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Hagelüken-Buch: Gute Renten-Reform ist möglich

Deutsche leben länger und arbeiten kürzer. Das klingt verlockend. Doch was die Rente angeht, drohen angesichts des demografischen Wandels in Deutschland nicht nur finanzielle, sondern auch moralische Probleme. Alexander Hagelüken plädiert für eine Rentenreform, die die Menschen jeder Generation ernst nimmt und die Berufswelt intelligenter entwickelt als bisher.

Ob Konjunktur, Arbeitsplätze oder Vermögen ⎼ noch nie ging es Deutschland so gut wie heute. Und dennoch geht die Angst um: Umfragen zufolge fürchtet sich jeder zweite Deutsche vor dem finanziellen Absturz im Alter ⎼ der Altersarmut.

Diese Angst ist angesichts des sinkenden Rentenniveaus, höherer Beiträge, steigender Gesundheitskosten und mangelnder Vorsorge durchaus nicht unbegründet. Obwohl die Jüngeren unter 50 Jahren schon bald mehr in die Rentenkasse zahlen als andere „jüngere Generationen“, werden wohl die Beiträge nicht reichen. Was also ist zu tun? „Lasst uns länger arbeiten“, heißen der Imperativ und die Antwort des Wirtschaftsjournalisten Alexander Hagelüken, dessen Buch auch diesen Titel trägt. Das Ziel des Autors: die Rente retten, Altersarmut verhindern, im Alter aktiv und zufrieden sein und die junge Generation nicht zu stark belasten ⎼ kurzum eine Rentenreform, die fair für alle ist.

Anekdotenreich, lebendig und detailliert erzählt der Autor von der Realität heutiger Rentner, von denen viele noch bis Mitte siebzig fit und gesund leben und noch werkeln, forschen, lehren, Vorträge halten und ihre in langen Berufsjahren aufgebaute Kompetenz noch gerne weitervermitteln möchten. Umfragen zeigen, dass die Deutschen durch bessere Ernährung und Gesundheitsvorsorge im Rentenalter heute oftmals viel fitter und agiler sind als noch vor 50 oder auch 30 Jahren. Und sicher ist auch: So wie manche Rentner es als Altersdiskriminierung empfinden, aufhören zu müssen, ist es für andere eine Erlösung. Für viele Menschen, meint Hagelüken, ist es zwar „zum Besitzstand geworden, möglichst lange im Ruhestand zu sein.“ Doch was hilft es, früh aufzuhören, fragt er, wenn für viele die Rente gar nicht reicht?!

Hagelüken fordert eine faire Rentenreform, die den Bürger nicht für dumm verkauft. „Längeres Arbeiten ist kein neoliberales Ausbeutungsprojekt, wenn die Voraussetzungen stimmen. Wenn die Politik die richtigen Bedingungen schafft, Firmen anders mit Mitarbeitern umgehen und die Berufswelt gesünder gestaltet wird. Dann können die Deutschen entdecken, was sie vom längeren Arbeiten haben.“ Wenn also mehr Deutsche länger arbeiten, gelingt es, das Alterssystem wieder zu stabilisieren, ist der Autor überzeugt. Doch einfach das Rentenalter zu verlängern, wird nicht reichen. „Es geht darum, die Voraussetzungen zu schaffen, durch Überzeugen und Verändern der Berufswelt.“ Andere Länder machen diesen Bewusstseinswandel bereits erfolgreich vor: In Dänemark wollen 60 Prozent im üblichen Ruhestandsalter weitermachen.

Die Irrwege des aktuellen Rentensystems

Wer heute in Deutschland in den Ruhestand geht, hat häufig noch 25 bis 30 Lebensjahre vor sich. Eine Spanne, die vor 200 Jahren wohl noch einem ganzen Menschenleben entsprach. Die Zeit der Rente will geplant sein, denn Inaktivität macht alt und krank. „Wer nichts mehr tut und alles runterfährt, altert schneller“, meint Hagelüken. Für Menschen sei es ungeheuer wichtig, dass ihre Existenz einen Sinn habe, dass man gebraucht werde. Dieses Gefühl sei entscheidend dafür, gesund zu altern. Im Christentum zeigten alte Nonnen und Mönche, wie es geht: Sie erledigen alle Aufgabe gemeinsam mit den jüngeren, soweit sie können. Deshalb werden sie so alt. Und: „Arbeiten hält nicht nur jung, sondern erhält auch die sozialen Kontakte. Dabei geht es nicht nur um Verbindungen, sondern auch um den täglichen Austausch mit anderen, den man weniger organisieren muss, wenn man sich täglich bei der Arbeit sieht.“ Einsamkeit im Alter, durchaus in Verbindung mit Armut, sei heute bereits traurige Realität. Sie werde künftig noch zunehmen.

Es gilt also, umzudenken. So geißelt Hagelüken zunächst die deutsche Frühverrentung als einen „Irrweg, der dem Alterssystem gigantische Kosten“ aufgebürdet hat. Auch die Altersteilzeit sei vom Arbeitnehmer eher genutzt worden, um früher aus dem Job auszusteigen, und nicht ⎼ wie beabsichtigt ⎼ um länger mit weniger Stunden pro Woche als vorher im Beruf zu bleiben. Das betreffe Akademiker genauso wie Facharbeiter und Meister. Gerade bei vielen gut Ausgebildeten sei der Rentenschock, also das überbordende Gefühl des abrupten Nicht-mehr-gebraucht-Werdens, die Folge. „Die Deutschen sind komisch“, kommentiert der Wirtschaftswissenschaftler Bernd Raffelhüschen diesen Zustand. „Sie wollen früh in Rente. Und sie sind unglücklich, wenn sie es dann sind.“

Hagelüken stellt einen „7-Punkte-Plan“ vor, der viel Solidarität von allen Bezugsgruppen verlangt ⎼ und wohl zunächst allen kräftig vor den Kopf stoßen dürfte: So soll zum Beispiel die Politik auf Wahlgeschenke für heutige Senioren verzichten. „Die Frührente mit 63 konterkariert nicht nur alle Bemühungen, die Bürger vom längeren Arbeiten zu überzeugen, sie kostet auch sehr viel Geld: zusammen mit der Mütterrente bis 2030 etwa 150 Milliarden Euro.“ Zur Finanzierung seiner fairen Rentenreform sollen, wie bei so vielen Vorschlägen zur Refinanzierung des Sozialstaats, die Besserverdiener zur Kasse gebeten werden. Allerdings sagt der Autor nicht, ab welchem Vermögen oder Jahresgehalt eine Person, ein Unternehmen oder eine Institution zu den Besserverdienenden gehört. Auch Hagelükens Idee, Beamte stärker in die Rentensysteme einzubinden, dürfte den Staatsdienern kaum schmecken. Auch der Vorschlag, Selbstständige zu verpflichten, in die staatlichen Rentensysteme einzuzahlen, ist wenig produktiv ⎼ angesichts oft sehr schwankender Umsätze, die Freiberufler und Selbstständige jährlich generieren.

Dass die Ursprungsidee der Riester-Rente in der breiten Masse nicht gezündet hat, ist offensichtlich ⎼ auch weil sie einfach zu wenig abwirft. Ihre geringe Attraktivität liegt sicher auch daran, dass die vom Staat kontrollierten Fonds nicht in Aktien oder auch Immobilien gestreut werden dürfen. Die Fonds zukünftig, wie Hagelüken vorschlägt, von den Versicherern oder von Finanzprofis, wie in Schweden üblich, führen zu lassen, ist eine überlegenswerte Idee. Doch auch für Aktien und Co ist der deutsche Normalbürger bekanntermaßen kaum zu begeistern. Er legt ja lieber sein Geld ins Sparschwein.

Fazit

Wenn auch nicht alle Vorschläge von Hagelüken greifen, ist sein Vorstoß mehr als notwendig. Was er fordert, ist keine Reform, sondern ein komplettes Umdenken ⎼ und wahrscheinlich geht es auch nur so. Denn wie sollen wir sonst aufwachen und erkennen, dass unser dahindämmerndes Rentensystem uns vermutlich früher als wir denken den Boden unter Füßen wegreißen wird. Hagelükens Buch ist für jedermann die Aufforderung, sich frühzeitig mit seiner Rente zu beschäftigen: Routine abstreifen, beweglich bleiben, Neues wagen. Das gilt für nicht nur für die Fitness im Alter, sondern auch, wenn es um Vorsorge und um die Erneuerung unseres Rentensystems geht.

Alexander Hagelüken: Lasst uns länger arbeiten! Droemer HC, 2019

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