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Die Blessing-Bonds

140904_Staatsfinanzier-EZBMartin Blessing, der Chef der Commerzbank, hat in dieser Woche mit seinem Plädoyer für Eurobonds beim Bankentreffen in Frankfurt für Aufsehen gesorgt. Prompt erntete er Kritik aus dem Regierungslager. Denn Eurobonds stehen, vor allem in Unionskreisen, für die Vergemeinschaftung der Staatsschulden in Euroland. Und genau diesen Haftungsverbund schließt die Kanzlerin seit Jahren resolut aus. Selten klar formulierte sie vor gut zwei Jahren bei einem Auftritt vor der FDP-Bundestagsfraktion in Berlin: „ Keine Eurobonds, solange ich lebe!“

Beim Volk kam ihre Haltung gut an, wie das Bundestagswahlergebnis der Union vor einem Jahr bewiesen hat. Die SPD, die sich ursprünglich für die Idee der Eurobonds erwärmt hatte, verzichtete recht schnell auf dieses Verlierer-Wort. Dass ausgerechnet ein Spitzenbanker, dessen Institut vom Staat nach der Finanzkrise gerettet wurde und an dem der Bund nach wie vor 17% der Anteile hält, jetzt diesen verpönten Begriff wieder auf die Agenda setzt, verblüfft. Doch wer die Realität im Euroland zur Kenntnis nimmt, weiß auch: Die gemeinsame Haftung für die Verschuldung anderer Mitgliedsstaaten existiert bereits über die Europäische Zentralbank (EZB). Mit Mario Draghis Rede in London im Juli 2012, den Euro durch die Notenbank um jeden Preis („whatever it takes“) zu retten, kam die Haftung durch die Hintertür. Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM), vulgo Rettungsschirm, begibt inzwischen regelmäßig Gemeinschaftsanleihen mit Milliarden-Volumina. Bei Ausfall dieser Anleihen haften die Mitgliedsstaaten in Höhe ihres EZB-Anteils. Deutschland ist immer mit 27 Prozent dabei.

Gerade angesichts der im Herbst/Winter drohenden Rezession in Europa werden wir erleben, wie stark der politische Druck in Richtung weiterer Verschuldung gehen wird. Der Fiskalpakt mit seinen Konsolidierungsauflagen und Strukturreformgeboten ist schon heute verwässert. In der Rezession werden Reformen in Frankreich und Italien noch unwahrscheinlicher. Die EZB sitzt in der selbstgestrickten Retterfalle. Die aktuelle Notenbankentscheidung beweist das einmal mehr.

Das einzige Druckmittel, das die Politik auf einen Reformkurs zwingen kann, ist ein Kreditzins, der die tatsächlichen Risiken abbildet. Wegen der impliziten Haftung für die Staatsanleihen durch die EZB sind die Zins-, sprich Risikoaufschläge viel zu gering. Reformunwillige und extrem verschuldete Eurostaaten kommen trotzdem und relativ billig an weitere Kredite. Diesen Mechanismus sollen die „Blessing-Bonds“ außer Kraft setzen. Denn der Commerzbank-Chef will nur die Staatsschulden bis zur Höhe von 25% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Gemeinschaftsanleihen, sprich Eurobonds, zulassen. Nur bis zu dieser Höhe würde die Vergemeinschaftung dann für einen einheitlichen und niedrigen Refinanzierungssatz der Staatsschulden sorgen. Zuständig als Schuldenagentur wäre der ESM, an den die Schuldnerstaaten als Sicherheiten einen Teil ihrer Mehrwertsteuereinnahmen abtreten müssten. Alle Verbindlichkeiten, die über 25% des BIP hinaus vom jeweiligen Euro-Mitgliedsland aufgenommen werden, will Blessing wieder in die alleinige nationale Verantwortung bringen. Um eine Aufweichung des 25%-Deckels für Gemeinschaftsanleihen zu verhindern, stellt sich Blessing eine Dreiviertelmehrheit vor. Damit hätte Deutschland mit seinem 27%-Anteil an der EZB faktisch ein Vetorecht.

Doch dafür müsste sich die Rolle der EZB ändern. Sie müsste die Erlaubnis erhalten, die Eurobonds aufzukaufen, auch wenn kein Sanierungsprogramm für die betroffenen Länder aufgelegt würde. Mit einem Schlag wäre ein Euro-Anleihemarkt mit einem riesigen Volumen geschaffen, der Investoren liquide und sicher genug erscheinen dürfte. Gerade institutionelle Anleger, aber auch die Notenbanken der Welt könnten größere Bestände an Euro-Anleihen halten. Die europäische Währung könnte sich neben dem Dollar als Reservewährung entwickeln. Europa wäre als Wirtschaftsraum global gestärkt.

Heute ist es der EZB erlaubt, unbeschränkt am Sekundärmarkt Staatsanleihen aufzukaufen. Genau diese implizite EZB-Garantie, mit der die Zinsunterschiede zwischen soliden und weniger soliden Schuldnern eingeebnet werden, reduziert den politischen Druck. Erst wenn Geldgeber eines Staates auch im Euroland wieder mit einer Insolvenz rechnen müssen, wird der Zins markt-, sprich risikoadäquat. Und noch ein Detail ist bemerkenswert am Vorschlag des Commerzbank-Chefs: Für Eurobond-Anleihen würde die heutige Nullgewichtung bei der Risikobewertung von Staatsanleihen im Portfolio von Banken beibehalten. Dagegen würden die über 25% des BIP hinausgehenden nationalen Staatsanleihen nach ihrem Risikograd von den kreditgebenden Banken mit Eigenkapital unterlegt werden müssen. So ließe sich schrittweise die unheilige Allianz von Staaten und Banken aufheben. Der Zahlungsausfall eines Euro-Landes würde beherrschbar, ohne dass die Steuerzahler zur Kasse gebeten würden.

Der Vorschlag von Martin Blessing hat mehr Tiefgang, als viele glauben. Er lohnt eine ehrliche Debatte. Denn der andere, vermeintlich bequemere Weg über die EZB wird wegen der politischen Risiken und Nebenwirkungen meiner Meinung nach in den ökonomischen Niedergang Europas führen.