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Von wegen arme Kinder: Wie die OECD auf Deutschland schaut

Eine aktuelle Studie der OECD räumt mit einer ganzen Reihe liebgewonnener Allgemeinplätze wohlfahrtsstaatlicher Politik auf. So enttarnt das Schwerpunktthema „How’s Life for Children?“ im diesjährigen "How’s Life“-OECD-Bericht so manches lang gepflegte Jammertal als Garten Eden.  Das heißt nicht, dass hierzulande alles im Lot wäre. Das liegt aber gerade auch daran, dass uns die allgegenwärtigen paternalistischen Schimären blenden und den politischen Diskurs an den falschen Stellen binden. 
Gerd Maas

Autor

Gerd Maas

ist Unternehmer im oberbayerischen Landkreis Rosenheim, Publizist, Leiter Wirtschaftsethik-Kommission der Familienunternehmer e.V. und bloggt regelmäßig unter Maashaltig.

1) Das ewige Spiel mit der relativen Armut

Alle Jahre wieder – meistens mehrmals – inszeniert der Paritätische Wohlfahrtsverband die Tragödie der aufklaffenden Armutsschere, stets verbunden mit Forderungen nach massiven Ausweitungen des Sozialstaates wechselweise zu Gunsten von Arbeitslosen, Alten oder eben Kindern. Von „skandalös hoher“, „dramatischer“ oder „verheerender“ Kinderarmut wird da Jahr für Jahr gesprochen, auf „Rekordniveau“ oder gar in „historisch neuen Dimensionen“. Zuletzt, im Frühjahr dieses Jahres, hieß es, „Kinderarmut ist in Deutschland ein Massenphänomen“. Vor dem geistigen Auge sieht man nachgerade die Lumpenbanden durch Dickens’sche Szenarien geistern und rußgeschwärzte Knirpse aus engen Minenstollen kriechen.

Um die Wirklichkeit zu sehen, könnte man eine Smartphone-Kontrolle in den Hauptschulen der Republik durchführen oder man schaut sich eben einmal den Vergleich mit den anderen Industrienationen auf diesem Globus an. Der Anteil der Kinder, die in Haushalten leben müssen, die beim verfügbaren Haushaltseinkommen relativ schlechter gestellt sind – weniger als 50 Prozent des Medians der Gesamtbevölkerung haben – ist nur in Dänemark, Finnland, Norwegen, Island und Schweden noch geringer. Nachdem Deutschland gleichzeitig beim absolut verfügbaren Haushaltseinkommen pro Kind im oberen Drittel der OECD-Skala liegt, lösen sich die schwarzgemalten Rauchschwaden über Nimmerland schlagartig auf. Nur sehr, sehr wenige Kinder sind irgendwo oder waren irgendwann materiell besser gestellt als unsere heute.

2) Die Mär von der verlorenen Kindheit

Keine bildungspolitische Diskussion, bei der nicht jemand mit Verve den überbordenden Leistungsdruck, dem unsere Kinder heutzutage angeblich ausgesetzt wären, beklagt. Auf der Suche nach „Schulstress“ bekommt man bei Google 189.000 Treffer („Schulschlaf“ bringt nur 728 Links – wobei nach täglich durchschnittlich über fünf Stunden Bildschirmmedien-Konsum gewiss Tag für Tag mehr müde in der Schule hängen, als Stress haben).

Nachdem inzwischen Heerscharen von Psychotherapeuten ihr Brot erwerben müssen, ist der simple Leistungsdruck inzwischen selbstredend zum Burn-out mutiert. Da meinte etwa ein Professor für Jugend-Psychiatrie unlängst im ZEIT-Interview, „Schüler müssen heute ein unglaubliches Arbeitspensum bewältigen“, und schwadronierte von einer „durchökonomisierten Gesellschaft“ in der gilt: „wer nicht leistet, hat verloren“. Aha. Tja, was auch sonst, oder? Das real existierende Schlaraffenland hat noch keiner eingerichtet.

Unsere Kinder und Jugendlichen tangiert es jedenfalls nicht. Unter allen OECD-Staaten fühlen sich die deutschen Schüler von Schularbeiten am allerwenigsten unter Druck gesetzt. Sie empfinden fast dreimal weniger Stress als der OECD-Durchschnitt. Und sie fühlen sich mehrheitlich pudelwohl in unseren Schulen. Nur die norwegischen und isländischen Schüler mögen die Schule mehr als die deutschen.

3) Keine Chance

Gerade in Steuerdebatten mimen die Kollektivsten in den unterschiedlichsten Lagern gerne den Bildungs-Robin-Hood, schürzen eine Zweckbindung der Steuern vor und wollen es den Reichen nehmen, um es unter den Bildungsarmen auszuteilen. Im Namen der Chancengerechtigkeit. Selbst drei Verfassungsrichter versteigen sich in einem Sondervotum zum Erbschaftsteuerurteil vom 17.12.2014 zu der Aussage: „Die Erbschaftsteuer ist ein Beitrag zur Herstellung sozialer Chancengleichheit“. Eine  leichtfertig in den Mund genommene Formulierung. Denn ohne ein totalitäres Regime wird sich etwas, das von Natur aus unterschiedlich ist, nicht egalisieren lassen. Die Kindererziehung durch die leiblichen Eltern wäre unter solchen Prämissen zum Beispiel undenkbar. Da könnten sich ja tatsächlich noch einige darum kümmern wollen, dass es ihre Nachkommen mal zu was bringen.

Und dann kommt in einer freien Gesellschaft noch ein Momentum dazu, das in allen wohlfahrtsstaatlichen Träumen ganz unterschlagen wird: Zum „Chancen geben“ muss das „Chancen wahrnehmen wollen“ dazukommen, damit eine Erfolgsgeschichte daraus wird. Und beim „Chancen geben“ brauchen wir uns nicht in die Ecken stellen lassen. Die Rate der Jugendlichen im Alter von 15 bis 19 Jahren, die nicht zur Schule gehen oder in einer Ausbildung sind, ist die geringste in der ganzen OECD. Und nachdem unsere PISA-Ergebnisse durchweg überdurchschnittlich sind, wird in diesen Schulen schon auch ein bisschen was vermittelt und unsere duale Berufsausbildung genießt Weltruhm. Wenn da noch etwas nötig sein sollte, dann ist es individuelles Streben nach Unabhängigkeit. Und das ist keine Frage von staatlichen Finanzen, sondern ein Frage der Freiheit, die einem gelassen wird, um sich selbst zu bewähren.

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