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Im geldpolitischen Teufelskreis

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Erwartungen der Finanzmärkte und der Politik mal wieder erfüllt. Sie hat den Leitzins auf ein neues Rekordtief gesenkt. Mit der Sorge um die Rezession in weiten Teilen Europas wird die historische Niedrigstzinspolitik begründet, mit der die EZB immer stärker dem Kurs der amerikanischen und der japanischen Notenbanken folgt.

Doch als Konjunkturstimulans taugen Zinssenkungen der Notenbanken nicht mehr. Das hat zwei unterschiedliche Gründe:

  • In den europäischen Peripherie-Ländern, auch in Großbritannien, herrschen Rezession oder Stagnation. Weil gleichzeitig die Banken ihre Kreditportfolios auf Risikominimierung trimmen müssen, halten sie sich in diesen Ländern mit der Kreditvergabe an Unternehmen zurück oder verlangen relativ hohe Kurzfristzinsen als Risikoprämien – egal wie niedrig der Leitzins der Notenbanken ist. Das trifft besonders kleine und mittelgroße Betriebe, die vor allem für die wirtschaftliche Dynamik eines Landes sorgen und überdurchschnittlich viele Arbeitnehmer beschäftigen.
  • In Deutschland und anderen Kernländern Europas sind Kredite für viele Unternehmen dagegen günstig wie nie. Von Kreditklemme kann keine Rede sein. Doch welches Unternehmen fragt Kredite für Investitionen nach, nur weil die Zinsen niedrig sind? Wer sich aufgrund der wirtschaftlichen Flaute in weiten Teilen Europas, dem sehr verhaltenen Wachstum in Amerika und des tendenziell rückläufigen Wachstumstrends in China keinen Mehrwert von einer Investition verspricht, der lässt sich auch von Niedrigstzinsen als Unternehmer nicht zur Kreditaufnahme verführen. Womöglich steckt auch Deutschland bereits im Abschwung, ist nur die aktuelle Stimmung besser als die tatsächliche Lage.

Die Wirkung der Geldpolitik der Notenbanken ist folglich geschwunden. Sie steht objektiv in keinem Verhältnis mehr zur Heilserwartung der Politik und der Finanzmärkte in die Handlungsfähigkeit dieser Institutionen. Die Ursache dieser geldpolitischen Sackgasse hat viel mit den Kreditfinanzierungsorgien zu tun, denen Politiker und Bürger, aber auch viele Finanzmarktakteure in vielen Jahrzehnten des Pumpkapitalismus gefrönt haben. Viele Staaten sind überschuldet, auch viele Privathaushalte – nicht nur in den Rezessionsstaaten. Das globale Bankensystem ist nach wie vor hochgradig fragil, weil über viele Jahre hinweg mit immer abenteuerlicheren Hebelungen jedes vernünftige Maß zwischen Ausleihungen und dem hinterlegten Eigenkapital verloren gegangen ist. Geradezu pervers mutet es inzwischen an, dass Staatsanleihen in Europa immer noch als sichere Wertanlagen gelten, für die Banken bis heute kein Eigenkapital vorhalten müssen. Je mehr sich die Staaten also Geld pumpten, über desto mehr Spielgeld für riskante Finanzmarktwetten verfügte der Finanzsektor.

Diese unheilige Allianz zwischen Politik und Finanzsektor wurde und wird komplettiert durch eine augenzwinkernde Haftungskumpanei, für die letztlich der Steuerzahler geradezustehen hat. Je systemrelevanter eine Bank ist, je stärker die Ansteckungsgefahren, der Dominoeffekt, eingestuft werden, desto mehr Risiken kann sie in ihrer Geschäftspolitik eingehen, weil sie vom Steuerzahler aufgefangen wird. Wem hier Parallelen mit der so genannten Euro-Rettung auffallen, der liegt richtig. Am Schluss war selbst Zypern für den Euro „systemrelevant“ und durfte nicht fallen gelassen werden. So verstrickten sich auch die Euro-Retter immer weiter im Teufelskreis der vermeintlichen „Alternativlosigkeit“.

Doch wir leben nicht in den Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hat. Es gibt keine wundersame Geldvermehrung durch die Zentralbanken, auch wenn sie derzeit ihre Druckmaschinen rotieren lassen wie nie zuvor. In der realen Welt eines nachhaltigen Wachstums kann kein Staat, kein Unternehmen und kein Bürger auf Dauer mehr konsumieren als er tatsächlich erwirtschaftet. Kreditfinanziertes Wachstum kollabiert irgendwann: durch Inflation oder Währungsreformen. Oder es mündet in jahrzehntelanger Stagnation, wie wir sie in Japan erleben, wo die Geldschwemme der Notenbank und unzählige kreditfinanzierte staatliche Konjunkturprogramme nur eines bewirkt haben: eine schier unvorstellbare Staatsverschuldung von rund 220% des Bruttoinlandsprodukts.