, Professor für Weltgeschichte und Leiter des Zentrums für byzantinische Forschung der Universität Oxford, sieht im Seidenstraßen-Projekt vor allem eine Parallele zum einstigen Aufstieg Europas in der frühen Neuzeit: Nur durch die Erschließung neuer Handelswege und die Eroberung neuer Gebiete auf dem amerikanischen Kontinent habe Europa ins Zentrum der Weltwirtschaft rücken können, wird er in der FAZ zitiert.

In Asien geschehe nun Ähnliches: Der Aufstieg des Kontinents lasse sich allerdings nur verstehen, wenn man die enge Vernetzung mit der westlichen Welt und deren Abhängigkeit von asiatischen Gütern, Dienstleistungen und Rohstoffen bedenke. Während früher die „alte“ Seidenstraße Asien mit den wichtigsten Handelsrouten des europäischen Mittelalters verknüpfte, baut China heute die Projekte seiner „Belt and Road“-Initiative (BRI) in weiteren 49 Ländern aus ⎼ von Kasachstan bis Ostafrika, von Griechenland bis Indonesien. China investiert in Häfen in Sri Lanka, in Hochgeschwindigkeitsbahnstrecken in Kenia, in Tunnel durch das Himalaja-Gebirge und in pakistanische Kohlekraftwerke.

Schon jetzt werden per Zug zahlreiche Waren über Kasachstan und Russland bis nach Duisburg transportiert. Dies ist rund ein Drittel schneller und billiger als der Containertransport, meint Pilny. Durch eine neue maritime Seidenstraße würden die Effekte noch gesteigert. Laut Schätzungen der Weltbank sinken entlang der neuen Seidenstraße die Handelskosten zukünftig um zehn Prozent.

Und nicht nur im Rahmen des Seidenstraßen-Projekts, sondern auch in Afrika und Südamerika investiert China riesige Summen. Seit 2009 ist China Afrikas größter Handelspartner. Auch offeriert das Land beim Aufbau von Infrastruktur und Millionenstädten Schulungen und Wissenstransfer.

Angesicht solcher Investitionen ist es die Frage, ob die neuen Seidenstraßen wirklich ein offenes Projekt zum Wohle der Menschheit sind, wie Pilny es andeutet, oder ob es sich doch vor allem um chinesische Industriepolitik handelt. Sicher ist, dass der wirtschaftliche und technologische Fortschritt Chinas auch mit einer repressiven Innenpolitik und einer detaillierteren Überwachung der Bevölkerung einhergeht.

200 Millionen Arbeitsmigranten mit unsicherem Rechtsstatus soll es geben, weitere 280 Millionen Chinesen sollen immer noch keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Lange glaubte man im Westen, dass sich China nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch der westlichen Welt annähern werde. Doch seit Xis Wirken meinen das immer weniger. Pilny allerdings ist optimistisch, dass der Westen eine wirkliche Gefahr durch China nicht zu befürchten hat ⎼ weder geopolitisch noch militärisch. Es bleibt aber abzuwarten, wie Chinas Regierung verfährt, wenn ihre Kreditnehmer am Wegesrand der neuen Seidenstraßen eines Tages die gewährten Kredite vielleicht nicht mehr bedienen können.

Fazit

Ein detailreiches und gut analysierendes Buch, das deutlich zeigt, wie sehr der asiatische Wachstumsdrang tatsächlich auch eine Zeitenwende für Europa bedeutet. Das Seidenstraßen-Projekt bietet für den Westen Risiken, aber auch Chancen. Auf beides haben Europa und Deutschland noch keine sinnvolle Antwort gefunden. Peking alles recht machen zu wollen wäre genauso falsch, wie alles aus Peking abzulehnen. Europäisches Handlungsgeschick ist gefragt und Kooperation auf Augenhöhe ⎼ und zwar schnell. Sonst wird der Weltbank-Berater Alain Bertraud vielleicht recht haben, wenn er behauptet, dass zwischen China und allen anderen Nationen bald ein Abstand liegen wird wie einst zwischen England und der restlichen Welt in der industriellen Revolution des 18. und 19. Jahrhunderts.

Karl Pilny: Asia 2030 ⎼ was der globalen Wirtschaft blüht, Campus Verlag, Frankfurt 2018.

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