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Mehr Vertrauen in die Stärke der Demokratie wagen

Die Welt ist politisch unruhig wie lange nicht mehr. Der Populismus wächst. Viele fürchten um den Erhalt der demokratischen Werte – so wie sie wir heute definieren. Die Autoren führen den Leser ins Labor der großen Ideen über Freiheit, Gerechtigkeit und politische Ordnung – und bieten damit nicht nur einen Kompass in verworrener Zeit, sondern auch die Ermutigung, sich mehr für Demokratie einzusetzen. Herfried Münkler, Grit Straßenberger: Politische Theorie und Ideengeschichte –  eine Einführung, C.H. Beck, München 2016

Kaum zu glauben, aber die berühmte und stets hochgehandelte Demokratie der alten Griechen war gar keine. Oder zumindest nicht eine solche, wie wir sie uns heute vorstellen. Der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler klärt auf: „Dem Namen nach war es eine Demokratie, der Sache nach aber die Herrschaft des ersten Mannes.“ So hat auch der Historiker Thukydides die Blütezeit der Demokratie im Athen des Perikles‘ beschrieben. Der unmittelbare Einfluss der Bürger auf die Politik Athens habe sich im Wesentlichen darin erschöpft, dass sie Perikles‘ Vorgaben folgten. Der wiederum war so klug, dass er das Volk nicht überforderte. Mit unserer heutigen Demokratie hat das nur wenig zu tun. Sie ist viel komplexer, anfälliger, aber wohl auch gerechter.

Solche und ähnliche aufklärende Momente bieten Herfried Münkler und die Bonner Politikwissenschaftlerin Grit Straßenberger in ihrem neuesten Werk „Politische Theorie und Ideengeschichte –  eine Einführung“.  So akademisch es daherkommt und so sperrig es manchmal geschrieben ist, so wertvoll wird es doch für alle, die sich angesichts unruhiger politischer Zeiten, in denen Werte und Sinnhaftigkeit der Demokratie selten wie nie hinterfragt werden, Orientierung verschaffen wollen.

Wechselspiel der Mehrheiten muss man ertragen

Auf über 400 Seiten legen die beiden Autoren die Entstehung und Entwicklung der politischen Theorie vor – angefangen beim aristotelischen Begriff der „pólis“ und bürgerschaftlicher Selbstregierung über Machiavellis und Max Webers Verständnis der Politik als Kampf um Macht und Einfluss bis zu Jürgen Habermas und Niklas Luhmann: Diese stellten weniger die Auseinandersetzung, also die agonale Dimension des Politikbegriffs in den Vordergrund, sondern die soziale. Sehr detailreich erläutern die beiden Autoren Begriffe wie „Staat“, „Nation“, „Herrschafts- und Verfassungsformen“ oder „Freiheit“, „Gerechtigkeit“ und „Tyrannei“ – und beziehen ihre historischen Analysen jeweils auf aktuelle politische Entwicklungen.

Schon immer hat die Demokratie Krisen erlebt. Populistische Tendenzen und der Ruf nach dem starken Mann gehören zu ihrer Geschichte. Die Beschreibung des Thukydides hilft zu verstehen, warum wir uns auch heute in einer Phase befinden, „in der viele Menschen den Wunsch nach einem starken Führer höher stellen als das Vertrauen in das Wechselspiel der Mehrheiten“, erklärt Münkler. Der Ruf nach Stärke und dem starken Mann offenbart die Zweifel vieler Menschen am demokratischen System. Es zeigt gleichzeitig ihre Angst und offenbart das Eingeständnis eigener Schwäche oder Handlungsunfähigkeit. Doch „Zweifel an der Selbstführungsfähigkeit“ der Bürger gehören ebenso zur Historie der Demokratie wie „das übergroße Selbstvertrauen von Mehrheiten, die zu wissen glauben, was richtig und falsch ist“, erklärt Münkler.

Leben in einer Übergangszeit

Zweifellos hat der Zusammenbruch der sozialistischen Staaten in Mittel- und Osteuropa in den 1990er Jahren und die gleichzeitige Abkehr Chinas von einer sozialistischen Planwirtschaft (bei Aufrechterhaltung des Machtanspruchs der Kommunistischen Partei) die Balance der bis dahin gültigen Welt-Blöcke durcheinander-gebracht. Der Kapitalismus schien gewonnen zu haben – die sozialistischen Ideale vom Winde verweht. Nicht umsonst charakterisierte Jürgen Habermas die Jahrtausendwende als eine „Erschöpfung der utopischen Energien“. Heute zeigt sich die Welt in einem diffusen, kaum definierbaren Bild: Die Finanzkrise hat den Westen ordentlich durchgeschüttelt, Russland und China gewinnen deutlich an Einfluss. Unterschiedliche Systeme sind nicht wirklich auszumachen. Dafür hat allerdings der Begriff der „Alternativlosigkeit“ in der politischen Sprache Karriere gemacht. Er steht mehr oder weniger für ein theoretisch konturloses Programm, das sich weniger in ideellen Werten als vielmehr in materiellen Orgien zeigt – zum Beispiel in den monströsen Bauprojekten Ostasiens oder der Ölstaaten. Auch der Rückzug vieler Menschen ins Private ist ein Indikator allgemein grassierender Orientierungslosigkeit oder gar eines gewissen Politik-Frusts. Die Autoren fragen: „Ist der Rückzug aus der modernen Welt in eine asketische, aber selbstbestimmte Form des Lebens das letzte Refugium der Sozialutopie?“

Wer in einer Demokratie leben möchte, sollte sie niemals für selbstverständlich oder gar für einen Selbstläufer halten. Gerade in einem System, in dem Mehrheiten oft wechseln, ist Politik stets konfrontative Auseinandersetzung um die Verbindlichkeit von Werten und Normen. Und sie darf auch mit Gefühlen und Leidenschaft zu tun haben. Der aktuellen Sehnsucht vieler nach einem starken Mann (oder einer starken Frau) zu begegnen, heißt für die Autoren auch, die Tugenden des Bürgers zu aktivieren: Mut und Wille für die politische Auseinandersetzung zeigen und sich fürs Gemeinwohl einsetzen: „Die Bürgertugend ist die wichtigste Voraussetzung für das Funktionieren einer Demokratie.“

Fazit

Stets waren die politischen Theorien auf die Zustimmung aller aus. Doch ganz gleich, in welcher Epoche, in welchen Konflikten und in welchem System die Menschen leben – es hat in der Praxis nie ein politisches System gegeben, das die ungeteilte Zustimmung aller erhalten hat. Die Autoren zeigen: Demokratie ist kein Selbstläufer. Sie war immer schon Schwankungen ausgesetzt. Und wer sie behalten will, muss sie auch verteidigen.

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