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Höhere Beschäftigungsquoten in der EU: Hilft eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung?

Die Beschäftigungsquoten in der Europäischen Union sind unterschiedlich hoch. Braucht es deshalb eine einheitliche Arbeitsmarktpolitik? Eher nicht, meint Oliver Stettes im Rahmen unserer Serie "Europa macht stark".

Europa und der europäische Binnenmarkt sind von zentraler Bedeutung für Wohlstand und wirtschaftlichen Erfolg in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Und nur ein wirtschaftlich leistungsfähiges Europa bietet die Aussicht auf eine starke und nachhaltige soziale Dimension, die im weltweiten Maßstab ein so hohes Niveau aufweist.

Freier Waren- und Dienstleistungsverkehr sind dabei ebenso wie die Freizügigkeit des Kapitals und der Arbeitnehmer die Eckpfeiler für international wettbewerbsfähige europäische Volkswirtschaften. Sie sind damit auch das Fundament für starke Arbeitsmärkte. Dies gilt wie im Brennglas für ein Land wie Deutschland, wo die Unternehmen in internationalen Wertschöpfungsnetzwerken eingebunden sind, rund jeder vierte Arbeitsplatz direkt oder indirekt vom Export abhängt und Fachkräfteengpässe vielerorts nur durch den Zuzug von qualifizierten Arbeitskräften aus anderen Ländern zumindest abgemildert werden können. Knapp 2,4 Millionen der hiesigen Erwerbstätigen besitzen einen Pass aus einem anderen EU-Mitgliedstaat.

Starke Arbeitsmärkte bedeuten ein hohes Beschäftigungsniveau und dieses wiederum ist das beste Mittel gegen Armut. Es ist daher zu begrüßen, dass die Mitgliedstaaten gemeinsam im Rahmen der Europa-2020-Strategie das Ziel einer Beschäftigungsquote von 75 Prozent anpeilen. Derzeit ist die EU insgesamt von dieser Orientierungsmarke noch knapp drei Prozentpunkte entfernt. Deutschland zählt zu der Gruppe von Ländern, die dieses Ziel bereits erreicht haben und überschreiten (Datenstand 2017: 79,2 Prozent). Doch Länder wie Griechenland, Italien, Kroatien oder Spanien liegen weiterhin noch um rund 10 Prozentpunkte und mehr (Datenstand 2017) von der Zielquote entfernt.

Arbeitsmarkt- und sozialpolitische Kompetenzen liegen aus gutem Grund bei den Mitgliedstaaten

Aus einem gemeinsamen Beschäftigungsziel resultiert noch nicht zwangsläufig eine einheitliche gemeinschaftliche Beschäftigungspolitik. Denn die nationalen Arbeitsmärkte der EU-Mitgliedstaaten, ihre Regelsysteme und ihre Akteurskonstellationen sind historisch gewachsene Gebilde, eng verflochten mit den ebenso historisch gewachsenen Systemen der sozialen Sicherung.

Die Wirkungsmechanismen der beiden miteinander verwachsenen Systeme entscheiden, wie sich in einem Land die Anpassungsprozesse am Arbeitsmarkt an Veränderungen im wirtschaftlichen Umfeld vollziehen, auf welches Niveau sich Beschäftigung beziehungsweise Arbeitslosigkeit einpendelt und welche Maßnahmen geeignet sind, die Beschäftigungsentwicklung zu beleben und die Arbeitslosigkeit abzubauen. Nicht ohne Grund liegen die Kompetenzen für die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik im Kern in den Mitgliedstaaten, auch wenn immer wieder Forderungen erhoben werden und Bestrebungen erkennbar sind, hier Europa mehr Befugnisse zu geben.

Die Europawahl Ende Mai ist daher ein guter Anlass, auch darüber erneut zu diskutieren. Löst zum Beispiel eine „Europäische Arbeitslosenversicherung“ in einem Land anhaltende Arbeitsmarktprobleme, die strukturelle Ursachen haben?

Zweifel sind angebracht, denn eine Arbeitslosenversicherung im ökonomischen Sinne fungiert als makroökonomischer Stabilisator bei miteinander verbundenen Risiken für vorübergehende konjunkturelle Schwächeperioden. Auf die derzeitige Beschäftigungssituation in der Europäischen Union trifft dies jedoch gerade nicht zu. Und dass Arbeitslose eher die für sie „passende Arbeitsstelle“ finden, wo sie ihre Kompetenzen und Talente am besten einbringen können, ist von einer „Europäischen Arbeitslosenversicherung“ ebenfalls nicht zu erwarten, weil die längere Suche nach diesem „passenden Arbeitsplatz“ im eigenen Land vergeblich ist, wenn beschäftigungsunfreundliche Rahmenbedingungen den Anreiz für Unternehmen vor Ort reduzieren, Arbeitsplätze zu schaffen. Die Personenfreizügigkeit innerhalb Europas bietet dann dem einzelnen Betroffenen aber zumindest den Ausweg, sein Glück in der Fremde zu suchen, wo die Beschäftigungsentwicklung positiv verläuft. Viele Südeuropäer sind diesen Weg nach der Finanzkrise auch gegangen.

Die Europäische Union kann das einzelne Land bei arbeitsmarktpolitischen Reformen unterstützen, die die Wettbewerbsfähigkeit heimischer Arbeitsplätze fördern können, wenn dies beim Anschieben der ursachengerechten Strukturreformen erforderlich ist. Das mag in dem einen Fall der Blick auf arbeitsmarkt- und sozialpolitische Maßnahmen in erfolgreichen EU-Mitgliedstaaten sein, in einem anderen Fall eine flankierende finanzpolitische Unterstützung. Oder die Kombination aus beidem. Auf diese Weise kann die Europäische Union einen wertvolleren Beitrag leisten, die Beschäftigungsperspektiven in Europa zu verbessern, als mit einer einheitlichen beschäftigungspolitischen Initiative.

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