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Schwere Zeiten: Die Auswirkung von Corona auf den deutschen Arbeitsmarkt

Die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Beschäftigung werden sich nur zeitverzögert in der Statistik widerspiegeln. Erste Zahlen zur Kurzarbeit sprengen alles bisher Dagewesene. Nach 13 Jahren des Aufschwungs steht der Arbeitsmarkt in Deutschland vor schwierigen Zeiten.

Corona wird die wirtschaftlichen Aussichten mindestens für dieses Jahr erheblich trüben. Die letzte Krise, die annähernd das gegenwärtige Ausmaß erreichte, war die Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahr 2009. Seinerzeit konnte eine Ausbreitung auf den Arbeitsmarkt weitgehend verhindert werden. Maßnahmen zur Arbeitszeitverkürzung wie Überstundenabbau, Nutzung von Arbeitszeitkonten und nicht zuletzt die Kurzarbeit fingen einen großen Teil des plötzlichen Rückgangs der Arbeitskräftenachfrage der Betriebe auf. Wo dennoch Arbeitsplätze verloren gingen, konnten andere Branchen die Beschäftigung sogar ausweiten.

Kann das auch in der gegenwärtigen Krise gelingen? Dagegen spricht erstens, dass die Corona-Krise die Wirtschaft weit umfassender trifft als die Finanzkrise. Der Dienstleistungssektor, der seinerzeit als Stabilisator für Verwerfungen in der Industrie diente, ist diesmal kaum weniger betroffen. Zweitens zeichnet sich ab, dass der Einbruch diesmal tiefer wird. Viel wird davon abhängen, wie lange die wirtschaftlichen Aktivitäten noch beeinträchtigt bleiben.

Unglücklicherweise wissen wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht allzu viel über das, was auf dem Arbeitsmarkt zurzeit passiert. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) veröffentlicht zwar monatlich Daten zur Arbeitsmarktlage, zuletzt Ende März. Aber erstens werden viele Angaben erst mit teils mehrmonatigem Verzug gemeldet. Das trifft zum Beispiel auf die Anzahl der Beschäftigten und der Kurzarbeiter zu. Zweitens wird auch für die aktuell verfügbaren Daten wie die Anzahl der Arbeitslosen kein Monatsdurchschnitt errechnet, sondern der Bestand zur Monatsmitte. Bei zeitraumbezogenen Größen wird auf den Monat vor der Monatsmitte abgestellt. Die Anzahl der im Monat März neu hinzugekommenen Arbeitslosen bezieht sich mithin auf den Zeitraum Mitte Februar bis Mitte März. All das hat zur Folge, dass die derzeit aktuellsten Informationen den Stand kurz vor Eintritt der Corona-Krise widerspiegeln, als es noch nichts Dramatisches zu berichten gab.

Hinsichtlich der Kurzarbeit gibt es eine Ausnahme, die sogenannten Anzeigen zur Kurzarbeit. Betriebe, die Kurzarbeit machen wollen, müssen dies bei der Arbeitsagentur anzeigen und auch die Anzahl der voraussichtlich betroffenen Arbeitnehmer nennen. Die Agentur prüft den Antrag und erfasst die Angaben statistisch. Später reicht der Betrieb Listen ein, aus denen die tatsächliche Anzahl der Kurzarbeiter – die von der in der Anzeige genannten Anzahl durchaus abweichen kann – und der Umfang des Arbeitsausfalls hervorgehen. Diese sind auch Basis für die Zahlung von Kurzarbeitergeld. Auch diese Angaben werden statistisch erfasst, aber naturgemäß mit monatelanger Verzögerung. Die derzeit aktuellen Angaben sind aus dem September 2019. Die Bundesagentur macht zwar Hochrechnungen und Schätzungen bis an den aktuellen Rand, aber angesichts der Unsicherheiten hat man bis auf Weiteres die Schätzungen eingestellt.

Aktuell sind dagegen die Anzeigen zur Kurzarbeit – und zwar anders als bei den anderen Arbeitsmarktdaten über die Mitte des März hinaus. Bekannt sind folgende Daten:

  • Die Statistik der Bundesagentur verzeichnet für den Monat März 55.000 Betriebe, die Kurzarbeit angezeigt haben und dabei rund eine Million betroffene Arbeitnehmer nannten. Diese Anzeigen spiegeln den Stand vom 25. März. Erfasst sind aber nur solche Anzeigen, die im elektronischen System der BA verarbeitet sind. In Zeiten mit großem Andrang an Anzeigen hängt diese Erfassung aber hinterher. Es muss also vermutet werden, dass in dieser Statistik eine massive Untererfassung vorliegt.
  • In einer Pressemitteilung vom 31. März gab die BA auf Basis von Sonderauswertungen bekannt, dass bis zum 27. März 470.000 Betriebe Kurzarbeit angezeigt haben. Diese Angabe bezieht sich auf einen Zeitraum seit dem 16. März. In einer weiteren Pressemitteilung wurde die Anzahl bis zum 6. April bereits auf 650.000 Betriebe taxiert, nur um eine Woche später auf 725.000 bis zum 13. April zu steigen. Letztere Zahl entspricht ungefähr einer Monatsperiode. Über die Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer ist noch nichts bekannt.

Die Anzahl von 725.000 Anzeigen übertrifft alles bisher Dagewesene um ein Vielfaches. Sie entspricht rund einem Drittel aller Betriebe mit mindestens einem sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Auf dem Höhepunkt der Krise 2009 gingen nur 23.000 Anzeigen in einem Monat ein und im ganzen Jahr 2009 waren es lediglich 130.000. Offenkundig wird das Instrument der Kurzarbeit massiv von den Unternehmen genutzt. Aus der gegenüber 2009 30-fachen Anzahl von Anzeigen kann indes noch nicht auf die Anzahl der Kurzarbeiter geschlossen werden. Während seinerzeit vor allem größere Industriebetriebe Kurzarbeit anzeigten, sind es gegenwärtig auch viele kleinere Dienstleistungsbetriebe, zum Beispiel im Gastgewerbe und Einzelhandel. Dennoch kann erwartet werden, dass die Anzahl der Kurzarbeiter in einzelnen Monaten deutlich über den Wert aus dem Jahr 2009 steigen wird und im Jahresdurchschnitt auch die Zielmarke der Bundesregierung von 2,1 Millionen übertroffen wird. So rechnen allein die Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie mit über 2 Millionen Kurzarbeitern in ihrer Branche.

Die enorm große Inanspruchnahme von Kurzarbeit zeigt einerseits die Schwere der Krise, andererseits aber auch den Willen der Betriebe, an den Beschäftigten festzuhalten, und die Erwartung, dass die Krise alsbald überwunden werden kann. Daher stellt sich die Frage, ob das Instrument modifiziert werden sollte, um die beabsichtigte Wirkung zu verbessern. Die Bundesregierung hat bereits in den vergangenen Wochen die Anspruchsvoraussetzungen erleichtert und die vollständige Übernahme der sonst von den Betrieben allein zu tragenden Sozialversicherungsbeiträge geregelt. Zuletzt wurde avisiert, dass die Bezugsdauer in Fällen verlängert wird, in denen schon vor der Corona-Krise Kurzarbeit galt und sich die Anspruchsdauer zu erschöpfen drohte. Diese Notmaßnahmen haben sich bereits vor elf Jahren bewährt. Die Forderung der Gewerkschaften, die Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge an Beschäftigte weiterzureichen, konterkariert hingegen den Sinn des Kurzarbeitergeldes. Denn dieses soll die Liquidität und damit das Überleben der Betriebe sichern helfen. Die Betriebe streichen diese Erstattungen nicht ein, sondern leisten in gleicher Höhe an die Sozialversicherungen – es handelt sich aus betrieblicher Sicht nur um einen durchlaufenden Posten.

Darüber hinaus stehen weitere Änderungsvorschläge im Raum, die auf eine Erhöhung der Leistungen abzielen. So fordern Gewerkschaften eine Erhöhung des Leistungssatzes von derzeit 60 Prozent des ausgefallenen Nettoentgelts auf 80 Prozent. Dagegen wäre einzuwenden, dass eine solche Erhöhung die finanziellen Reserven der BA schnell aufzehren könnte. Um 4,5 Millionen Vollzeit-Durchschnittsverdiener ohne Kinder für drei Monate in Kurzarbeit null zu schicken, braucht die BA rund 24 Milliarden Euro, was mit der bestehenden Reserve von 26 Milliarden Euro zu finanzieren wäre. Steigt der Leistungssatz auf 80 Prozent, lägen die Kosten schon bei 30 Milliarden Euro.

Ohnehin ist nicht jeder Kurzarbeiter existenziell auf höhere Leistungen angewiesen. Um diesen Umstand zu berücksichtigen, fordern zum Beispiel die Grünen oder der Arbeitnehmerflügel der CDU eine Mindestleistung oder einen nach Lohnhöhe gestaffelten Leistungssatz. Der Grundgedanke dabei: Geringverdiener sollen höhere Leistungen erhalten, damit sie ihren Lebensunterhalt davon bestreiten können. Dass jeder so viel haben muss, um sein Existenzminimum abzudecken, steht außer Frage. Allerdings ist genau für solche Fälle die Grundsicherung da. Der Gesetzgeber hat durch einen Verzicht auf die Vermögensprüfung und die Prüfung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft die Schwelle für den Bezug von Grundsicherungsleistungen gesenkt. Dies ist der bessere Weg, als durch ein Mindest-Kurzarbeitergeld eine zweite Grundsicherungsleistung speziell für Kurzarbeiter zu etablieren und damit teure und wenig effiziente Doppelstrukturen aufzubauen.

Die Kurzarbeit als zentrales Arbeitsmarktinstrument zur Corona-Krisenbewältigung ist mithin weitgehend den Anforderungen entsprechend ausgestaltet. Kann sie auch den Anstieg der Arbeitslosigkeit verhindern? Zweifel sind angebracht. Dagegen spricht erstens, dass Kurzarbeit nicht vollständig verhindern kann, dass es zu Entlassungen kommt. Denn über die variablen Personalkosten hinaus haben viele Betriebe weitere Kosten wie Mieten oder Zinsen, die zu einer Einschränkung oder sogar Einstellung des Geschäftsbetriebes zwingen können. Doch selbst wenn Entlassungen verhindert werden könnten, würde sich zweitens das Problem stellen, dass Arbeitsuchende nur schwer einen Zugang in den Arbeitsmarkt finden. Der Arbeitsmarkt ist kein festes Gebilde, sondern ständig im Fluss. Selbst in guten Jahren wie 2018 wurden im Laufe des Jahres über zwei Millionen Arbeitnehmer arbeitslos – fanden aber auch wieder einen anderen Job. Diese Rückkehr ist zurzeit ungleich schwerer als 2009, weil nahezu alle Branchen betroffen sind und Betriebe aufgrund der Unsicherheit bei Einstellungen Zurückhaltung üben. Die Arbeitslosigkeit wird sich somit allein deshalb aufbauen, weil Arbeitslose keinen Zugang zu Arbeit finden.

Nach 13 Jahren des Aufschwungs steht der Arbeitsmarkt in Deutschland vor schweren Zeiten. Die Kurzarbeit kann Schlimmeres verhindern helfen und den Neustart aus der Krise heraus beschleunigen – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

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