Soziales, WachstumTagged

46.000 Euro für das gute Leben

Wie viel ist Genug? - Von Robert & Edward SkidelskyRobert & Edward Skidelsky: Wie viel ist genug? Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens, Verlag Antje Kunstmann, München 2013 Unser Hunger auf Konsumgüter ist unersättlich, die Macht des Kapitals übermächtig – das sind keine neuen Thesen. Dass den Autoren dennoch mit ihrem Werk ein Bestseller gelungen ist, scheint vor allem daran zu liegen, dass sie eine Art Ratgeberbuch geschrieben haben. Sie machen Mut, Wirtschaft wieder neu zu entdecken. Und was für sie zu einem guten Leben gehört, sind Gesundheit, Sicherheit, Respekt, Persönlichkeit, Harmonie mit der Natur, Freundschaft – und 46.000 Euro jährlich.

Wie viel ist denn nun genug? Keynes stellte Ende der 1920er-Jahre die These auf, dass irgendwann einmal alle menschlichen Bedürfnisse befriedigt werden könnten, ohne dass auch nur ein einziger länger als drei Stunden am Tag arbeiten müsste. Unsere Wochenarbeitszeit liegt heute bei 40 Stunden. Keynes war natürlich kein Phantast. Aber wohl ein ziemlicher Idealist, denn er ging wie viele der Intellektuellen damals davon aus, dass die Menschen ab einem bestimmten Punkt ihren Konsumrausch befriedigt hätten.

Heute sind wir schlauer und wissen, dass das Konsumverlangen in etwa so stark wie der Fortpflanzungstrieb ist. Dass die Konsumlust heute so groß, hat für die Autoren des Buches „Wie viel ist genug“ vor allem damit zu tun, dass die Wirtschaft mittlerweile durch den Drang nach Wachstum vollkommen dominiert wird. Die Autoren sind sich sicher: Nach dem notwendigen Aufbau in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg habe sich Wachstum zum Selbstzweck entwickelt.

Robert und Edward Skidelsky, Vater und Sohn, der eine Ökonomieprofessor, der andere Professor für praktische Philosophie, plädieren für eine Abkehr vom kapitalistischen Wachstum. Sie empfehlen auf 280 Seiten die Rückkehr zur alteuropäischen Kultur des Maßhaltens. Zu ihrer „Ökonomie des guten Lebens“ gehören Gesundheit, Sicherheit, Respekt, Persönlichkeit, Harmonie mit der Natur und Freundschaft – und 46.000 Euro jährlich. Diesen Betrag – meinen die Skidelskys – reichen zur  Befriedigung durchschnittlicher Begierden.

Das Buch, das sich als „Kritik an der Unersättlichkeit“ versteht, greift auf die großen Motive der Philosophie John Maynard Keynes‘, aber auch der späteren Protagonisten der deutschen Sozialen Marktwirtschaft. Die Autoren scheinen sich fast nach einem geistigen Aufbruch zum Neuen, zur europäischen Zeit um 1900 zurückzusehnen: Hier entfalteten sich zum ersten Mal nach Beginn der Industrialisierung neue geistige Strömungen wie die Wandervogelbewegung mit ihrem Drang (weniger zur Nacktheit als vielmehr) zur Natur und Nachhaltigkeit – oder intellektuelle Gruppen wie der George-Kreis mit seiner Vorstellung eines „Schönen Lebens“. Für die Skidelsky findet das gute Leben außerhalb der Alltagsmühle im modernen Kapitalismus statt. Der Alltag müsse sozialer werden, Wachstum müsse aufhören, da man keine Vorteile mehr davon habe. Der Verzicht auf Wachstum stelle sogar einen Gewinn da.

Die Autoren verstehen sich nicht als pure Kapitalismuskritiker: Zum einen wissen sie um die enormen Verbesserungen der materiellen Lebensbedingungen, die er gebracht hat. Zum anderen aber wollen sie das „Monster wieder an die Kette legen“. Um die Auswüchse des Kapitalismus zu erklären, bieten sie einen interessanten Abriss großer Denker, die sich ausschließlich mit der Frage nach einen „guten Leben“ beschäftigt haben – neben Keynes sind es John Stuart Mill, Rousseau, Herbert Marcuse oder auch Adam Smith – und selbst Goethes Faust wird als literarische Metapher für das strebsam und scheiternde Bemühen des Menschen herbeizitiert.

Das Skidelsky-Buch besitzt eine große intellektuelle Wucht, bietet mehr historischen als ökonomischen Diskurs – was gut ist, denn so wird es spannender. Doch seine Thesen sind nicht neu. Was dennoch bleibt, ist das Gefühl, das Wirtschaft trotz aller Finanzmisere und ausgenudelter Kapitalismusdebatte immer noch Spaß machen kann. Das ist ein gutes Ergebnis des Buches.

Wie viel heute wirklich genug, muss letztlich jeder selbst entscheiden. Die Skidelskys wären wohl schon zufrieden, wenn jeder bei seinen Überlegungen zumindest darauf achtete, „weniger zu arbeiten und sich weniger dem Konsumzwang auszusetzen“.