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Steuerschätzung: Viel Lärm um (fast) nichts

Der Arbeitskreis „Steuerschätzungen“ geht von einem geringeren Wachstum der Steuereinnahmen aus als noch vor einem halben Jahr. Was vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Höhen und Tiefen wenig spektakulär ist, versetzt die Politik nur deshalb in große Aufregung, weil sie sich in den vergangenen Jahren allzu sehr an Abweichungen nach oben gewöhnt hat. Bund, Länder und Gemeinden haben jedoch weiterhin alle Möglichkeiten, ihre wichtigsten Anliegen umzusetzen.

Als Finanzminister Olaf Scholz nach drei Tagen Beratung die neue Prognose zur Entwicklung des Steueraufkommens präsentierte, verfiel die Berliner Republik sofort in Aufregung und Hektik. Auf der einen Seite wurden Ausgabenprojekte der Koalition infrage gestellt, auf der anderen Seite wurden Rufe nach Konjunkturprogrammen und Steuersenkungen als Mittel einer antizyklischen Fiskalpolitik laut.

Was war passiert? Der Arbeitskreis „Steuerschätzungen“ hat seine Erwartungen an die Wachstumsaussichten der deutschen Volkswirtschaft angepasst. Weniger wirtschaftliche Dynamik bedeutet etwas geringer steigende Steuereinnahmen. So weit, so unspektakulär, könnte man meinen. Doch die heftigen Reaktionen auf den banalen Zusammenhang zwischen Wirtschaftskraft und Steuereinnahmen legen offen, dass die vergangenen Jahre, in denen die Lage sich stets als noch besser als vorhergesagt erwies, zu einem gefährlichen Irrglauben in der Politik geführt hat. Der Haushaltsspielraum wurde stets als Differenz zwischen erwartetem und tatsächlichem Steueraufkommen definiert. Über die Jahre galt es als selbstverständlich, dass die Ist-Werte höher ausfallen als die Plan-Werte. Dass es in der Natur der Sache liegt, dass das Ganze auch einmal umgekehrt sein kann, wurde weitgehend ausgeblendet.

Diese Ernüchterung bietet die Chance, sich einer offenbar längst vergessenen Einsicht zu besinnen: In der Sparsamkeit liegt auch eine Einnahmequelle. Bund, Länder und Gemeinden sind nun gefordert, Prioritäten zu setzen. Eine Politik des „Sowohl-als-auch“ kann nicht immer die richtige Antwort auf die Frage sein, ob dieses oder jenes Projekt angegangen werden soll.

Dennoch kann keine Rede davon sein, dass der Politik nun die Hände gebunden sind. Die Steuerschätzer sehen eine kleine Delle für die Staatseinnahmen voraus, aber kein tiefes Loch. Von den insgesamt 124 Milliarden Euro, die der Staat in den Jahren 2019 bis 2023 voraussichtlich weniger einnehmen wird als noch vor einem halben Jahr geschätzt, sind 40 Prozent auf politische Entscheidungen zurückzuführen, insbesondere den Ausgleich der kalten Progression. Und die übrigen 60 Prozent sind vor allem ein Zurechtstutzen der Euphorie des Jahres 2018. Dies zeigt sich daran, dass der rein konjunkturelle, also der nicht im Ermessen der Politik liegende Effekt längst nicht so dramatisch ist: Nach der neuen Steuerschätzung liegen die erwarteten, um politische Entscheidungen korrigierten Einnahmen für die Jahre 2019, 2020 und 2021 immer noch höher, als im Frühjahr 2017 für diese Jahre prognostiziert wurde (siehe Grafik unten). Wenn sich jetzt Haushaltslöcher auftun sollten, dann nur, weil die Politik jedes hypothetische Plus auf der Einnahmenseite gleich auf der Ausgabenseite verplant hat.

Dass es nach den Zahlen der Steuerschätzung zu keinem Einbruch auf der Einnahmenseite kommt, belegt auch die konstant bleibende Steuerquote: Der Anteil der Steuereinnahmen am Bruttoinlandsprodukt schwankt bis zum Jahr 2023 minimal um den Wert des Jahres 2018 von knapp 23 Prozent.

Bemerkenswert ist, dass insbesondere Bundespolitiker mit der schwächeren Einnahmenentwicklung hadern. Auf den ersten Blick erscheint dies nachvollziehbar, da der Bund 71 von den erwähnten 124 Milliarden Euro an geringeren Einnahmen zu verkraften hat. Bei genauerem Hinblicken ist dies jedoch scheinheilig. Der Bund hat mit seinen politischen Vorhaben selbst dafür gesorgt, dass mehr Steuereinnahmen an Länder und Gemeinden fließen, zum Beispiel durch den Ausbau der Kinderbetreuung und die Integration der Flüchtlinge.

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