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Abschied aus Analogistan: Ein Plädoyer für den digitalen Wandel

Erst sehr spät sind die Möglichkeiten der Digitalisierung in das Bewusstsein der deutschen Politik gedrungen. Es wird höchste Zeit, sie auf Platz eins der politischen Agenda zu setzen, meint Autor Hubertus Porschen. Ein Buch zur richtigen Zeit, schreibt unser Kritiker Martin Roos. 

Die Sorgen vor den Konsequenzen der Digitalisierung sind bei vielen Menschen groß. Im Wettlauf mit Algorithmen und künstlicher Intelligenz fürchten sie unterzugehen. Und so lauten die Vorurteile: Die Digitalisierung ist böse, sie vernichtet Arbeitsplätze, der digitale Kapitalismus überrollt die Märkte, die Moral verkommt, wir werden entmenschlicht, die Digitalkonzerne verkaufen unsere Daten und machen uns zu Sklaven.

Hubertus Porschen will das Gegenteil, nämlich für die Digitalisierung und ihre großen Potenziale werben. Denn sonst, so fürchtet der Social-Media-Experte, verlieren der deutsche Staat und seine Gesellschaft den Anschluss an den unaufhaltsamen Fortschritt der Zeit. Sein nun erschienenes Buch „Digitaler Suizid ⎼ warum wir vom High-Tech-Standort zum Entwicklungsland verkommen und was wir dagegen tun können“ ist ein Plädoyer auf rund 220 Seiten für den dringend benötigten Weg Deutschlands in die digitale Gesellschaft ⎼ und ganz nebenbei auch eine Motivationsrede für das Unternehmertum.

Natürlich sind Zweifel an der Digitalisierung nicht unberechtigt ⎼ schon deswegen, weil zu oft zu wunderbare Zukunftsperspektiven entworfen werden, deren Sinn und Nutzen noch längst nicht erwiesen sind. Ein Stichwort sei hier nur die digitale Untersterblichkeit. Doch die Angst vor Kontrollverlust und totaler Überwachung blendet aus, welche Vorteile durch die Digitalisierung tatsächlich möglich sind.

Digitale Infrastruktur schaffen

Kernaufgabe muss zunächst einmal länderübergreifende Umsetzung der digitalen Infrastruktur in Deutschland sein, meint Porschen. Denn woran es zurzeit am meisten hapert, ist der konsequente Ausbau der Glasfasernetze. „Schnelles Internet ist Grundlage für gesellschaftliche Teilhabe“, meint der Autor. Die Abdeckung der Haushalte durch Glasfasernetze beträgt in Deutschland nur knapp sieben Prozent. In Spanien sind es 53 Prozent, in Schweden sind es 56 und in Estland sogar 73 Prozent ⎼ der Ex-Sowjetstaat im Norden des Baltikums hat als weltweiter Vorreiter einer digitalen Gesellschaft den Zugang zum Internet zu einem Menschenrecht erklärt.

Deutschland ist für Porschen zurzeit eher ein „Analogistan“, dem disruptive Ideen in der Wirtschaft und digitale Kompetenz in Bildung und Verwaltung fehlen. Schuld daran sei die Politik. „Gründer und Unternehmer werden durch falsche Rahmenbedingungen, überbordende Bürokratie und ein antiquiertes Bildungssystem massiv behindert, was letztlich dazu führen wird, dass Deutschland international zurückfällt“, befürchtet der Autor. Die Digitalisierung könne durch Vereinfachung und Vereinheitlichung enorm helfen, die Entbürokratisierung voranzutreiben. Und wenn man glauben würde, dass „Tablet-Wischen“ in Schulen schon Digitalisierung darstellt, irre man nur auf dem Holzweg herum.

Nicht nur in Estland, selbst im Brexit-turbulenten Großbritannien steht standardmäßiges Programmieren seit 2014 schon ab der Grundschule auf dem Lehrplan. In Deutschland hingegen passiert viel zu wenig. Das ist angesichts einer zukünftigen Arbeitswelt, die noch digitaler, automatisierter und vernetzter sein wird als heute, kaum zu glauben. Dass sich immer noch zu wenig Pädagogen darüber Gedanken machen, wie sie sicherstellen können, dass junge Menschen diese Qualifikationen mit auf den Weg bekommen, grenzt gar an Fahrlässigkeit.

Porschen setzt wie einige andere Kritiker deswegen auf die Idee: Informatik muss Pflichtfach werden. „Es muss ja nicht jeder Programmierer werden, aber heute wird auch keiner Geschäftsführer, der kein Englisch spricht. Programmiersprachen sind das Tor zur digitalen Welt und zur Karriere.“ Dazu zähle auch die Fähigkeit, wirtschaftliche Zusammenhänge, unternehmerische Entscheidungen und die Vermarktung von Produkten zu verstehen. Das Ziel schon an den Schulen müsse daher lauten: ökonomische Grundbildung.

Entscheidend für einen Wandel zu einer digitalen Gesellschaft ist das digitale „Mindset“, also „die Summe aller Verhaltensmuster in Bezug auf die Digitalisierung, zum Beispiel die Neugier und die Veränderungsbereitschaft“. Digitalisierung meint also nicht nur Technik, sondern sie ist vor allem ein Veränderungsprozess. Es geht um den gesamtgesellschaftlichen Mentalitätswandel ⎼ wenn man so will: um eine neue Kultur. Dem steht allerdings zurzeit des Deutschen geliebte „Null-Fehler-Kultur“ im Weg, meint der Autor. „Fail fast, fail often“ widerspricht unserem Drang nach Perfektion. Trotzdem müssen wir lernen, Fehler zuzulassen ⎼ bei anderen und auch bei uns selbst.“ Ein digitales Mindset zu haben, bedeute veränderungsbereit zu sein und diese Haltung weiterzugeben.

Es lohnt sich, ist Porschen überzeugt. Denn wenn es der Bundesrepublik als nach wie vor starkes Industrie- und Produktionsland gelänge, seine industrielle Existenz und Erfahrung mit digitaler Kompetenz zu kombinieren, „haben wir die Nase vorn“.

Fazit

Sehr schnell rückt bereits die künstliche Intelligenz immer näher ⎼ China und die USA experimentieren intensiv mit „machine learning“. Doch Deutschland steht noch stets wie der analoge Ochs vorm digitalen Berg. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Umso wichtiger ist es aber, dass Hubertus Porschen mit seiner Analyse den eklatanten Nachholbedarf offenlegt und notwendige Vorschläge für Lösungen anbietet ⎼ ein Buch zur richtigen Zeit.

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