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Die dunkle Seite der Internet-Macht bedroht die deutsche Old Economy

Die Forderung, Deutschland möge von der Gründermentalität und Innovationskraft des Silicon Valleys lernen, ist ein wenig abgedroschen. Ein paar schlaue Ideen können deutsche Unternehmen dennoch klauen. Trotz seiner Dramatisierung über den Einfluss des „mächtigsten Tals der Welt“ hat Christoph Keese nach seiner halbjährigen Vor-Ort-Recherche ein paar gute Vorschläge mitgebracht, wie sich deutsche Unternehmen in der Arbeitsökonomie des Netzes besser bewegen können.

Christoph Keese: Silicon Valley – was aus dem mächtigsten Tal der Welt auf uns zukommt, Knaus-Verlag, München 2014„Wir überschätzen, was in einem Jahr geschieht, und unterschätzen, was in zehn Jahren geschehen kann“, meinte einst Bill Gates orakelnd über den technologischen Fortschritt. Jegliche Prognose über die digitale Zukunft ist also schwierig. Angesichts der Übermacht von Netzgiganten wie Google, Facebook, Twitter und Co, die bald schon die deutsche Old Economy zu Statisten der Wertschöpfung degradieren könnten, sei Zweckpessimismus klug, meint Christoph Keese. Wenn das Schlimmste, nämlich die Abhängigkeit von den Monsterplattformen, dann doch nicht eintrete, könnten wir uns ja freuen. Um diese Freude zu erleben, rät er jedem Unternehmer, sich endlich eine vernünftige Existenz im Internet aufzubauen, „zwanglos, ohne Panik, ohne Verkrampfung“. Der Grund: „Einfach um zu lernen“ und „um sich sicher in der neuen Arbeitsökonomie des Netzes zu bewegen“.

In seinem neuen Buch „Silicon Valley – was aus dem mächtigsten Tal der Welt auf uns zukommt“ zeigt sich Keese von Wirkung des US-Start-up-Mekkas ziemlich beeindruckt. Im Detail beschreibt er die wissenschaftlich- und unternehmerisch-innovative Atmosphäre und die damit verbundenen soziokulturellen Eigenheiten. Im „explosiven Gemisch aus Geist und Geld“ ist im Westen der USA ein Goldgräbertal entstanden, in dem nur diejenigen gewinnen, die sich der Sehnsucht nach dem Neuen und der Suche nach der ultimativen Geschäftsidee komplett verschreiben.

Diese Mischung aus Energie, Willen und Ehrgeiz produziert allerdings nicht nur Gewinner, sondern auch soziale Ungerechtigkeiten und Verlierer, über die niemand spricht. Denn: „Die Wertschöpfung im reichsten Tal der Welt erreicht nur die Gebildeten“, meint der Autor.

Keese, Journalist, Wirtschaftswissenschaftler und als „Executive Vice President“ bei Axel Springer für den Wandel des Verlags zum digitalen Medienunternehmen mitverantwortlich, hat sich für seine Buchrecherche ein halbes Jahr im Silicon Valley aufgehalten, um zu prüfen, was das „mächtige Tal“ wirklich ausmacht – für ihn eine Zeit voller Faszination und Frust. Denn in den sechs Monaten fühlte er sich mal „manisch, weil der Ort vibriert vor Erfolg, Erfindergeist, Enthusiasmus und fiebriger Schnelligkeit“, und mal „depressiv, weil klar ist, dass Europa, verglichen mit dem neuen Zentrum des Universums, alt aussieht“.

Internetgiganten walzen Old Economy platt

Keese warnt: Europa und vor allem die deutsche Old Economy müssen sich angesichts der US-Internetsupergiganten warm anziehen. Denn „der wirtschaftliche Hauptgewinn fällt nicht mehr dem zu, der eine Leistung erbringt, sondern dem, der sie vermittelt.“ Das bedeutet: In der Netzökonomie sind diejenigen Unternehmen am stärksten, die eine Plattform betreiben. Auf Plattformen werden Angebot und Nachfrage von Algorithmen zusammengebracht, sagt Keese. Beispiel: Google & Co werden künftig den Energieversorgern oder auch der Automobilindustrie den Rang ablaufen. Denn in Zukunft geht es nicht mehr Fahrleistung und Design, sondern „die Hauptwertschöpfungskomponente wird der Bildschirm in der Fahrzeugmitte sein. Darauf laufen Navigations- und Kommerzsysteme. Diese werden dem Fahrer seine Wünsche von den Lippen ablesen und ihn dort hinführen, wo er seine Bedürfnisse befriedigen kann“, meint Keese. Die Elektronik dirigiere den Verbraucher zu einem Händler. Dieser zahle für diese Kundenzuführung eine Provision an den Mittler, also den Plattformanbieter.

Um gegen die Macht des Silicon Valleys nun eine Chance zu haben, sind nicht nur Unternehmen und deren Innovationskräfte gefragt. Auch die Politik ist gefordert. Es geht um die rechtlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Bedingungen in der Netzökonomie, es geht eine Art Verfassung der digitalen Gesellschaft. Denkbar wären für den Autor zunächst die Erarbeitung einer europäischen Internet-Infrastruktur, dann aber auch die Ent-Regulierung der traditionellen Medien oder eben die Regulierung von Internet-Monopolisten wie Facebook, Twitter und Co. Nicht umsonst kämpft Kesse für das „Leistungsschutzrecht“, mit dem Verlage gegen Google antreten. Das Gesetz ermöglicht Verlagen, für die Anzeige ihrer Texte bei Suchmaschinen Lizenzgebühren zu verlangen.

Neue Finanzierung für deutsche Startups und Innovationscluster

Doch der Wandel betrifft eben nicht nur die Medien- und Verlagswelt. „Jede Branche, und sei sie noch so irdisch und erdig, wird digitalisiert werden, und in jeder Branche werden über kurz oder lang die Plattformen das Sagen haben“, ist sich Keese sicher. So lobt er, dass sich große Konzern in Deutschland bereits sehr klar mit der Zukunftsfähigkeit ihrer Geschäftsmodelle beschäftigen. Disruption ist hier das – in den Unternehmen schon fast inflationär verwendete – Stichwort. „Was wir am dringendsten brauchen“, meint Kesse, „ist eine funktionierende Finanzierungsinfrastruktur. Bei uns fließen aktuell rund 700 Millionen Euro Venture Capital pro Jahr, 100 Millionen Euro davon stammen aus öffentlichen Kasse.“ Allein im Silicon Valley werde im gleichen Zeitraum fast das 20-Fache investiert. Selbst in Israel sei das Wagniskapital für Start-ups zwei Mal so groß wie das in Deutschland.

Das Silicon Valley profitiert vor allem von seiner Infrastruktur. Das Erfindertal ist ein fast hermetisch abgeschlossener Raum mit der Stanford University als logistischen und ideellen Mittelpunkt und als Netzwerkschmiede. Stanfords Jahresbudget liegt bei fünf Milliarden Dollar. Eine Milliarde Dollar kommen jährlich durch Spenden hinzu. Die Stiftung verwaltet 18 Milliarden Dollar – so viel wie etwa der jährliche Etat des Bundesbildungsministeriums. 15.000 Studenten werden von 2.000 Professoren und 13.000 Mitarbeitern betreut. Kein Wunder also, dass hier große Ideen entstehen und Netzwerke geknüpft zu Investoren werden. 21 Nobelpreisträger hat Stanford mittlerweile hervorgebracht, dazu Unternehmen wie Ebay, Google, Yahoo, Hewlett-Packard, aber auch Sun, Netflix, Electronic Arts oder LinkedIn – insgesamt angeblich 40.000 Unternehmen mit 2,7 Billionen Dollar Umsatz und 5,4 Millionen Arbeitsplätze.

Im Klüngel des Silicon Valleys regt sich Widerstand

Da kann weltweit kaum ein anderes Cluster mithalten. Selbst das renommierte Hasso-Plattner-Institut in Potsdam, das ein deutsches Vorzeigemodell für die Verquickung von Wissenschaft, Ingenieurskunst und Unternehmertum ist, wirkt dagegen schmächtig.

Doch der Lack im kalifornischen Tal der Mächtigen erhält erste Kratzer. Es regt sich Widerstand: Immer öfter sind Vorwürfe zu hören, Stanford lasse sich wie eine zu pomadig gewordene Mätresse von den Internetriesen aushalten. In San Francisco gründen sich deswegen gerade ganze Haus-WGs, voll mit Start-up-Gründern, die ohne Netzwerk erfolgreich sein wollen. 50 solcher „Techie-Kommunen“ soll es bereits geben.

Fazit:

Auch wenn Keeses‘ Buch ein dramatischer Zug anhaftet – lesenswert ist es in jedem Fall. Denn es eröffnet den Blick auf Szenarien der Netzökonomie, die man ohne das Hintergrundwissen des Silicon Valleys nicht entwickeln könnte – eine empfehlenswerte Lektüre also für alle, die eine Modernisierung ihrer Geschäftsidee mit Hilfe der digitalen Technologie anstreben.

Christoph Keese: Silicon Valley – was aus dem mächtigsten Tal der Welt auf uns zukommt, Knaus-Verlag, München 2014

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