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Wie geht Ordnungspolitik in der Corona-Krise, Jan Schnellenbach?

Bitte um dieses Video anzusehen.

Die Corona-Pandemie stellt die gesamte Welt vor enorme Herausforderungen. Prof. Dr. Jan Schnellenbach von der BTU Cottbus-Senftenberg bewertet im Interview die wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die in der Corona-Krise auf nationaler und europäischer Ebene beschlossen worden sind.

Das Interview wurde im Rahmen der Econwatch-Veranstaltung „Wirtschaftspolitik in der Corona-Krise: Ordnungspolitik ade“ am 19. Oktober 2020 geführt. Im Folgenden lesen Sie das Transkript des Videos.

Verabschiedet sich die Wirtschaftspolitik in der Corona-Krise von der Ordnungspolitik, Prof. Dr. Schnellenbach?

Prof. Dr. Schnellenbach: Na ja, man denkt ja zunächst mal daran, dass möglicherweise diese hohe Verschuldung ordnungspolitisch problematisch sein könnte. Das ist sie aber in dieser Form jetzt erst mal noch nicht. Die Verschuldung, wie wir sie jetzt geplant haben, ist eine vertretbare Reaktion auf die Krise, in der Schwere wie wir diese Krise jetzt haben, zunächst mal. Was tatsächlich ein Problem ist, ist die Form wie der Wirtschaftsstabilisierungsfonds der WSF gestaltet ist, in dem ein großer Teil der Mittel für staatliche Beteiligung an Unternehmen vorgesehen ist. Und da müssen wir tatsächlich aufpassen, dass wir nicht in eine Staatswirtschaft hineinrutschen, hineinschleichen. Wenn sich der Staat an immer mehr Unternehmen beteiligt. Wir wissen aus der Vergangenheit, aus den Erfahrungen der Finanzkrise beispielsweise, dass solche Staatsbeteiligungen teilweise sehr lange laufen, und der Staat ist immer noch, der Bund ist immer noch an der Commerzbank beteiligt. Das ist eine Altlast aus der Finanzkrise immer noch. Die ist jetzt über zehn Jahre alt, diese Altlast. Und wir müssen aufpassen, dass wir nicht in ähnliche Szenarien jetzt in der Folge dieser Krise hineinrutschen, dass der Staat als Überunternehmer beteiligt ist an zahlreichen Unternehmen und das auch langfristig bleibt.

Sind die Regeln der Marktwirtschaft durch die Pandemie bedroht, wie Wirtschaftsminister Altmaier sagt?

Prof. Dr. Schnellenbach: Ich würde dem Minister nicht zustimmen, wenn er sagt, dass die Pandemie die Regeln der Marktwirtschaft bedroht. Das tut die Pandemie als solche sicherlich nicht. Das staatliche Eingreifen, wie wir es jetzt haben, bedroht auch noch nicht akut die Regeln der Marktwirtschaft. Es setzt sicherlich ein paar Regeln außer Kraft, wenn man beispielsweise sieht, dass die Insolvenzpflicht befristet ausgesetzt ist. Dann ist das sicherlich etwas, ein Beispiel dafür, dass die Regeln der Marktwirtschaft temporär teilweise außer Kraft gesetzt werden. Aber das ist im Rahmen dieser Krise, was wir bisher haben, eigentlich noch vertretbar. Ich würde also noch nicht davon sprechen, dass die Politik die Regeln der Marktwirtschaft akut gefährdet. Aber man soll mit Slippery-Slope-Argumenten, mit Argumenten, die eine abschüssige Ebene anführen, vorsichtig sein. Aber wir können durchaus in eine Situation reinrutschen, wo wir eine Interventionsspirale bekommen, wo die Politik zunehmend Gefallen daran findet, beispielsweise als Unternehmer tätig zu sein und Unternehmensbeteiligung zu sammeln. Und wir müssen vorsichtig sein, dass wir diese abschüssige Ebene nicht herunterrutschen, sondern wir müssen, wenn diese Krise vorbei ist, relativ schnell wieder diszipliniert zu einer funktionsfähigen Sozialen Marktwirtschaft im eigentlichen Sinn zurückkehren. Und das heißt eben, den Markt spielen zu lassen, und die Politik muss sich dann relativ schnell wieder zurücknehmen.

Was sind die Folgen der hohen Schulden in der Corona-Krise?

Prof. Dr. Schnellenbach: Na ja, man muss da aufpassen, dass wir die richtige Wortwahl erst mal wählen. Man sagt immer relativ leichtfertig, die Schuldenbremse ist ausgesetzt, aber eigentlich gilt die Schuldenbremse noch. Sie ist in Kraft. Wir machen nur von einer Ausnahmeregel Gebrauch, die in der Schuldenbremse im Gesetzestext selbst mit drinsteht. Und diese Ausnahmeregel gibt uns erst die Flexibilität in der Krise, in der schweren Krise, die wir jetzt haben, uns dann doch mal stärker zu verschulden. Deutlich stärker zu verschulden, als das in Normalzeiten möglich wäre. Aber das ist eben Teil der Schuldenbremse selbst, dass wir diese Möglichkeit haben, in Krisenzeiten. In besonders starken Krisenzeiten. Die Summe, mit der wir uns jetzt verschulden, ist natürlich sehr hoch, und ich kann verstehen, dass das auch erst mal einem einen Schrecken einjagt, wenn man diese Summe von über 300 Milliarden in zwei Jahren sieht. Aber man muss auch sehen, dass wir normalerweise spätestens eigentlich 2023 in die normale Phase zurückkehren sollten, dass die Schuldenbremse mit der strikten Schuldenregel dann auch wieder gilt. Das heißt, dass wir dann wieder in einen fast ausgeglichenen Haushalt hineinkommen, korrigiert um die Konjunktur-Komponente, die normale Konjunktur-Komponente, die die Schuldenbremse auch hat. Das heißt, wir sollten eigentlich spätestens 2023, vielleicht auch schon 2022, wieder auf dieser Seite in normale Zeiten hinauslaufen und eine normal funktionierende Schuldenbremse und eine solide Situation bei den öffentlichen Finanzen eigentlich wiederhaben.

Wie beurteilen Sie die Corona-Maßnahmen auf europäischer Ebene?

Prof. Dr. Schnellenbach: Ich denke, dass wir auf der europäischen Ebene sicherlich am ehesten den Fall haben, dass wir da zu weit gegangen sind mit den Maßnahmen, die wir da ergriffen haben. Es gibt eigentlich keinen wirklich guten Grund für diesen großen European Recovery Fund, der mit 750 Milliarden Euro ausgestattet ist und der jetzt umverteilt wird an die EU-Mitgliedstaaten. Man hätte, wenn man etwas hätte tun wollen für die sehr stark von der Pandemie betroffenen Mitgliedstaaten, dann hätte man sicherlich direkte Transfers an diese Staaten organisieren können. Das ist das, was zum Beispiel Hans-Werner Sinn auch vorgeschlagen hat. Jetzt allerdings hat man sich entschieden, stattdessen diese Hilfen zu institutionalisieren. Man hat diesen Fund aufgesetzt und schafft damit möglicherweise einen Präzedenzfall, der darauf hinausläuft, dass die EU in Zukunft häufiger eigene Anleihen vergeben wird und als Schuldner auftreten wird auf den Finanzmärkten. Das ist sicherlich ein Problem, dass wir diese Tür jetzt geöffnet haben. Es ist auch ein Problem, dass die EU die Zahlungen, die Rückzahlungen dieses Recovery Fund dann über Einnahmen aus der Plastic Tax teilweise finanzieren soll. Das heißt, über eine Steuer, deren Einnahmen zwar von den Mitgliedstaaten eingesammelt werden, die aber dann exklusiv der EU zusteht. Auch das könnte ein weiterer Schritt sein in Richtung einer Steuerhoheit für die EU. Das ist es jetzt zwar noch nicht, aber die Gefahr besteht, dass wir da wieder einen ersten Schritt gegangen sind und dass der nächste Schritt darin bestehen wird, dass die EU tatsächlich eigene Steuern bekommt, über die dann auch auf der EU-Ebene autonom entschieden werden kann. Und das ist ein Problem, das wir dann haben auch im Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzip, und wir haben ein Problem dann im Hinblick auf die demokratische Kontrolle, da wir immer noch gewisse Demokratiedefizite auf der europäischen Ebene haben. Also da haben wir sicherlich ein Problem und das hätte man sicherlich eleganter lösen können, ohne dass wir jetzt Corona-Bonds auf der europäischen Ebene vergeben.

Ist die internationale Arbeitsteilung ein Vor- oder ein Nachteil in der Pandemie?

Prof. Dr. Schnellenbach: Ich würde aus der Pandemie für die internationale Arbeitsteilung ziehen, dass das eigentlich doch sehr gut funktioniert. Wir hatten zwar am Anfang der Pandemie gewisse Sorgen, dass es da bei einzelnen Gütern Lieferschwierigkeiten geben würde. Es gab das Problem, dass Masken nicht gut lieferbar waren zunächst mal, wenn wir an März, April zurückdenken. Aber das hat sich ja alles relativ schnell erledigt. Und wenn wir jetzt eigentlich mal zurückblicken auf diese Krise, dann sehen wir eigentlich, dass die Versorgung mit Gütern, die weltweite Versorgung mit Gütern trotz aller Lockdowns und trotz aller Probleme erstaunlich reibungslos funktioniert hat. Das heißt, all die Globalisierungs-Skepsis, die wir am Anfang der Krise gehört haben von manchen Kommentatoren, die hat sich eigentlich inzwischen in Luft aufgelöst, weil die internationale Arbeitsteilung weiter, trotz erschwerter Bedingungen, relativ reibungslos funktioniert. Das heißt, wenn ich eine Lehre ziehen würde aus der Krise, dann am ehesten die, dass wir die Märkte weiter offen halten sollten, dass wir weiter auf internationale Arbeitsteilung setzen sollten, dass wir vielleicht darauf achten, einzelne Lieferketten international noch ein bisschen mehr zu diversifizieren und da ein bisschen mehr Resilienz noch zu schaffen. Aber ich würde auf keinen Fall die Lehre draus ziehen, dass wir jetzt in Richtung Autarkie streben müssten und dass das Ziel jetzt sein müsste, immer mehr Teile der internationalen Arbeitsteilung ins eigene Land zurückzuholen. Das sollte sicherlich nicht das Ziel sein, sondern wir sollten einfach froh darüber sein, dass diese Arbeitsteilung so unglaublich gut funktioniert hat, auch in einer sehr schweren Krise.

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