OrdnungspolitikTagged , , , , , , , ,

Der sorgenvolle Optimist: Clemens Fuest schaut in die Nach-Corona-Zeit

Die gute Nachricht: Die Corona-Krise wird irgendwann überwunden sein. Die schlechte: Sie wird Milliarden Euro an Schulden hinterlassen, öffentliche und private. Und sie wird Vermögen vernichtet haben. Was das für unsere Zukunft bedeutet, beschreibt Clemens Fuest eindrücklich in seinem neuen Buch.

Natürlich wird die Corona-Krise die wirtschaftliche Entwicklung nicht nur Deutschlands, sondern auch Europas belasten. Dazu muss man nicht Ökonom und schon gar nicht ifo-Präsident sein, um das zu prognostizieren. Doch der Weg aus dieser immer noch nicht in ihrer wirklichen Dimension abzusehenden und bereits jetzt riesigen Wirtschaftskrise, die nicht nur Bereiche der Finanzwirtschaft (wie in der Finanz- und Eurokrise  2008/2010) und der Industrie betreffen, sondern fast jede Branche und darüber hinaus die privaten Haushalte, muss bald gefunden werden – und dafür macht sich Clemens Fuest stark.

In seinem verständlich geschriebenen und damit für jedermann zugänglichen, hochaktuellen Buch referiert er punktgenau die bisherige Entwicklung der Corona-Krise, analysiert ohne den Finger zu heben die Vor- und Nachteile der (bisherigen) staatlichen Maßnahmen und schaut besorgt, aber nicht hysterisch auf zukünftige Szenarien. Ein Happy End in dieser gigantischen Schuldenkrise wird es wohl nicht geben – außer dass die Existenz des Corona-Virus´ (in Verbindung mit einer Impfung) irgendwann als Normalität empfunden wird. Doch einige riskante wirtschaftliche Entwicklungen sind weiter zu erwarten – von der Überschuldung privater Haushalte, die das Konsumverhalten ausbremst, bis zum Gambling for resurrection („Zocken zur Wiederauferstehung“) der Unternehmen. Und eines ist in jedem Fall klar: Es ist mit einer langfristigen Minderung des Wohlstands in Deutschland zu rechnen.

Anders als in der 2007/2008 beginnenden Finanzkrise veränderte sich im März 2020 das Geschäftsklima in Deutschland deutlich schneller nach unten und das mit voller Wucht, insbesondere für das Gastgewerbe, die Reisebüros und Reiseveranstalter. Zudem traf es Hunderttausende von Soloselbstständigen in der Kreativ- und Kulturwirtschaft, für die verschiedene Soforthilfe- und Überbrückungsmaßnahmen der Bundesregierung zwar unbürokratisch schnell flossen, aber insgesamt nur ein Tropfen auf den heißen Stein waren. Die bittere Wahrheit ist: „Die größten Verluste [in dieser Corona-Krise] treffen zweifellos Selbstständige und die Eigentümer von Unternehmen in den Branchen, die von der Krise am stärksten betroffen sind. Hier werden sich viele eine neue Existenz aufbauen müssen“, schreibt ifo-Präsident Fuest, der auch Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Finanzen ist. Trotz Konjunkturpaket in Milliardenhöhe und temporärer Senkung der Mehrwertsteuer ist sich der Autor sicher, dass „viele Unternehmen am Ende der Krise mit deutlich höheren Schulden dastehen werden“ als zuvor.

Kein Ende der Staatsverschuldung

Sorgen bereitet ihm, wie der Staat die aktuelle Überforderung der Staatsfinanzen in den Griff bekommen will. Theoretisch und prinzipiell sei es zwar denkbar, erklärt der Autor, dass die Notenbank die Staatsverschuldung durch die Druckerpresse finanziert. Aber das könne die Geldwertstabilität gefährden und Ängste auslösen. Und selbst wenn eine Geldentwertung ausbliebe, könne die aktuelle ausufernde Staatsverschuldung erhebliche wirtschaftliche Probleme verursachen – bis hin zur Zahlungsunfähigkeit oder zu einer erneuten Bankenkrise mit Auswirkung auf die Realwirtschaft. Es gelte deswegen vielmehr, immer wieder Investoren zu finden, die bereit seien, dem Staat große Summen zu leihen, die bei Fälligkeit pünktlich zurückgezahlt werden müssten. Eine nachhaltige Finanzpolitik sei daher gefragt: Sie sollte die Staatsschuldenquoten in wirtschaftlich guten Zeiten senken, damit in Krisen Spielräume für die Stabilisierung bestehen. Fuest: „Letztlich stellt sich die Frage, wo die Grenzen der Staatsverschuldung liegen – und wie trotz der Belastung durch die Corona-Krise nachhaltige Staatsfinanzen gesichert werden können.“

Steigende Staatsschulden überhaupt hinzunehmen hält der Autor aktuell allerdings für unumgänglich. Denn darauf zu verzichten, die Konjunktur zu stützen, würde den wirtschaftlichen Einbruch vertiefen und die Staatsfinanzen in noch größere Schwierigkeiten bringen. Eine positive wirtschaftliche Entwicklung sei bei unkontrollierter Ausbreitung des Virus nicht möglich, meint der ifo-Präsident. Dennoch gelte es nun nach dem Lockdown, die Bevölkerung wieder für einen allmähliche Öffnung zu gewinnen. Denn es sei ein Irrtum zu glauben, „die Gesundheit der Bevölkerung sei umso besser dadurch geschützt, je länger der Shutdown dauert. Denn der Shutdown selbst führt zu gesundheitlichen und sozialen Beeinträchtigungen.“

Es stellt sich nun die Frage nach der richtigen Geschwindigkeit. Fuest glaubt, dass aus wirtschaftlicher Sicht eine schnelle Öffnung nicht notwendig, ja gar nicht wünschenswert ist. Denn: „Ob es besser ist, größere Verluste durch entfallene Wertschöpfung für eine kürzere Zeit hinzunehmen oder bei schnellerer Öffnung geringere Verluste für eine längere Zeit, ist a priori unklar.“

Positive Effekte für die Bildung


Nicht alles, was die Corona-Krise auslöste, ist schlecht. So hat sie vor allem der Digitalisierung einen Schub verliehen: Das Homeoffice erlebt einen Aufschwung, der Onlinehandel expandiert, die Nachfrage nach digitalen Dienstleistungen, Bildungs- und Studienangeboten steigt – gleichzeitig tritt das Nachholbedürfnis bei der Digitalisierung der Schulen (Homeschooling) offen zutage – doch auch hier wird sich etwas tun. Klimatisch wird der Shutdown die CO2-Emissionen nur vorübergehend senken.

Aber leider kehren wohl auch die Gespenster der Euro-Krise zurück (Stichwort: Corona-Bonds und Euro-Bonds). Fuest hat vor allem einen EU-Kandidaten als Sicherheitsrisiko im Sinn, bei dem die hohe Staatsverschuldung bereits eine riesige Gefahr darstellt: „Die Stabilität der Eurozone nach der Corona-Krise wird maßgeblich davon abhängen, ob es gelingt, die wirtschaftliche und finanzielle Lage Italiens zu stabilisieren.“ Fuest schlägt vor, den Binnenmarkt in Europa weiter zu vertiefen: „Eine tiefere Integration der europäischen Kapitalmärkte würde es ermöglichen, die Eigenkapitalbasis der europäischen Unternehmen zu verbessern.“

Auch gilt es, die Globalisierung zu verbessern und ihre Störanfälligkeit zu verringern. Für Fuest muss es einen Strukturwandel geben – und gleichzeitig die Einsicht, dass die Globalisierungsverlierer eben nicht voll entschädigt werden können. Er fordert für die erfolgreiche Gestaltung internationaler Politik mehr Bürgernähe und die Legitimität politischer Entscheidungen. Denn: „Wenn Menschen den Eindruck haben, dass Entscheidungen, die für ihr Leben wichtig sind, von internationalen technokratischen Institutionen gefällt werden, die niemandem rechenschaftspflichtig erscheinen, werden sie sich wehren.“

Fazit


Fuest hat seine Corona-Analyse in eine leicht verständliche und gut lesbare Form gebracht. So ist es ein Buch für jedermann geworden – mit manch hoffnungsvoller Nachricht: Die Corona-Krise beschleunigt die Digitalisierung und den Strukturwandel. Und es ist möglich, die Schuldenquote in den nächsten Jahren wieder zu senken, sofern das Wirtschaftswachstum hoch ist und die Zinsen auf Staatsschulden niedrig. Doch die bittere Pille: Die Staatsverschuldung, nicht nur in Deutschland, wird immens bleiben, die nachfolgenden Generationen belasten und auch den Zusammenhalt der EU. So viele Existenzen wie nie zuvor stehen auf dem Spiel. Viele kleinere Unternehmen und Tausende von Selbstständigen in Deutschland werden sich neu erfinden müssen. Das ist zwar eine Chance für Marktbereinigung und Innovation, doch auch eine gewaltige und schwere Herausforderung.

Clemens Fuest: Wie wir unsere Wirtschaft retten – Der Weg aus der Corona-Krise, Aufbau-Verlag, Berlin 2020

Mehr Interesse an ökonomischen Aspekten der Corona-Krise? Stöbern Sie hier durch unsere Übersichtsseite.

Keinen Ökonomen-Blog-Post mehr verpassen? Folgen Sie uns auf Facebook, Instagram und Twitter, und abonnieren Sie unseren RSS-Feed sowie unseren Newsletter.