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Pfeffer in einer oft schablonenhaften Diskussion

Radikalliberal – so bezeichnen ihn manche. Und tatsächlich scheut sich Rainer Zitelmann nicht vor provokanten Aussagen. Auch in seinem neuen Buch wirbelt er die Argumente der Kapitalismuskritik wieder einmal ordentlich durcheinander.

Der Kapitalismus hat keinen guten Ruf. Dem Allensbach-Institut zufolge glauben zurzeit 72 Prozent der Deutschen, dass er Profitgier und Egoismus fördert und zu steigender Ungleichheit führt. Nur 37 Prozent sind der Meinung, dass der Kapitalismus zwar nicht ideal, aber immer noch besser als andere Wirtschaftssysteme ist. 23 Prozent sagen, dass bei dem Versuch in der Vergangenheit, den Kapitalismus durch ein anderes System zu ersetzen, Diktatur und Elend das Ergebnis waren.

So weit, so wenig überraschend. Denn die Skepsis gegenüber dem Kapitalismus war immer schon groß. Doch Rainer Zitelmann, den „Radikalliberalen“ – wie ihn die FAZ (6.3.2022) nennt –, scheint das zu wurmen. Erst 2018 hatte er ein Buch mit dem Titel „Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung“ vorgelegt, mit dem er als vehementer Verteidiger des Kapitalismus – oder der „Unternehmerwirtschaft“, wie er selbst formuliert – auftrat. Der Mann, einst überzeugter Marxist und Forscher an der FU in Berlin, Cheflektor beim Ullstein-Propyläen-Verlag, Ressortleiter bei „Die Welt“, PR-Unternehmer, promovierter Soziologe, Buchautor, Vortragsredner und ein Typus, der sich nicht zu schade ist, mit nacktem gestählten Oberkörper in den sozialen Netzwerken zu protzen, hat „was drauf“, wie man neudeutsch sagt. Sein nun erschienenes Buch „Die 10 Irrtümer der Anti-Kapitalisten“ bläst zwar fast ins gleiche Horn wie das vorhergehende, ist flott, informativ und ziemlich aus der Sicht des Kapitalismusjüngers geschrieben, doch bemüht sich darum, aktuelle Fragen zu beantworten: Gehen menschliche Werte im Kapitalismus verloren? Wird am Ende doch alles dem Profitdenken geopfert? Bestimmt nicht doch immer das große Geld die Politik? Oder: Was ist mit der auseinanderklaffenden Schere von Arm und Reich? Und wieso dürfen Monopole wie Google oder Facebook so gut wie ungehindert immer größer und reicher werden?

Armut beheben oder sozialen Ausgleich regeln

„Die Entwicklung eines Landes – ob nun in Richtung mehr Wohlstand oder weniger Wohlstand – hängt davon ab, wie sich das Kräfteverhältnis zwischen Markt und Staat entwickelt“, erklärt Zitelmann zunächst. Mit Recherchefleiß, historischer Wissensfülle und Akribie versucht der Autor, die zehn bekanntesten Vorwürfe der Kapitalismuskritik zu widerlegen. Darunter Thesen wie „Kapitalismus ist verantwortlich für Hunger und Armut“ oder „Kapitalismus führt zu steigender Ungleichheit“ oder „Kapitalismus führt zu Krieg und Faschismus“. An zahllosen Beispielen zeigt er, wie der Kapitalismus mehr als jedes andere System zur Überwindung von Hunger und Armut beigetragen hat. Steigende Lebensstandards für einfache Menschen gehen demnach oft Hand in Hand mit steigender Ungleichheit in der Gesellschaft. Insofern sei „ein Mehr an sozialer Ungerechtigkeit […] überhaupt nicht kritikwürdig, wenn dies damit einhergeht, dass Armut reduziert wird“, ist Zitelmann überzeugt. Für ihn gehe es darum, welchen Aspekt man für wichtig halte, nämlich entweder die zurückgehende Armut und den steigenden Lebensstandard für die Mehrheit einer Gesellschaft oder die steigende Ungleichheit. Armut könne vor allem durch Innovation und Wachstum verringert werden, meint der Autor. Seuchen, Kriege, Revolutionen oder Staatsversagen verstärkten hingegen das Problem. Auch ist Zitelmann überzeugt, dass die Aufstiegschancen in einer Gesellschaft keineswegs im Kapitalismus gründen, sondern in der Verantwortung vor allem des Staates, also der Politik und deren Ausrichtung lägen.

Kapitalismus und Umweltzerstörung

Auch den Vorwurf, dass der Kapitalismus mitverantwortlich für Umweltzerstörung und Klimawandel sei, lässt er so nicht gelten. Natürlich könne man argumentieren, schreibt er, „dass der Kapitalismus zu höherem Wirtschaftswachstum führt und Wirtschaftswachstum wiederum zu einem Anstieg des Ressourcenverbrauchs“. Doch mittlerweile zeige sich, dass sich der Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und steigendem Ressourcenverbrauch im Zeitalter der Dematerialisierung, Miniaturisierung (Beispiel Smartphone mit vielen Funktionen in nur einem statt wie früher in vielen Geräten) und Digitalisierung immer mehr auflöse. Dass wiederum auch für das Smartphone wertvolle Ressourcen wie beispielsweise Metalle abgebaut werden müssen, scheint in dieser Argumentation wohl eher eine untergeordnete Rolle zu spielen.   

Bei dem Vorwurf, der „Kapitalismus ist undemokratisch – die Reichen bestimmen die Politik“, macht es sich Zitelmann einfach, wenn er erklärt, dass die sogenannten Reichen zweifellos politischen Einfluss hätten, aber lange nicht so mächtig seien, wie uns die Medien glauben lassen wollen. Der amerikanische Präsidentschaftswahlkampf zeigt seit Jahren, dass das Monetäre entscheidend für Sieg oder Niederlage ist, und Anzeichen für die Verquickung von Geld und Macht zeigen sich immer wieder mal auch in Europa, zuletzt in Polen und Ungarn.

Der Vorwurf der Kapitalismuskritik, dass der Kapitalismus allein Egoismus und Profitgier fördert und dadurch die Menschlichkeit verloren geht, ist ein Pauschalurteil – und tut den vielen ehrbaren Unternehmern und Kaufleuten unrecht, die einen unverzichtbaren Gewinn für das soziale Wohl der Gesellschaft und das Rückgrat einer prosperierenden Wirtschaft darstellen. Nur dass Zitelmann ausgerechnet beim Wirecard-Fall die staatlichen Behörden mit ihrem Versagen als Hauptschuldige für einen der größten Wirtschaftsskandale in der Bundesrepublik ausmacht, bedeutet, das Pferd von der falschen Seite aufzusäumen. Denn ohne die Gier von skrupellosen Managern, die immer mehr haben wollten und damit jedes Klischees des rücksichtslosen Kapitalisten erfüllten, wäre es wohl nie zum Wirecard-Fall gekommen. Und ein solches Fehlverhalten mit den ebenso verwerflichen Vorgängen in Kirche, Gewerkschaften oder NGOs zu relativieren, ist natürlich billig.

Auch dürfte Zitelmanns Lob des Monopols selbst wohlwollenden Ordoliberale vor den Kopf stoßen. Der Autor schreibt: „Wettbewerb und Monopol sind keine absoluten Gegensätze, sondern ein dialektischer Widerspruch: Der Wettbewerb führt zu einem Monopol, weil sich das beste Produkt durchsetzt. Hohe Monopolgewinne ziehen neue Wettbewerber an, die nach und nach das Monopol zerstören.“ Das hätte schon Ludwig Erhard nicht gefallen. Denn die soziale Marktwirtschaft baut zwar auf Freiheit, Eigentum und Verantwortung auf. Doch Erhard sah, dass ohne verbindliche Rahmenbedingungen die Wirkung von Wettbewerb, Kreativität und Risikobereitschaft nicht funktioniert – und war dementsprechend ein entschiedener Gegner von Kartellbildung, Preisabsprachen und Monopolbildung.

Fazit

Zitelmann provoziert und bringt zugleich Pfeffer in die oft schablonenhafte Diskussion um Schwächen und Stärken des Kapitalismus. Dass er in seiner Polemik oft genauso scharf ist wie diejenigen, gegen die er wettert, ist möglicherweise der hitzigen Debatte insgesamt geschuldet. Doch ganz sicher hätten dem Buch Überlegungen zum sozialen Ausgleich, der in der sozialen Marktwirtschaft elementar ist, gutgetan.

Zitelmann, Rainer. 2022. Die 10 Irrtümer der Anti-Kapitalisten. Zur Kritik der Kapitalismuskritik. FinanzBuch Verlag: München.

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