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Chance vertan: Weshalb die GKV weiter kränkelt

Trotz Reformen: Die Ausgaben der GKV steigen ungebremst. Mit er jüngsten Gesetzesänderung wurde ein Chance für mehr Wettbewerb vergeben.Mit der zum 1. Januar beschlossenen Reform der GKV-Finanzierung vollzieht die Bundesregierung eine Kehrtwende in der Gesundheitspolitik. Dafür zahlen müssen vor allem die Versicherten.

Dass das System der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) kränkelt, ist kein Geheimnis. Seit Jahren wird am bestehenden System herumgedoktert, ohne dabei eine entscheidende Verbesserung zu erzielen. Das Hauptproblem ist: Mit steigendem Durchschnittsalter der Versicherten steigen auch die Ausgaben für Gesundheit. Am demografischen Effekt lässt sich zumindest mittelfristig nichts ändern. Daher muss das ganze System zwangsläufig effizienter werden, damit ein festgelegter Leistungskatalog zu den geringstmöglichen Kosten angeboten werden kann.

Um Effizienzreserven zu heben, hilft Wettbewerb zwischen den verschiedenen Krankenkassen. Auch die Politik hat das erkannt: Mit der Einführung der pauschalen Zusatzbeiträge im Jahr 2009 wurde der Preiswettbewerb zwischen den gesetzlichen Krankenkassen transparenter und schärfer. Reichen die Einnahmen einer Kasse nicht aus, müssen Zusatzbeiträge erhoben werden. Einige Versicherte wandern dann zu preiswerteren Versicherungen ab. Damit steigt der Effizienzdruck für die Kassen. Doch die Politik bekam Angst vor dem eigenen funktionierenden Instrument. Sie hob den allgemeinen Beitragssatz zum 1. Januar 2011 von 14,9% auf 15,5% an, so dass nur noch wenige Krankenkassen überhaupt einen Zusatzbeitrag erheben müssen. Dies und die sehr gute konjunkturelle Lage führten schließlich zu einer „Überfüllung“ des Gesundheitsfonds. Preissignale durch einen Zusatzbeitrag wurden vollständig ausgeschaltet. Der Wettbewerb kam zum Erliegen. Im Wahljahr 2013 traute man sich erst recht nicht, durch eine Senkung der Beiträge und dadurch notwendig werdende Zusatzbeiträge den Wettbewerb zu reanimieren. Die Politik hatte sich an dem Aufschrei, der die ersten Zusatzbeiträge begleitete, die Finger verbrannt. Stattdessen konnten die Kassen nun Prämien an ihre Versicherten ausschütten.

Ziel eines funktionierenden Kassenwettbewerbs muss jedoch sein, mehr statt weniger Zusatzbeiträge zu erheben. Das gelingt, wenn der Beitragssatz zum Gesundheitsfonds so stark abgesenkt wird, dass praktisch jede Kasse einen Zusatzbeitrag fordern muss, um sich finanzieren zu können. Genau dies beabsichtigt die Politik mit der Absenkung des allgemeinen Beitragssatzes auf 14,6% – ein richtiger Schritt. Allerdings wandelt sie einen bislang lohnunabhängigen Zusatzbeitrag in einen lohnabhängigen um und schafft damit wieder neue Probleme. Preisunterschiede werden schwächer sichtbar. Dies vermindert die Wechselwahrscheinlichkeit, was wiederum den Druck auf die Kassen verringert, vorhandene Effizienzreserven zu heben. Außerdem profitieren Versicherte mit geringem Lohneinkommen weniger von einem Kassenwechsel: Ihr Wechselanreiz sinkt. Umgekehrt gilt für Versicherte mit hohem Lohneinkommen: Der Wechselanreiz steigt.

Die aktuelle Reform tritt beim Kassenwettbewerb mit der starken Absenkung des Beitragssatzes daher zwar richtigerweise auf das Gaspedal, gleichzeitig aber auch auf die Bremse. Das daraus folgende Holpern hätte vermieden werden können, wenn die lohnunabhängigen Zusatzbeiträge geblieben wären.


Eine ausführliche Analyse finden Sie in der RWI-Position Nr. 59 „Kehrtwende in der Gesundheitspolitik. Unnötige Abkehr von einer erfolgreichen Reform zur
Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung“.