OrdnungspolitikTagged , , , , , , , , ,

Make Economics Great Again

Wenn sich zwei Wirtschaftsnobelpreisträger zusammentun, um ein Buch zu schreiben, kann es kompliziert werden. In diesem Fall ist es nicht so. Die Ausführungen über den ökonomischen Fortgang unserer Zeit von Abhijit V. Banerjee und Esther Duflo sind lesenswert, anekdotenreich und ohne Missionierungsdrang.  

Die Selbstkritik der beiden Autoren, dass Wirtschaftswissenschaftler es nicht mögen, Bücher zu schreiben, die gewöhnliche Menschen verstehen können, ist natürlich kokett und maßlos übertrieben. Aber vielleicht tendenziell richtig.

Auch deswegen haben Abhijit V. Banerjee und Esther Duflo nun ein Buch vorgelegt, das verständlicher kaum sein könnte. Die beiden Ökonomen beherrschen nicht nur das große ABC des lesefreundlichen Schreibens, sondern sind auch Meister des Storytellings. In ihrem neuesten Werk „Gute Ökonomie für harte Zeiten – Sechs Überlebensfragen und wie wir sie besser lösen können“ gehen sie aktuellen Fragen nach wie: Lässt sich das Wachstum noch ankurbeln? Sollte es überhaupt für den wohlhabenden Westen Priorität sein? Was wäre die Alternative? Wie wirkt sich Ungleichheit aus? Wie entwickelt sich die Zukunft des Welthandels? Und warum ist die Ökonomie heute immer noch sinnvoll und nützlich?

Das neueste Buch von Banerjee und Duflo ist ohne missionarischen Eifer geschrieben.

Banerjee und Duflo lehren am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und sind Gründer des „Poverty Action Lab“, das ein weltweites Netz von Soziologen und Ökonomen koordiniert. 2019 wurde ihre Arbeit mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet. Ihr neuestes Buch ist ohne missionarischen Eifer geschrieben, eher bescheiden im Duktus, aber effektiv in seiner Darstellung. Denn das backsteindicke Buch (490 Seiten plus rund 50 Seiten Anhang) liefert Probleme wie Lösungsansätze.

„Make Economics Great Again“ ist zunächst einmal ihre wortspielerische Losung („Um Fortschritte als Ökonomen zu machen, müssen wir ständig zu den Fakten zurückkehren, unsere Fehler eingestehen und weitermachen“) – und damit ist klar: Die Autoren betrachten die Wirtschaftswissenschaften nach wie vor als eine elementare Disziplin, die nicht nur zu klassischen Themen wie der Zukunft des Handels, der Marktpreisbildung oder dem Wachstum Lösungen anzubieten hat, sondern auch zu grundlegenden und aktuellen Problemen wie den Ursachen der Ungleichheit oder den Herausforderungen des Klimawandels, der Migration und der Zuwanderung. Einen zentralen Stellenwert räumen sie der Menschenwürde ein, in der Hoffnung, dass „sich unsere wirtschaftlichen Prioritäten und die Art und Weise, wie sich Gesellschaften um ihre Mitglieder […] kümmern“, neu aufstellen.

Mantra gegen Glaubenssätze

In neun Kapiteln arbeiten sich die Autoren durch Themen wie Freihandel, Klimawandel, Migration, Ungleichheit und Wachstum und zeigen an vielen Beispielen, auch aus ihrem privaten Umfeld, warum sich Menschen nicht, wie oft von der ökonomischen Wissenschaft vorgegeben, rational verhalten: nämlich vor allem dann, wenn sich ihre Lebensbedingungen verändern. Gleichzeitig zeigen sie, dass arme Menschen es grundsätzlich „vorziehen, in der Heimat zu bleiben. […] Sie wollen nicht mal in die Hauptstadt ihres Bundeslandes umziehen, weil es ihnen zu weit weg ist. […] Es sei denn, eine Katastrophe zwingt sie dazu, diese zu verlassen.“ Zudem erklären sie, warum sich im globalen Wettkampf der wirtschaftliche Niedergang einiger Branchen, gerade auch in reichen Industrienationen, oft auf bestimmte geografische Gebiete konzentriert, in denen „abgehängte Menschen“ an „abgehängten Orten“ leben.

In ihrer Analyse verurteilen die Autoren nicht, sondern beschreiben und wägen ab. Sie sind gegen kategorische Glaubenssätze („Die Einwanderung ist gut“, „Der Freihandel ist besser“), wenn nicht genau erläutert wird, unter welchen Bedingungen diese realisiert werden. Sie glauben, dass sich nachhaltiges Wachstum über einen langen Zeitraum – ähnlich wie in großen Teilen im 20. Jahrhundert – durchaus wiederholen könnte. Denn: „Die Welt ist reicher und besser gebildet als je zuvor, die Innovationsreize befinden sich auf einem Allzeithoch.“ Allerdings ist es für Banerjee und Duflo nicht die Frage, wie die Reichen reicher werden können (denn das läuft falsch), sondern wie sich die Lebensbedingungen der Durchschnittsbürger steigern lassen.

Volkswirtschaft braucht kluge Köpfe

Einen „Zaubertrank für Wachstum“ halten die Autoren zwar nicht bereit, allerdings weisen sie darauf hin, dass es „zahlreiche Maßnahmen“ gibt, zum Beispiel Investitionen in Bildung und medizinische Versorgung, gesteigerte Effizienz des Justizsystems und des Bankensektors, um die „schlimmsten Quellen von Verschwendung in Volkswirtschaften zu beseitigen“. Die Skepsis der Bürger gegenüber dem Staat sei in vielen Ländern zwar offensichtlich und aus historischer Sicht mehr als berechtigt. Dennoch setzen die Autoren insofern auf eine stärkere Allianz von klugen Köpfen aus Regierungen und Nichtregierungsorganisationen, „um unsere sozialen Programme effektiver und politisch umsetzbar zu gestalten“.

Dass ein bedingungsloses Grundeinkommen beispielsweise in den USA tatsächlich die Wut derjenigen dämpft, die das Gefühl haben, auf der Strecke geblieben zu sein, halten die Autoren für unwahrscheinlich. Sie sind überzeugt, „dass die meisten Menschen wirklich arbeiten wollen, und zwar nicht nur, weil sie das Geld brauchen; die Arbeit wirkt sinnstiftend, vermittelt ein Gefühl der Zugehörigkeit und gibt ihnen Würde“.

Fazit

Einen ziemlich dicken Brocken haben uns da Banerjee und Duflo vorgelegt, aber auch ein Buch voller Denkanstöße, das – weit weg von blanker Theorie – die tatsächlichen Bedürfnisse der Menschen analysiert und versucht, konkrete und gut austarierte Handlungsempfehlungen zu vermitteln. Gleichzeitig ist ihr Buch auch ein Plädoyer für den Sinn und Nutzen der Ökonomie. Lesenswert!

Abhijit V. Banerjee und Esther Duflo: Gute Ökonomie für harte Zeiten, sechs Überlebensfragen und wie wir sie besser lösen können, Penguin-Verlag, München 2020.

Keinen Ökonomen-Blog-Post mehr verpassen? Folgen Sie uns auf Facebook, Instagram und Twitter, und abonnieren Sie unseren RSS-Feed sowie unseren Newsletter.