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Die Welt retten – mit mehr Wachstum

Ausgerechnet das System, das uns die Umweltkatastrophe eingebrockt hat, soll die Welt retten: der Kapitalismus. So die spitze These des US-Ökonomen Andrew McAfee. Wer nun aufschreit, sollte erst einmal ausatmen. Tatsächlich bietet McAfee sinnvolle Argumente, dass vor allem Wachstum helfen kann, die Welt zu retten – allerdings auf eine intelligentere und sozial verantwortlichere Weise, als wir es bisher tun.     

„Wir sind die Götter, und wir sollten ebenso gut werden wie sie.“ – Dieser Satz des Aktivisten Stewart Brand (*1938), der wie eine Anmaßung klingt, soll das Gegenteil bedeuten: Der Mensch muss besser werden. Der Ökonom Andrew McAfee (*1967) hat diesen Slogan Brands seinem neuen Buch „Mehr aus weniger“ vorangestellt.

So wie Brand (Erfinder des Begriffs „Personal Computer“, Herausgeber des 1968 erstmals erschienenen „Whole Earth Catalog“ und heute so eine Art Hippieszene- und  Cyberkultur-Zwitter) einst mit seinem „Erdenkatalog“ eine Bibel der Umweltbewegung in den frühen 1970er-Jahren schuf, setzt nun McAfee, Wirtschaftsprofessor am Massachusetts Institute of Technology (MIT), an, dem heutigen Zeitgeist einen Stempel aufzudrücken – nämlich wie es mit Intelligenz, Pragmatismus und Zuversicht gelingen kann, mit weniger Ressourcen zu mehr Wachstum zu kommen. Tatsächlich sprüht sein Buch von erfrischendem Optimismus – der manchmal allerdings schon ein wenig zu hoffnungsvoll klingt und auch nicht jedem gefallen dürfte.

Seine Ideen orientieren sich nicht an Ideal und Moral, sondern an radikaler Vernunft. Das ist ebenso unbequem wie ermutigend.

Planetenrettung mithilfe von Intelligenz

Dass erst mit der Entwicklung der Industrialisierung und des fortschreitenden Kapitalismus auch die Zerstörung der Umwelt einherging, bestreitet McAfee keineswegs. Doch die Fakten (der Autor ist ein großer Fan der Daten-Seite „Our World in Data“) sprächen mittlerweile dafür, dass zumindest Amerika in der Ausbeutung der Erde „post-peak“ sei, meint McAfee. Die USA hätten „den Höhepunkt des Raubbaus“ endlich hinter sich gelassen.

Das mag stimmen. Allerdings dürfte der Weg für US-Unternehmen zur Spitze nachhaltiger Industriekonzerne noch sehr weit sein. Auf dem Dow Jones Sustainability Index für die „grünsten“ 100 Unternehmen der Welt gehören US-Unternehmen gemessen an ihrer Nachhaltigkeitsperformance in den jeweiligen Branchen nicht zu den besten.

Kein Grund, zu versagen und pessimistisch zu werden, meint McAfee. Denn mit Pessimismus rette man die Welt schon gar nicht. Der Wandel habe längst begonnen, die Lösung für eine ökologisch-ökonomisch prosperierende Zukunft liege in der notwendigen Verknüpfung von Technologie und Kapitalismus.

Kapitalismus als Triebkraft? Ja, sagt McAfee: „Denn das, was ich Entmaterialisierung der Wirtschaft nenne, passiert nicht durch zentrale Planung.“ In den USA gebe es eine wachsende neomarxistische Bewegung mit Tendenz zur zentralen Planwirtschaft, die durchaus Schnittmengen mit der Umweltbewegung habe. Die Geschichte habe aber gezeigt, dass ein solches Wirtschaftssystem nicht funktionieren könne. Ein „Entweder-Wachstum-oder-den-Planten-Retten“, wie es die Anhänger der „Smash Capitalism to save the planet“-Bewegung fordern, sei für ihn nicht zielführend. Für den wirtschaftsliberalen McAfee funktioniert Planetenrettung nur mithilfe von Wachstum.

Wie aus weniger mehr wird

Um die wie eine Aporie klingende scheinbare Unvereinbarkeit von Wachstum und Fortbestand der Erde zu meistern, gilt es zunächst, die Produktion eben nicht herunterzufahren, sondern sie intelligent zu steigern. Dazu hat McAfee ein Modell der „vier Reiter des Optimisten“ entwickelt. Diese setzten sich zusammen aus technologischem Fortschritt und zweitens aus marktwirtschaftlichem Denken und Handeln, drittens aus einem noch viel stärkeren öffentlichen Bewusstsein für Artensterben und Umweltverschmutzung als bisher und viertens aus reaktionsfähigen Regierungen („responsive governments“), die den Bürgerwillen zügig umsetzen und vernünftige Maßnahmen ergreifen.

Dass Regierungen weltweit bisher nicht schnell und entschieden genug in Sachen Klimaschutz gehandelt haben, sei zwar offensichtlich. Gleichzeitig könne man aber den Schwellenländern nicht verbieten, auf Wohlstand, den die westlichen Industrienationen erreicht haben, zu verzichten, und sie beispielsweise zum Energiesparen verdonnern. Ganz im Gegenteil, meint McAfee. Man müsse diesen Ländern helfen, die Umstellung auf effizientere Technik so schnell wie möglich zu erreichen. Zudem befürwortet der Autor die Installierung einer CO₂- Steuer („Emissionen zu besteuern ist unglaublich effektiv“) und setzt auf strenges staatliches Regulieren gegen Umweltverschmutzung und den Handel mit Produkten, die von bedrohten Tierarten stammen. Die Grundlagenforschung müsse viel stärker als bisher finanziell unterstützt und Märkte, Wettbewerb und die Schaffung von Arbeitsplätzen erheblich gefördert werden.

Die Wahl zwischen zwei Übeln

Zudem plädiert McAfee dafür, nicht nur gentechnisch veränderte Organismen (GVO) vermehrt zu nutzen, sondern auch die Kernenergie. („Dass Deutschland wegen des öffentlichen Drucks aus der klimafreundlichen Atomkraft aussteigt, ist völlig falsch.“) Auf den nicht unerheblichen Vorwurf, ob man den Müll zukünftigen Generationen einfach so überantworten könne, meint er salopp, ein „bisschen Atommüll“ sei für ihn die bessere Variante als ein „überhitzter Planet“.

Dass er mit solchen Aussagen provoziert, ist ihm bewusst. Doch er will sich nicht von Ideologien leiten lassen, sondern von Daten und Erkenntnissen: In der Kernenergie sieht er die sicherste Möglichkeit, die Treibhausgase zu mindern, und in der Gentechnik die beste Lösung, die Effizienz der Landwirtschaft risikolos zu erhöhen.

Fazit

McAfee polarisiert. Doch sein Optimismus ist ansteckend. Schon deswegen lohnt sich die Lektüre. Ob alle seine Thesen auf einem langlebigen Fundament gebaut sind, ist diskutierbar. Was bleibt, ist die Idee, dass jeder von uns dazu beitragen kann, das ökologisch-ökonomische Gleichgewicht zu stabilisieren.

Andrew McAfee: Mehr aus weniger, DVA, München 2020

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