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Deutschlands Bürokratieproblem: Risiken für Wirtschaft und Innovation

Das Schlagwort „Bürokratie“ wird in Deutschland schon lange nicht mehr mit positiven Vorstellungen in Verbindung gebracht. Im Gegenteil, wenn es in der öffentlichen Diskussion um Bürokratie geht, sind negative Begriffe wie „Bürokratie-Wahnsinn“, „Bürokratie-Monster“ oder „Verwaltungshölle Deutschland“ eher die Regel als die Ausnahme. Dabei ist Bürokratie keineswegs per se schlecht. Nach Max Weber ist Bürokratie als Verwaltung von öffentlichen Behörden und privaten Unternehmen definiert, die Entscheidungen nach Gesetz und Vorschrift, Geplantheit und Genauigkeit sowie Routinisierung hierarchisch ausführt. Entscheidungen in Hierarchien anhand von Vorschriften und Routinen sind unabdingbar für das langfristige Funktionieren einer Volkswirtschaft.

In Deutschland hat sich aus dieser grundlegenden, zunächst positiv zu interpretierenden Bürokratie-Auffassung jedoch ein Regulierungskonstrukt im öffentlichen Bereich entwickelt, welches nicht nur für Unternehmen, sondern auch für Bürger Vorschriften, Gesetze und Regulierung bis ins kleinste Detail vorschreibt. Ob Grundsteuer oder Bürgergeld im privaten Bereich, langwierige Genehmigungsverfahren, umständliche Amtswege oder Datenschutz für Unternehmen – um nur ein paar Beispiele zu nennen – Betroffene sehen sich einer regelrechten Flut an Vorschriften, Verordnungen und Nachweispflichten gegenüber, die nicht nur zeitliche Ressourcen bindet, sondern auch erhebliche finanzielle Aufwendungen erfordert. Im internationalen Vergleich weist Deutschland eine der höchsten Regulierungsintensitäten auf.

Aus volkswirtschaftlicher Sicht stellt dieses Übermaß an Regulierung ein erhebliches Risiko für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und damit für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung dar.

„Die Erfüllung bürokratischer Pflichten bindet in Unternehmen wichtige finanzielle und personelle Ressourcen, die nicht mehr für produktive Zwecke (Wertschöpfung) eingesetzt werden können.“

Im Vergleich zu Unternehmen in Ländern mit weniger Bürokratie büßen Unternehmen mit Sitz in Deutschland dadurch an Wettbewerbsfähigkeit ein. Die wachsende Bürokratie wird zunehmend zur Wachstumsbremse und schreckt Markteintritt ab. Deutschland verliert als Unternehmensstandort an Attraktivität. Zudem wird die Abwanderung von Unternehmen ins Ausland begünstigt. Ein Beispiel hierfür stellt das Unternehmen BioNTech dar, welches die Verlagerung der Krebsforschung nach Großbritannien explizit mit forschungsfreundlicheren Rahmenbedingungen als in Deutschland motiviert hat. Die Beeinträchtigung von Wettbewerbs- und Wachstumsfähigkeit der Unternehmen wirkt sich wiederum negativ auf die Beschäftigung aus und bremst Investitionen sowie Innovationen.

Im Hinblick auf die Herausforderungen, denen sich Unternehmen in Zukunft stellen müssen, ist dies besonders kritisch zu bewerten. Klimapolitische Ziele und damit verbunden steigende Energiekosten erfordern hohe Investitionen in ressourcenschonende Technologien und Innovationen in diesem Bereich. Mit Blick auf die Digitalisierung muss Deutschland dringend aufholen, um international nicht den Anschluss zu verpassen. Auch hierfür sind Investitionen und Innovationen unverzichtbar. Werden Forschung, Entwicklung und Fortschritt ausgebremst, wirkt sich das nicht nur auf die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen aus, auch lassen sich wichtige Zukunftsprojekte weniger gut realisieren. Dies zeigt sich derzeit in der Gesundheitsbranche. Ein aktuell stark diskutiertes Thema in Deutschland ist der Datenschutz und dessen Auswirkungen auf Digitalisierung und Innovation im Medizinbereich. Von Künstlicher Intelligenz („KI“) gehen hohe Potenziale für das Wirtschaftswachstum aus. Darüber hinaus sind internationale Forschungskooperationen bei der Bekämpfung schwerer Krankheiten wie Krebs vielversprechend, scheitern jedoch am Datenschutz.

Ein aufgeblähter Verwaltungsapparat birgt demnach erhebliche Risiken für den Wirtschaftsstandort Deutschland.

„Zudem führt überbordende Bürokratie dazu, dass die Skepsis hinsichtlich des Nutzens der Bürokratie im Allgemeinen wächst und die Vorteile dieser verkannt und im Extremfall sogar ganz infrage gestellt werden.“

In der Konsequenz leidet die Akzeptanz öffentlichen Verwaltungshandelns, was eine Schwächung der Rechtsstaatlichkeit und Akzeptanz des wirtschaftspolitischen Ordnungsrahmens zur Folge haben kann.

Aber was ist ursächlich für die Entwicklung zum Hoch-Bürokratieland Deutschland? Und gibt es einen Weg zurück zu weniger Bürokratie? Eine Hauptursache liegt in den fehlenden Effizienz-Mechanismen des öffentlichen Apparates. Anders als private Unternehmen, die durch Wettbewerb und den Druck der Kapitalmärkte fortwährend zu Effizienz gezwungen werden, fehlen im öffentlichen Sektor externe Disziplinierungsinstrumente. Wollen Unternehmen nicht an Wettbewerbsfähigkeit verlieren, müssen interne Entscheidungsprozesse immer wieder auf den Prüfstand gestellt werden. Dies ist im öffentlichen Sektor anders. Anreize Kosten zu senken und Bürokratie abzubauen und damit Tätigkeitsgebiete abzugeben, bestehen nicht. Dies würde zur Reduzierung von Planstellen und des zur Verfügung stehenden Budgets führen und ggf. die Bedeutung der Behörde reduzieren. Wettbewerb und damit verbunden effiziente Kostenkontrolle ist nicht existent. Dadurch können sich Ineffizienzen viel stärker ausbreiten, ohne dass es zu einer automatischen Korrektur kommt. Anstelle eines Bürokratieabbaus ist es für Bürokraten rational, immer weitere Aufgaben an sich zu ziehen, um so weitere Planstellen zu generieren, Entscheidungsbefugnisse auszuweiten und die Behörde in ihrer Bedeutung aufzuwerten. Die Folge ist ein aufgeblähter Verwaltungsapparat.

Eine weitere Ursache für ein stetiges Mehr an Bürokratie ist der Impuls in der Politik, vermeintlich neuen Problemen mit immer neuer Regulierung zu begegnen, welche Bürokratie nach sich zieht. Durch Regulierungseingriffe können Probleme vermeintlich kostenlos adressiert werden, da die Kosten der Maßnahme nicht unmittelbar die öffentlichen Haushalte belasten. Gleichzeitig besteht ein deutlich geringerer Anreiz, überholte Regulierungen wieder abzuschaffen, weil die mit einer Entbürokratisierung verbundenen Vorteile breit gestreut und im Einzelfall wenig spürbar sind und sich die Vorteile oft erst mit zeitlicher Verzögerung einstellen. Die Risikoaversion rechtsanwendender Behörden und damit einhergehend eine regelmäßig restriktive Auslegung von Verwaltungsvorschriften, leisten ebenso ihren Beitrag wie die langsam voranschreitende Digitalisierung des Verwaltungsapparats, der für die Straffung und Beschleunigung von Verwaltungsprozesses unabdingbar ist.

Ein Ordnungsrahmen mit klaren Regeln ist wichtig für die Funktionsfähigkeit einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung. Allerdings muss dieser Rahmen effizient sein. Andernfalls beeinträchtigt er die Wettbewerbs- und Wachstumsfähigkeit der Unternehmen. Um dem Bürokratiewachstum entgegenzuwirken und die Bürokratie auf das notwendige Minimum zu beschränken, bedarf es einer Kostenerstattungspflicht bei staatlichen Auskunftspflichten für Unternehmen, einer Verpflichtung zu regelmäßigem Verwaltungs-Benchmarking einschließlich der Ergebnisveröffentlichung sowie der Digitalisierung des Verwaltungsapparates. Darüber hinaus sollte die Möglichkeit der sunset legislation – also die Etablierung von Verfallsdaten für Regulierungen einschließlich der Evaluation der Regulierung – stärker als bisher in Betracht gezogen werden.

Der Abbau überflüssiger Bürokratie kann Unternehmen stärken, die Staatsausgaben für die öffentliche Verwaltung begrenzen und das Wachstum der Volkswirtschaft in Deutschland begünstigen, nicht zuletzt weil Bürokratieabbau auch die Politik in die Lage versetzt, die Umsetzung wichtiger Zukunftsprojekte zu beschleunigen.