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Plädoyer gegen den Verschuldungsstaat

Die Regierungen der westlichen Industrienationen machen heute im Umgang mit öffentlichen Ausgaben einiges besser als in vergangenen Zeiten. Doch nach der Finanz- und der Corona-Krise ist es an der Zeit, der hohen Staatsverschuldung Einhalt zu gebieten. Der Ökonom Ludger Schuknecht plädiert für eine regelbasierte Politikgestaltung und eine Neuausrichtung des Staates auf seine wichtigsten Aufgaben – auch um dem Klimawandel entgegenwirken zu können.

„Die Institution einer Regierung haben sich weise Menschen ausgedacht, um besser für das menschliche Wohl zu sorgen. Dementsprechend haben die Menschen ein Recht darauf, dass ihre Bedürfnisse auch weise gestillt werden.“ Diesen Gedanken schrieb der irisch-englische Staatsphilosoph Edmund Burke vor über 200 Jahren auf.

Da diese Sätze immer noch gelten, ist es keine Überraschung, dass sich Ludger Schuknecht gerade dieses Zitats bedient, um es seinem neuen Buch „Public Spending and the role of the State – History, Performance, Risk and Remedies“ voranzustellen. Schuknecht ist überzeugt: Ein gut funktionierender und weiser Staat ist die Basis für eine moderne und demokratische Gesellschaft.

Das Konzept der staatlichen Rundumversicherung und -versorgung untergräbt den Geist der Eigenverantwortung und Risikobereitschaft, meint Ludger Schuknecht.”

Der habilitierte Ökonom Schuknecht kennt sich sowohl in der wissenschaftlichen Arbeit als auch in der politischen Praxis aus. Er beriet die Europäische Zentralbank, arbeitete als Chefvolkswirt im Bundesfinanzministerium und nahm zuletzt den Posten als einer der vier stellvertretenden Generalsekretäre der OECD ein. Seine Forderung: Um den wirtschaftlichen Erfolg zu sichern und Vertrauen der Bürger in Staat und Regierung zu stärken, müssen Regierungen ihre Kernaufgabe erfüllen. „Dazu gehören Sicherheit, Bildung, Infrastruktur, grundlegende soziale Sicherungsnetze, Umwelt und solide öffentliche Finanzen“, zählt Schuhknecht auf. Auf rund 280 Seiten (inklusive etlichen Tabellen und Grafiken) analysiert der Ökonom die Bedeutung der öffentlichen Ausgaben eines Staates, ihre Geschichte, ihr Preis-Leistungs-Verhältnis, die Risiken und Abhilfemaßnahmen.

In einem ersten Teil referiert der Autor über die veränderte Rolle der Regierungen vor allem in den westlichen Industrienationen in den vergangenen 150 Jahren. Er rechnet vor: Vom Ende des 19. Jahrhunderts bis heute haben sich die öffentlichen Ausgaben von etwa elf Prozent des Bruttosozialproduktes (BIP) auf rund 44 Prozent vervierfacht. Damit leisten die Regierungen „in vielerlei Hinsicht heute viel bessere Arbeit als in der Vergangenheit“, meint Schuknecht. Dies gelte zum Beispiel in Hinblick auf die – seiner Meinung nach – meist gut funktionierende Verwaltung, auf Bildung und auf Sicherheit. Die öffentlichen Ausgaben seien „Grundlage unserer Freiheit, unserer Möglichkeiten und unseres Wohlstands“.

Hohe Schuldenrisiken

Die Frage ist jedoch, ob die Bürger bei so viel mehr öffentlichen Ausgaben ein angemessenes Preis-Leistungs-Verhältnis erhalten. Ab Ausgaben von 40 oder 50 Prozent des BIP sei das kaum noch möglich, meint Schuknecht. Bei Ländern wie der Schweiz, Australien oder Irland mit „pragmatischen optimalen Regierungsgrößen“ sei das zwar durchaus noch möglich. Viele Regierungen größerer Länder hätten aber im Vergleich zu dem, was sie lieferten, zu viel ausgegeben und damit die Wirtschaft und die Finanzstabilität aufs Spiel gesetzt.

Zwar war in den 1980er-, 1990er- und 2010er-Jahren die Ausgabenreform für viele Länder der Weg zum Erfolg. Dennoch gibt es noch viel Spielraum für viel mehr Einsparungen und Reformen, ist Schuknecht überzeugt. So bemängelt er die Höhe der Sozialversicherungen, die in manchen Ländern 50 bis 60 Prozent der öffentlichen Mittel ausmachten und mit dem demografischen Wandel automatisch noch steigen würden. Er fürchtet eine „soziale Dominanz“ – sollten die Sozialausgaben nicht nachhaltig sein und produktive Ausgaben wie Investitionen verdrängen.

Die logische Konsequenz: Alle Forderungen nach sozialer finanzieller oder industrieller Unterstützung zu erfüllen, ist für Schuknecht nicht vorstellbar – und auch nicht realistisch. Das Konzept der staatlichen Rundumversicherung und -versorgung untergräbt den Geist der Eigenverantwortung und Risikobereitschaft, die wesentliche Bestandteile einer dynamischen Marktwirtschaft sind, meint der Autor. Zudem erschwerten hohe Schulden- und Fiskalrisiken den adäquaten Umgang mit neuen Herausforderungen wie Umwelt und Klima.

In einigen Ländern betrage die Staatsverschuldung bis zu 100 Prozent des BIP. „Bei solchen Risiken mögen ein schlanker öffentlicher Sektor, strenge Ausgabengrenzen, weitgehend ausgeglichene Haushalte und eine in Europa geforderte Staatsverschuldungsgrenze von 60 Prozent des BIP gerade in guten Zeiten gar nicht so dumm sein“, erklärt Schuknecht. Kleine, niedrig verschuldete Regierungen würden in zukünftigen Krisen viel widerstandsfähiger sein als hoch verschuldete, große Regierungen.

Schuknechts „Botschaften“ sind orthodox, aber nicht gestrig. Er plädiert für eine Rückkehr zu einer regelgebundenen Eindämmung der sozialen Sicherheit und des Finanzsektors – national und auch im internationalen Zusammenspiel. Er argumentiert damit klassisch im Sinn von Hume, Smith, Hayek, Buchanan und Ludwig Erhard. „Die klassischen Ökonomen erinnern uns daran“, sagt Schuknecht, „dass gute Ergebnisse das Ergebnis eines gut funktionierenden Marktprozesses und von Regierungen sind, die ihre Kernaufgaben gut erfüllen.“

Fazit

Schuknechts Analyse ist ein anspruchsvolles Werk geworden – für Studenten, Ökonomen und Politiker. Sein konservatives Plädoyer für die Stärkung (sozial-)marktwirtschaftlichen Handelns, für die Verbesserung der Widerstandsfähigkeit der EU-Mitgliedstaaten und des Binnenmarktes und für eine intensive Kooperation im europäischen und weltweiten Klimaschutz richtet sich vor allem an diejenigen, die nicht aufhören wollen, den Verschuldungsstaat weiter auszubauen. Für die Politik gilt, die Ausgabenprioritäten auf Kernaufgaben neu zu setzen. Allerdings: Ohne eine auf Respekt und Verständnis beruhende Zusammenarbeit von Ökonomen und Politikern wird alles nur öde Theorie bleiben. In einem Interview sagte Schuhknecht einmal: „Ökonomen sagen A und Politiker sagen B. Die Realität ist irgendwo grau, verschiedene Grautöne. Es würde uns als Ökonomen sehr guttun, wenn wir die Welt, in der die politischen Entscheidungsträger leben und operieren, besser verstehen und anerkennen würden.“

Ludger Schuknecht: Public Spending and the role of the State; History, Performance, Risk and Remedies, Cambridge University Press, 2020.

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