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Zehn Empfehlungen für einen Beitrag der Fiskalpolitik zur Preisstabilität

Die Eurozone hat in den letzten beiden Jahren den stärksten Inflationsschub seit der Einführung des Euro durchlaufen. Seit dem Sommer 2021 verfehlt die EZB ihr Inflationsziel von zwei Prozent, und das längere Zeit mit weitem Abstand. In der Spitze wurde im Herbst 2022 eine zweistellige Inflationsrate erreicht. Auch wenn die Geschwindigkeit der Geldentwertung am aktuellen Rand fällt, bleibt die dauerhafte Rückkehr zur Preisstabilität eine Herausforderung. 

In Deutschland ist „EZB-Bashing“ ein häufiger Reflex auf diese Inflationserfahrung. Die EZB habe zu spät und anfangs zu unentschlossen auf das Hochschießen der Preise nach der Pandemie reagiert, monieren Kritiker. Zudem hätte sie durch jahrelange Null- und Negativzinspolitik überhaupt erst den monetären Spielraum für die spätere Inflation gelegt. 

Unabhängig davon, welche Fehler die EZB gemacht hat, wäre es verfehlt, den Schwarzen Peter alleine der Geldpolitik zuzuschieben. Auch die Fiskalpolitik der Mitgliedstaaten trägt eine Mitverantwortung für die Preisstabilität in der Eurozone. Diese fiskalische Mitverantwortung wird in den kommenden Jahren noch wachsen.  

Es gibt mindestens drei konzeptionelle Gründe, warum Entscheidungen über Staatsausgaben, und ihre Finanzierung durch Steuern und Staatsverschuldung einen Einfluss auf die Inflationsrate hat. 

  • Erstens verringern hohe Schulden den Spielraum der Geldpolitik und untergraben das Vertrauen in die Stabilitätsorientierung der Zentralbank. Dies ist bereits heute ein relevantes Problem in der Eurozone. Die sehr hohen Schuldenstände von Staaten wie Italien, Spanien und inzwischen auch Frankreich lassen den Druck auf die Zentralbank wachsen, bei Zinsentscheidungen die Finanzierbarkeit von Staatsschulden im Blick zu haben. Diese Gefahr hat sich mit den Ankaufsprogrammen der EZB für Staatsanleihen noch verstärkt. 
  • Zweitens kann die Fiskalpolitik in Krisen Inflation verursachen, wenn sie falsch reagiert. In der Pandemie wurden umfangreiche Programme zur Stabilisierung der Nachfrage geschnürt, obwohl der Wirtschaftseinbruch auf einen Einbruch der Produktionsmöglichkeiten zurückzuführen war, also einen „Angebotsschock“. Insbesondere in den USA habe deutlich überdimensionierte Krisenpakete die Inflation stark angefacht. Aber auch in Deutschland haben „Wumms“ und „Doppelwumms“ für erheblichen Druck im Kessel und damit auf die Preise gesorgt. 
  • Drittens entscheidet die Fiskalpolitik mit ihrer Steuersetzung und der Finanzierung von Infrastruktur über die Produktionsmöglichkeiten. Wenn diese schrumpfen, weil etwa hohe Steuern zum Kapitalabfluss und zur Verringerung der Arbeitsbereitschaft führen, dann lässt das den Inflationsdruck steigen. Umgekehrt unterstützen sich verbessernde Angebotsbedingungen die Bemühungen der Zentralbank um Preisstabilität.  

Diese Zusammenhänge machen deutlich, dass die Fiskalpolitik in Deutschland und der EU insgesamt verschiedene Ansatzpunkte hat, der EZB bei Sicherung der Preisstabilität zu helfen. Konkret lassen sich mit Blick auf die deutsche Finanzpolitik die folgenden zehn Empfehlungen formulieren:  

1. Bund und Länder müssen die langfristige Tragbarkeit der deutschen Staatsverschuldung sicherstellen. 

Deutschlands Schuldentragfähigkeit ist kurzfristig ungefährdet. Auf mittlere und lange Sicht gefährden die demographischen Trends und die damit dramatisch steigenden Sozialausgaben jedoch die fiskalische Stabilität. Wackelt in den kommenden Jahrzehnten die deutsche Bonität, dann wäre das auch fatal für die Möglichkeiten der EU, durch gemeinsame Finanzinstrumente andere hoch verschuldete Staaten zu stabilisieren. Damit könnte die EZB dann in eine Lage geraten, wo sie zur Liquiditätssicherung des Fiskus gezwungen ist und damit die Kontrolle über ihre Geldpolitik weitgehend einbüßt. 

2. Die Bundesregierung sollte auf europäischer Ebene auf wirksame Fiskalregeln hinwirken. 

Die Bundesregierung sollte sich in den laufenden Verhandlungen über die Reform der europäischen Fiskalregeln gegen Modelle positionieren, welche den Spielraum der Europäischen Kommission in der Budgetüberwachung noch ausdehnen und nachweisbare Konsolidierungsbemühungen über Jahre vertagen würden. Solche Reformen würden die Glaubwürdigkeit der Fiskalregeln weiter schwächen und wären für die EZB in Zukunft eine Hypothek.  

3. Bund und Länder sollten ihre noch durch Pandemie und Energiekrise motivierte expansive Finanzpolitik rasch weiter zurückführen. 

Die fiskalische Stimulierung der Nachfrage wirkt dann inflationär, wenn sie nicht zielgenau erfolgt und auch dann noch fortgesetzt wird, wenn der zu bekämpfende Schock bereits abgeebbt ist. Auch wenn die konjunkturelle Situation Deutschlands aktuell schwierig bleibt, kann derzeit nicht wie in der Pandemie oder in der 2022 drohenden Energiekrise von einer schweren Krisenlage gesprochen werden. Eine Rückkehr zu den Vorgaben der Schuldenbremse ist jetzt angemessen. 

4. In künftigen Krisen sollten Krisenprogramme im Volumen und in der Struktur besser auf die Natur des jeweiligen Schocks ausgerichtet werden. 

Die Bundesregierung sollte im Rahmen ihrer präventiven Aufgaben bei der Erarbeitung von fiskalpolitischen Krisenplänen sicherstellen, dass Volumen und Ausrichtung von Krisenpaketen in Zukunft noch besser auf die Natur des Schocks abstellen. Das bedeutet konkret, dass etwa eine ungezielte und breite Nachfragestützung dann zu vermeiden ist, wenn einem Schock eine plötzliche Einschränkung von Produktionsmöglichkeiten zu Grunde liegt, wie dies etwa bei Pandemien, Naturkatastrophen, Kriegen oder Energiekrisen der Fall sein kann. 

5. Deutschland sollte für zukünftige Krisen seine Instrumente auf dem Gebiet der Kurzarbeit und Krisenkredite überprüfen und überarbeiten. 

Adäquate Kriseninstrumente sind so zu designen, dass sie im Fall eines ökonomischen Schocks sehr rasch aktiviert werden können und effektiv stabilisieren, ohne aber langfristig notwendige Anpassungen zu unterbinden. In Deutschland wird im internationalen Vergleich den langfristigen Fehlanreizen („Zombifizierung“ von Arbeitsplätzen und Geschäftsmodellen) zu geringe Aufmerksamkeit geschenkt. Beispiele betreffen die sehr lange Bezugsdauer von Kurzarbeitergeld und dabei erfolgende Lohnersatzraten, die im Zeitverlauf sogar noch steigen. 

6. Die Steuer- und Abgabenpolitik sollte Modelle entwickeln, die Anreize zur Mehrarbeit setzen. 

Global und national ist der sich verschärfende Arbeitskräftemangel eines des strukturellen Argumente, welche von Inflationspessimisten angeführt werden. Deutschland ist in der OECD durch den geringsten Arbeitsstundeneinsatz pro Kopf gekennzeichnet. Auch wenn die Ursachen vielschichtig sind, spielen die im OECD-Vergleich sehr hohen Grenzabgaben für Durchschnittsverdiener eine Rolle und dürften auch einen Erklärungsbeitrag für die im Zeitverlauf noch weiter steigende Freizeitpräferenz liefern. Hier können neben einer ganz allgemein notwendigen Begrenzung von Abgabenlasten auch innovative Modelle eine Rolle spielen, Mehrarbeit steuerlich zu begünstigen. Genauso wie zuletzt Lohnzahlungen für einen Inflationsausgleich im Rahmen einer „Inflationsprämie“ steuerlich freigestellt wurden, könnten zukünftig beispielsweise Zusatzstunden über der Regelarbeitszeit steuerlich entlastet werden. 

7. Die Unternehmenssteuerpolitik sollte ihre Steuerbelastung von Unternehmen an einer realistischen Bewertung der deutschen Standortqualität ausrichten. 

Die Transformationsaufgabe, der sich Deutschland gegenüber steht, erfordert einen umfassenden privaten Kapitaleinsatz. Hohe effektive Unternehmenssteuern sind ein Hindernis für die Mobilisierung dieses Kapitals. Deutschland ist heute ein Land, das seine Unternehmen im OECD-Vergleich hoch besteuert, dessen Standortqualitäten gerade auch im Vergleich zu benachbarten europäischen Ländern aber zunehmend schlechter beurteilt werden. Ohne eine Anpassung der allgemeinen Steuerbelastung an die Niveaus vergleichbarer Wettbewerber wird die Steuerpolitik den sich beschleunigenden Abfluss von Direktinvestitionen kaum aufhalten können. 

8. Bund und Länder sollten in ihren öffentlichen Haushalten die Anteile von Zukunftsausgaben transparent machen und nach oben steuern. 

Der Bund sollte mit neuen Instrumenten der Budgetsteuerung die stärkere Ausrichtung der Kernhaushalte auf Ausgeben unterstützen, die zielgerichtet bei der Verbesserung künftiger Produktionsmöglichkeiten helfen und auf diese Weise einen Beitrag zur Verringerung von Angebotsengpässen leisten. Ein aussichtsreicher Ansatz besteht im Ausweis einer „Zukunftsquote“ in den Gesamtausgaben. Zusätzlich wären Zielvorgaben denkbar, wie sich diese Zukunftsquote entwickeln sollte.  

9. Öffentlich administrierte Preise sollten sich an fiskalischer Nachhaltigkeit und den gewünschten Anreizwirkungen ausrichten. 

Es ist wenig erfolgversprechend, einen längerfristigen Inflationsdruck durch staatliche Eingriffe in Preise über Preiskontrollen oder Subventionen bekämpfen zu wollen. Solche Ansätze adressieren die Symptome des Inflationsproblems, aber nicht die Ursachen. Der Staat sollte Preissubventionen weitgehend vermeiden und seinen direkten Preiseinfluss bei den staatlich administrierten Preisen so nutzen, dass sich die Preise an den Kosten in einem kompetitiven Umfeld orientieren oder gewünschte Steuerungsanreize ausüben (Beispiel CO2-Bepreisung).  

10. Die Politik sollte die Spielräume zum Bürokratieabbau nutzen, die in der Arbeit der Normenkontrollräte aufgezeigt werden. 

Die Begrenzung von Bürokratiekosten leistet einen Beitrag zur Verringerung des nicht produktiven Ressourceneinsatzes im Kontext der Befolgungskosten staatlicher Regulierung. Dies kann über die Absenkung von Input-Kosten für Unternehmen zu einer Verringerung des Inflationsdrucks führen.  

Diese Zehner-Liste ist ambitioniert. Auch könnte die Versuchung bestehen, Problem hoher Staatsschulden durch höhere Inflationsraten zu „lösen“. Die Politik sollte sich jedoch hüten, diesen Weg der inflationären Schuldenkonsolidierung weiter zu beschreiten. Erstens läuft diese Strategie ins Leere, wenn Investoren ihre Inflationserwartungen anpassen und der Fiskus beginnt, für höhere Inflationsraten in vollem Umfang mit höheren nominalen Zinsen belegt zu werden. Zweitens sind die über den inflationären Prozess realisierten Umverteilungswirkungen in keiner Weise demokratisch legitimiert und werfen somit erhebliche Akzeptanz- und Demokratieprobleme auf. Insofern sollte kein Zweifel daran bestehen, dass ein preisstabiler Policy Mix von Geld- und Fiskalpolitik nicht nur das ökonomische System, sondern auch die demokratische Ordnung stabilisiert. 

Die gesamte Studie von Prof. Dr. Heinemann finden Sie hier.


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