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Null-Grenzkosten: Wie digitale Güter die Wirtschaft verändern

Die Digitalisierung schafft nicht nur Veränderungen des Konsumverhaltens, sie hat zudem erhebliche Auswirkungen auf die mikroökonomischen Faktoren der Unternehmensführung. - Über die Implikationen der Null-Grenzkosten-Ökonomie.

Auf Basis der neuen Verbreitungs- und Vervielfältigungsmechanismen entstehen ungeahnte Gewinnpotenziale, die im Wesentlichen aus einer Reduzierung der Kosten, aber auch der Funktionsweise des digitalen Wettbewerbs im Hinblick auf die Preisbildung resultieren.

Aus Sicht der Unternehmen ergeben sich neben den Anpassungsherausforderungen demnach auch Vorteile und enorme Chancen, die nachfolgend unter dem Gedanken der Null-Grenzkosten-Ökonomie vorgestellt werden.

Grenzkosten, Preisbildung und Gewinn

Betrachtet man klassische Produktionsprozesse unter einem traditionellen kostentheoretischen Ansatz, spielen neben den die Grundlage der Kostenrechnung bildenden Fixkosten vor allem die jeweils für eine weitere Produktionseinheit anfallenden Mehrkosten, die Grenzkosten, eine große Rolle.

Dieser in einem engen Verhältnis zu den variablen Stückkosten der jeweiligen Einheit stehende Posten erlaubt eine wichtige Aussage dahingehend, ob sich eine Steigerung der Produktionsrate im Hinblick auf die Gewinnmaximierung lohnt. Dies ist üblicherweise nur dann der Fall, wenn die Grenzkosten unter dem Grenzerlös, also dem Umsatz pro weitere Produktionseinheit, bleiben.

Während bei klassischen Geschäftsmodellen die Grenzkostenkurve ab einer bestimmten Produktionsmarge wieder zunimmt und den Unternehmen somit eine von den Grenzerlösen abhängige Limitierung der Gewinnmaximierung vorgibt, sind gerade solche mikroökonomischen Kosten-Gewinn-Theorien auf bestimmte digitale Angebotsstrukturen nicht anwendbar.

Diese Aussage gilt jedoch vornehmlich für den Bereich sogenannter digital repräsentierter Güter. Darunter versteht man solche Verkaufsgegenstände, die in rein digitaler Form vorliegen, etwa digitalisierte Bücher, Musik oder Filme. Diese unterscheiden sich von physischen Gütern dadurch, dass sie aufgrund ihrer mangelnden Körperlichkeit nicht exklusiv sind. In der Theorie können sie somit von unendlich vielen Konsumenten zur gleichen Zeit genutzt werden, ohne dabei an Qualität oder Lebensdauer zu verlieren. Daher zielen entsprechende Eingriffe in den freien Markt des Internets, wie etwa die Regelungen des Urheberrechts, auf eine künstliche Verknappung, um eine Kommerzialisierung der Güter überhaupt zu ermöglichen. Ihr digitaler Charakter führt jedoch zu weiteren Auswirkungen im Hinblick auf Kosten- und Preiskalkulation. Um diese Folgen zu verstehen, lohnt sich ein kurzer Blick auf die klassischen Preisbildungsmodelle.

In einem von fairen Bedingungen geprägten Wettbewerb orientiert sich der Preis an drei Faktoren: Dem Nachfrage-Angebot-Verhältnis, den Preisen der Konkurrenz und den eigenen Kosten bei der Produktion. Einzelne Wettbewerber haben demnach nicht die Möglichkeit, individuellen Einfluss auf die Preissetzung zu nehmen, sie sind durch das Marktverhalten bezüglich des jeweiligen Gutes gebunden.

Eine gewisse Zeit nach dem Markteintritt pendelt sich ein allgemeiner Marktpreis ein. Wollen Wettbewerber mit dem Vertrieb des Gutes dann noch Gewinn erzielen, sollten die Grenzkosten unter dem Grenzerlös bleiben. Das bedeutet, die Unternehmen passen sich durch Veränderung der Produktionsmenge an den Markt an, nicht der Markt an sie. Sie sind daher, was ihre Preissetzung, aber auch ihre Produktionsvorgaben angeht, in gewisser Weise fremdlimitiert. Dies ändert sich durch die Digitalisierung, da diese zwei wesentliche Variablen in dieser Rechnung verändert.

Bei digital repräsentierten Gütern sinken die Grenzkosten. Statt wie üblich ab einer gewissen Phase der Reduzierung wieder exponentiell anzusteigen, nähern sie sich immer weiter der Nulllinie an und widersprechen so der traditionellen Kostentheorie.

Anders als ihre analogen Äquivalente durchlaufen sie nämlich keinen klassischen Fertigungsprozess, welcher sich bei jeder neuen Einheit wiederholt und bei dem jeweils variable Stückkosten, insbesondere für individuell abgrenzbare physische Datenträger, anfallen. Stattdessen müssen die Inhalte, je nachdem, ob sie zuvor nur in analoger Form vorlagen, lediglich einmalig digitalisiert und in das Vertriebsnetzwerk eingepflegt werden. Der wesentliche Unterschied zwischen analogem und digitalem Inhalt ist demnach, dass es zur digitalen Distribution keiner tatsächlichen Vervielfältigungshandlung bedarf. Jedem neuen Nutzer wird bei Bedarf lediglich der individuelle Zugang – man könnte von einem Schlüssel sprechen – zum sowieso schon digital repräsentierten, im Web gespeicherten und somit von überall zugänglichen Inhalt gewährt. Variable Stückkosten fallen demnach nicht nur deshalb nicht an, weil kein physisches Material benötigt wird, die Eigenschaft als nicht physischer, im Netzwerk verbreiteter Inhalt führt aufgrund der Funktionsweise des Internets stattdessen dazu, dass es generell keiner entsprechenden Vervielfältigungshandlung bedarf, weder einer analogen noch einer digitalen. Der Verbreitungs- und damit auch der Vertriebsprozess basieren im Kontext solcher Güter demnach auf gänzlich anderen Faktoren. Unabhängig davon lässt sich festhalten, dass eine steigende Nutzerzahl folglich auch auf lange Sicht nicht mehr zu einem Anstieg der Grenzkosten führt. Stattdessen führt jede weitere Distribution zu einer vorteilhaften Verteilung aller Kosten auf die Konsumenten.

Natürlich kann ein vertrieblicher Wachstumsschub in besonderen Fällen auch bei solchen Modellen zu einem erneuten Investitionsbedarf führen, etwa bei einem notwendig werdenden Ausbau der technischen Infrastruktur. Die variablen Stückkosten bleiben dann zwar weiterhin sehr gering, es entstehen jedoch sprunghafte Fixkosten. Bis es zu einem solchen Sprung kommt, bedarf es gerade im technisch-digitalen Bereich jedoch erheblicher Nutzeranstiege. Zudem können die Kosten bei gleichbleibenden oder steigenden Erlös- und Nutzerniveaus besonders schnell refinanziert werden.

Abgesehen von diesen Fixkosten entstehen den Anbietern digitaler Güter wegen der ausgeführten Gründe bei Steigerungen der Produktionsmenge jedoch keine weiteren Kosten. Damit haben sie einen erheblichen Vorteil gegenüber ihren Konkurrenten auf dem analogen Markt. Legt man zugrunde, dass die Gewinnmaximierung durch die beiden Variablen Grenzkosten und Grenzerlös bestimmt wird und dass diese üblicherweise zu dem Zeitpunkt erreicht ist, in dem die Produktion einer weiteren Einheit so viel kosten würde, wie sie auch einbringt, erklärt sich, warum dies so ist. Eine gegen null laufende Grenzkostenkurve wird schon rein logisch – außer im Fall eines ebenfalls erheblich abfallenden Erlöswerts – nie die Grenzerlöskurve kreuzen. In der Theorie ergibt sich für Anbieter digitaler Güter somit kein mit der Produktionsmenge verbundenes Gewinnmaximum. Sie können ohne wesentliche Abstriche immer weiterwachsen, sodass das Ausmaß ihrer Gewinnmarge nur noch von den Erlöszahlen abhängt.

Immobilienscout24 als Erfolgsmodell

Dass allerdings auch solche Geschäftsmodelle, die nicht allein auf digital repräsentierte Inhalte wie Text, Musik oder Videos setzen, von der Grenzkostenreduzierung profitieren, zeigen unter anderem Plattformen wie Immobilienscout24. Bei dem beliebten Immobilien-Vermittlungsportal handelt es sich um eine webbasierte Plattform, auf der Anbieter und Interessenten in den direkten Austausch über am Markt befindliche Immobilien treten können.

Kern des Geschäftsmodells bildet die aktive Mitarbeit der unmittelbar beteiligten Parteien. Die Plattform selbst stellt nur die notwendige technische Infrastruktur zur Verfügung und sorgt durch etwaige in den Rahmenverträgen festgehaltene „Spielregeln“ für die notwendige Sicherheit. Dabei hält sich der Aufwand der Plattformnutzer dank der simplen Bedienungsoberfläche und der in die technischen Voreinstellungen eingearbeiteten Grundvoraussetzungen in Grenzen. So können auch solche Nutzer aktiv am Markt teilnehmen, die keine Expertise auf dem Gebiet der Immobilienvermittlung besitzen. Wollen sie sich dennoch nicht auf ihre eigenen Fähigkeiten verlassen, können sie ein Maklerbüro mit der Betreuung des Onlineangebots betrauen. Darüber hinaus ist die Angebotspalette deutlich umfangreicher als das Portfolio vieler Maklerbüros. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, schnell eine passende Wohnung zu finden.

Das gilt im Umkehrschluss auch für die Seite des Anbieters, der eine deutlich höhere Reichweite erzielen kann und sich zudem die meist hohen Kosten in Form der Maklercourtage spart. Das Geschäftsmodell von Vermittlungsplattformen wie Immobilienscout24 und Konkurrenzunternehmen lebt folglich von der Einfachheit der intuitiven Oberfläche, der Flexibilität und nicht zuletzt der finanziellen Vorteile für nichtprofessionelle Anbieter und Interessenten. Ähnlich wie bei Plattformmodellen wie dem von Ebay entfällt die zwingende Notwendigkeit eines Intermediärs, und auch die physische Präsenz der Parteien kann im frühen Stadium der Geschäftsabwicklung durch vertrauensfördernde und informationsvermittelnde Technik ersetzt werden.

Auch für das Unternehmen hinter der Plattform birgt dieses Geschäftsmodell eine große wirtschaftliche Attraktivität. Das traditionelle Modell der Immobilienverwaltung und -vermittlung basierte auf dem Einsatz sachlicher wie personeller Ressourcen. Sowohl Anbieter als auch Interessenten waren auf eine vermittelnde Partei angewiesen, die den Markt für beide analysierte und in Abhängigkeit von den persönlichen Bedürfnissen und Wünschen geeignete Angebote heraussuchte. Diese meist von Maklerbüros übernommene Tätigkeit basierte jedoch auf einer Summe aus Fixkosten, die bei den digitalen Vermittlungsplattformen erheblich reduziert werden können.

Es bedarf zunächst keiner flächendeckenden Büroanmietung, wie sie aufgrund der Notwendigkeit der lokalen Erreichbarkeit von Maklern früher üblich war. Die Plattform kann ortsungebunden agieren und braucht zur Verwaltung der technischen Systeme keine großen räumlichen Infrastrukturen. Dies wird nicht zuletzt aufgrund der erheblichen Veränderungen am Geschäftsmodell selbst ermöglicht.

Wie eingangs bereits angedeutet, wird die Rolle des Maklers zunehmend durch Technik ersetzt. Den Selektionsprozess übernimmt ein Algorithmus, der dank Filtermöglichkeiten, wenn nicht sogar Big-Data-Analyse mittels künstlicher Intelligenz, passgenaue Ergebnisse der Suchanfragen erzielt. Ein Mensch kann hinsichtlich Schnelligkeit, Ergebnispräzision und Umfang der gesichteten Daten kaum mithalten. Das reduziert in der Folge auch die variablen Kosten, insbesondere was den Mehraufwand bei wachsenden Nutzerzahlen angeht. Neben einfachen Posten, wie der Erstellung einer ausreichenden Zahl an Exposés, kann vor allem erheblich bei den Personalkosten gespart werden.

Häufiges Problem des traditionellen Modells war die zeitliche Kapazitätenbegrenzung, die in der Natur des Menschen angelegt ist. Je mehr Interessenten es für ein Objekt gab, desto mehr Personal musste auch für die Betreuung eingesetzt werden. Ähnliches gilt für die Betreuung der Anbieter. Ein mit den Nutzerzahlen der Plattformen vergleichbares Kundeniveau kann in analoger Form kaum erzielt werden, selbst wenn man das Problem der regionalen Beschränkung außer Acht lassen würde. Dabei ist der Einsatz dieser Ressourcen zu Beginn des Vermittlungsprozesses grundsätzlich nicht notwendig. Natürlich kann das Geschäftsmodell von Immobilienscout24 nicht die Phase des rechtlich regulierten Miet- oder Kaufvertragsabschlusses abdecken und auch die für eine solch große Investitionsentscheidung wichtige Begehung vor Ort trotz bildhafter Darstellung nicht ersetzen. Gerade im Bereich der Vorselektion des Markts und des ersten Kontakts zwischen den Parteien können die Prozesse jedoch digital ersetzt und in enger Verbindung zu den individuellen Kundenbedürfnissen optimiert werden. Der Unterschied zu den digital repräsentierten Inhalten ist dabei, dass die Grenzkostenreduzierung nicht in der Produktion, sondern in der Transaktion stattfindet.

Fazit

Die Skalierbarkeit führt zu einem Umdenken der am digitalen Markt tätigen Unternehmen. Das Erzielen einer breiteren Marktdurchdringung und größeren Reichweite steht im Vordergrund wirtschaftlicher Entscheidungen. Investitionen in Marketingstrategien und Reichweitenverstärkende Algorithmen nehmen zu. Denn: Jeder neu gewonnene Nutzer generiert auch neuen Umsatz, der aufgrund der kaum bestehenden Grenzkosten zugleich den Gewinn darstellt. Bei steigender Nutzerzahl kommt es im digitalen Markt im Ergebnis nicht mehr nur zu einer Deckung der Fixkosten, sondern mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch zu einer unmittelbaren Gewinnerhöhung. Die Zahl der Nutzer wird damit zu einem Wertindiz einer Plattform, wobei der Wert durch ein Streben nach Marktdurchdringung und Reichweite kontinuierlich gesteigert werden kann. Es lässt sich festhalten, dass durch Digitalisierung und technischen Fortschritt Produkte hergestellt werden, die quasi mit Grenzkosten von null angeboten werden können. Darauf sollten sich konkurrenzfähige Unternehmen frühzeitig einstellen, um ihre eigenen Vorteile aus dieser Entwicklung zu ziehen.

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