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Bei Corona-Bonds geht es um Altschulden

Die Corona-Krise hat eine alte und schon überwunden geglaubte Idee aus der Euro-Schuldenkrise vor zehn Jahren wieder nach oben auf die europapolitische Agenda getragen: Europäische Anleihen mit gemeinsamer Haftung sollen – unter welchem Namen auch immer – in großem Stil zur Finanzierung der Corona-Kosten aufgelegt werden. Eine gute Idee?

Kann in der Corona-Krise eine Idee richtig sein, die in der letzten Krise falsch war? Ein Kernargument heute lautet, dass Länder wie Italien und Spanien keine Schuld an der Pandemie und den dadurch ausgelösten Kosten tragen und europäische Solidarität verdienen. Diese Aussage ist richtig, sie geht aber an der Thematik der Corona-Bonds vorbei. Diese neue Finanzkonstruktion hat nicht nur die Corona-Kosten und die Solidarität in der akuten Krise im Blick, sondern vor allem die Altschulden am Vorabend der Corona-Krise. Und für diese Altschulden tragen Euro-Staaten sehr wohl die maßgebliche Verantwortung.

Es ist denkbar, dass die schwere Rezession und die nun notwendigen hohen Staatsdefizite hoch verschuldete Staaten nun vollends in Richtung Überschuldung stoßen. „Überschuldung“ bedeutet, dass das betreffende Land unter realistischen Zins- und Wachstumsannahmen nicht mehr in der Lage ist, den laufenden Schuldenstand zu stabilisieren. Kommt es zu einer Überschuldung, dann gibt es im Prinzip drei verschiedene Lösungen: erstens den Bailout (Transfers) durch andere Euro-Staaten oder die Europäische Union, zweitens Forderungsverluste der Gläubiger durch einen Haircut oder drittens Sonderopfer wohlhabender Gruppen im verschuldeten Land.

Das Problem der Corona-Bonds ist, dass sie einseitig auf den Bailout zur Lösung des Überschuldungsproblems setzen. Durch die Gemeinschaftshaftung für diese Bonds würden faktisch Verbindlichkeiten in Europa zu den solventen Staaten hin verlagert. Die Weichenstellung für eine Transferlösung mitten in der akuten Krise wäre falsch. Die Entscheidung über alle verfügbaren Alternativen kann viel besser nach der Krise in einem ruhigen Marktumfeld getroffen werden. Auch sollte eine Transfer-Entscheidung in einer Demokratie hochgradig transparent für die Wähler der Geber-Staaten sein und darf nicht in einer Finanzkonstruktion versteckt werden.

Ein neuer Typus von Anleihen mit noch weitgehenderen Haftungsgarantien als beim ESM wäre ein riskantes Signal.

Ein falsches Argument für die neue Variante der Euro-Bonds ist, dass nur ein ESM-Kredit angeblich ein negatives Stigma mit sich bringt. Dies gilt jedoch in nicht geringerer Weise für die Corona-Bonds. Ein neuer Typus von Anleihen mit noch weitgehenderen Haftungsgarantien als beim ESM wäre ein riskantes Signal. Die Botschaft wäre: Europa muss neue Anleihen schaffen, weil Italien nun mit Sicherheit überschuldet ist und seine Staatsverschuldung in Zukunft nicht mehr eigenständig finanzieren kann. Dieses Signal könnte die Märkte für nationale Staatsanleihen rasch weiter destabilisieren und dann die Schuldenkrise auslösen, die eigentlich vermieden werden soll. Aus diesem Grund ist auch die Sicht falsch, dass Corona-Bonds als einmalige und begrenzte Finanzierungsform geschaffen werden könnten. Ist dieses Instrument einmal existent, dann kann rasch eine Zwangslage entstehen, die nationalen Staatsanleihen durch die Euro-Bonds zu refinanzieren. Die Corona-Kosten wären der Einstieg, wachsende Gemeinschaftsgarantien für die Altschulden dann aber der wahrscheinliche nächste Schritt.

Das klare Fazit lautet: Der ESM ist mit seiner vorbeugenden Kreditlinie genau das richtige Instrument in der aktuellen Phase. Er stellt Liquidität bereit und kauft Zeit, um die akute Krise wirksam bekämpfen zu können. Notfalls kann und sollte die ESM-Kreditkapazität erhöht werden, um einen umfassenden Neustart nach der Krise zu unterstützen. Die Lösung für mögliche Insolvenzen von Euro-Staaten muss jedoch bis nach der Krise warten. Der ESM baut diese Brücke in die Nach-Krisenzeit, in der dann zum Beispiel in einer umfassenden Schuldenkonferenz mit überschuldeten Euro-Ländern und ihren Gläubigern verhandelt werden kann.

Dass die von Überschuldung bedrohten Euro-Staaten jetzt lieber rasch Euro-Bonds wollen, ist eine völlig nachvollziehbare Strategie für eine aus ihrer Sicht attraktive Altschuldenlösung über Transfers. Ebenso nachvollziehbar sollte aber sein, dass dies in Nordeuropa nicht auf begeisterte Zustimmung stößt.

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