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Steuerschätzung in Zeiten von Rezession und Inflation – Einhalten der Schuldenbremse 2023 wird für den Bund leichter

Trotz einer absehbaren Rezession, die sich auch in der Prognose der Bundesregierung vom Herbst wiederfinden lässt, und diverser Steuersenkungen werden nach der Vorausschau des Arbeitskreises Steuerschätzungen vom Oktober 2022 die Steuereinnahmen im Jahr 2023 nicht nur nicht sinken, sondern kräftig zulegen und höher liegen als noch im Frühjahr erwartet.

Für den Bund wird mit rund 370 Mrd. Euro nach 365 Mrd. Euro im Frühjahr gerechnet und für den Gesamtstaat mit 937 Mrd. Euro nach 928 Mrd. Euro. Für die Folgejahre werden dann deutliche Mehreinnahmen erwartet (Abbildung 1). Die erwarteten Mehreinnahmen sind dadurch gemindert, dass im Herbst nun die Auswirkungen mehrerer Gesetze berücksichtigt werden; unter anderem das Steuerentlastungsgesetz, das mit der Energiepreispauschale im Jahr 2022 besonders zu Buche schlägt, die vierten Corona-Steuerhilfen und die Umsatzsteuersenkung für Gas. Mindereinnahmen durch das Inflationsausgleichsgesetz und einige andere derzeit im Gesetzgebungsprozess befindliche Maßnahmen sind allerdings nicht in den Schätzergebnissen berücksichtigt.

In der Summe dürften die Steuereinnahmen durch die neu eingerechneten Rechtsänderungen im Jahr 2022 um satte 24 Mrd. Euro niedriger liegen, was die leichte Abwärtsrevision deutlich relativiert. Das Plus für das Jahr 2023 wäre ohne den Einfluss der Rechtsänderungen fast 20 Mrd. Euro höher (für den Bund allein rund 9 Mrd. Euro). In den Folgejahren sind die Effekte der Rechtsänderungen zwar auch durchgängig mit Mindereinnahmen verbunden, aber deutlich geringer als in den Jahren 2022 und 2023, weil Energiepreispauschale und Umsatzsteuersenkung nur vorübergehend wirken.

Abbildung 1

Unterm Strich wird die Ertragslage des Staates im Herbst also deutlich besser eingeschätzt, obwohl die Konjunkturprognose runterrevidiert wurde. Der Grund für das Auseinanderlaufen von Aktivitäts- und Steuereinnahmeerwartungen ist bei der Inflationsentwicklung zu suchen. Deutlich wird das Auseinanderlaufen in der Darstellung der Prognoserevisionen für das nominale Bruttoinlandsprodukt, das im weitesten Sinne die Bemessungsgrundlage der Besteuerung liefert, und das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt, das zur Beurteilung der Konjunktur bzw. Aktivität herangezogen wird (Abbildung 2). Zwar war bereits in der Frühjahrsprognose ein deutlicher Preisanstieg vorgesehen, doch fiel er schwächer aus und ebbte früher ab, als es nun erwartet wird.

Dabei profitiert der Staat nicht grundsätzlich davon, wenn die Verbraucherpreise steigen. Die Umsatzsteuer steigt, wie der Name schon sagt, mit den Umsätzen und nicht mit den Preisen. Doch geht die Inflation nicht nur auf die besonders krass gestiegenen Importpreise für Energierohstoffe, die zu höheren Einkommen im Ausland führen, zurück, sondern auch auf heimische Komponenten. Die Pro-Kopf-Löhne steigen im Jahr 2022 und 2023 laut Prognose im historischen Vergleich deutlich. Die Preisindizes für die heimische Wertschöpfung liegen merklich über der Marke von 2 Prozent und wurden in der Herbstprognose kräftig nach oben revidiert.

„So kommt es, dass trotz Rezession und sinkender Realeinkommen der Staat ein klares Plus bei den Einnahmen erwarten kann.“

Da die heimische Inflation sich nicht nur in höheren Preisen, sondern auch in höheren Einkommen niederschlägt, sorgt dies für höhere Bemessungsgrundlagen bei Steuern und Beiträgen. Die Verluste, die nun in realer Rechnung – also bei der Aktivität – erwartet werden, werden durch steigende Preise in der Prognose somit mehr als wettgemacht werden. Das nominale Bruttoinlandsprodukt wurde somit revidiert. Zugleich sinkt die Sparquote – mehr Einkommen wird konsumiert und unterliegt den Verbrauchsteuern. So kommt es, dass trotz Rezession und sinkender Realeinkommen der Staat ein klares Plus bei den Einnahmen erwarten kann.

Abbildung 2

Natürlich ist die Prognose von großer Unsicherheit begleitet – doch bilden die Zahlen nun die Grundlage für die Haushaltsberatungen des Bundes und wohl auch in einigen Ländern. Für das Ermessen möglicher Ausgabenspielräume unter der Schuldenbremse ist allerdings zusätzlich die Konjunkturbereinigung zu berücksichtigen. Und hier dominiert nun die Einschätzung der Aktivität und nicht der nominalen Größen. Die sogenannte Produktionslücke, auf der der Bund die Konjunkturbereinigung des Haushalts basiert, wird für das Jahr 2023 nun negativ eingeschätzt, was laut Maßgabe der Schuldenbremse eine zusätzliche Kreditaufnahme rechtfertigt. Anstatt aus konjunkturellen Gründen im Jahr die Nettokreditaufnahme um 2,9 Mrd. Euro zu reduzieren, dürfen nun in Reaktion auf die Rezession zusätzlich 15,3 Mrd. Euro Kredite aufgenommen werden.

Steuerschätzung und Potenzialschätzung zusammen liefern somit dem Bund im Herbst fast 30 Mrd. Euro mehr Spielraum unter der Schuldenbremse als im Frühjahr erwartet. Davon sind allerdings bereits 8,5 Mrd. Euro durch beschlossene Steuerrechtsänderungen vergeben, und weitere Steuerrechtsänderungen im Milliardenbereich, wie z.B. das Inflationsausgleichsgesetz, stehen an. Hinzu kommen diverse zusätzliche Ausgaben, die mit den diversen Entlastungspaketen auf den Weg gebracht wurden.

Unterm Strich bieten die Ergebnisse der Herbstprojektion und der Oktobersteuerschätzung somit für den Bund zwar nicht die Möglichkeit, zusätzlich umfangreiche Mehrausgaben auf den Weg zu bringen, doch dürfte das Einhalten der Schuldenbremse 2023 mit den nun vorliegenden Zahlen leichter fallen und sehr wahrscheinlich werden, da im Vergleich zu bestehenden Planungen kaum noch Anpassungsdruck besteht. Dass dies freilich nur möglich wird, weil die Gaspreisbremse mittels eines noch im Jahr 2022, in dem die Notlage gilt, zu befüllenden Sondervermögens und damit nicht aus Mitteln des Kernhaushalts 2023 finanziert wird, sollte ebenso erwähnt werden, wie die fast 50 Mrd. Euro Rücklagen sowie die Mittel der bereits bestehenden Sondervermögen (z.B. Klima- und Transformationsfonds und Bundeswehr), die dem Bund für das kommende Jahr zur Verfügung stehen.

Die Freude über die revidierten Einnahmeerwartungen (und die Revision der Konjunkturkomponente) ist bei den Ländern hingegen nicht bei allen gleichermaßen vorhanden. Es kommt hier sehr auf die Details der Haushaltsplanung und Konjunkturbereinigung an, die von Land zu Land verschieden sind. Einige Länder fixieren die „strukturellen“ Steuereinnahmen für das kommende Haushaltsjahr bereits im Frühjahr. Sollten die Einnahmen in den folgenden Schätzungen anders eingeschätzt werden oder sich im Vollzug anders ergeben, wird dies als Folge konjunktureller Schwankungen angesehen. Mindereinnahmen unterhalb des „strukturellen“ Pfads dürfen dann per Kredit ausgeglichen werden, Mehreinnahmen hingegen müssen einbehalten werden. Die frühe Festlegung soll die Planbarkeit erhöhen, doch führt es aktuell dazu, dass diese Länder nichts von den zusätzlich in Aussicht gestellten Einnahmen im Jahr 2023 ausgeben dürfen. Effekte von Steuerrechtsänderungen werden hingegen typischerweise angerechnet. Somit haben sich mit den neuen Steuervorhaben die Einnahmeperspektiven merklich verschlechtert.

Einige Länder führen allerdings gar kein Konjunkturbereinigungsverfahren durch oder überlegen, von bisherigen Verfahren angesichts der aktuellen Revision abzuweichen. Insgesamt erklärt dies aber vielleicht, warum diverse Länder derzeit über eine mögliche Notlage für das Jahr 2023 diskutieren, während der Bund zur Schuldenbremse im Regelbetrieb zurückkehren möchte.


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