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Die Gerechtigkeitsfalle

In Hannover ließ sich jüngst beobachten, wie irrational das politische Establishment in Deutschland agiert. Auf den Parteitagen der Grünen, der Christdemokraten und der Sozialdemokraten wurden programmatische Festlegungen beschlossen, die fernab der finanzpolitischen Realität liegen.

Deutschland ist schon jetzt im Wahlkampf-Modus. Die Grünen legten sich in der Niedersachsenmetropole auf eine steuerfinanzierte Garantierente fest, versprechen stattliche gesetzliche Mindestlöhne und eine deutliche Erhöhung der Hartz IV-Regelsätze. Allein die Regelsatzerhöhung um 50 Euro pro Monat führt im Ergebnis nach Berechnungen der Bundesarbeitsagentur zu rund 1,2 Millionen neuen Anspruchsberechtigten – mit Kosten von fast 8 Milliarden Euro jährlich.

Auch die Sozialdemokraten intonierten das Thema soziale Gerechtigkeit auf bewährte Weise: Gesetzlicher Mindestlohn, Aussetzung der Rente mit 67 im Falle eines Wahlsiegs, Rücknahme der Niveauabsenkung in der Rentenversicherung und Aufstockung der Rentenansprüche von Geringverdienern. Und weil das alles jährlich Dutzende von Milliarden Euro zusätzlich kosten würde, offerieren die Sozialdemokraten – wie übrigens auch die Grünen – noch ein Feuerwerk von Steuererhöhungen.

Die Christdemokraten stimmten für ein teures Rentenkonzept das einem innerparteilichen Kuhhandel geschuldet ist. Die Frauenunion hatte bereits auf dem letztjährigen Parteitag als Kompensation für ihre Zustimmung zum inzwischen beschlossenen Betreuungsgeld verlangt, die Kindererziehungszeiten für die Eltern von vor 1992 geborenen Kindern in der Rente auf das heutige Niveau anzuheben. Jetzt beschloss der Parteitag den Einstieg in diese Angleichung noch in dieser Legislaturperiode – aus Gründen der Gleichbehandlung und Gerechtigkeit! Die Kosten spielten in der Debatte so gut wie keine Rolle, obwohl eine komplette Umsetzung dieser Forderung pro Jahr mit 20 (!) Milliarden Euro veranschlagt wird.

Mit Sparappellen und Mäßigungsbotschaften glauben deutsche Politiker bei der eigenen Bevölkerung nur dann punkten zu können, wenn sie den südeuropäischen Euro-Mitgliedsstaaten harte Sparauflagen verordnen. Ähnliche Botschaften in der eigenen Zuständigkeit vermisse ich seit vielen Jahren. Anders lässt sich kaum erklären, warum in den ökonomisch sehr guten Jahren 2010 und 2011 statt Haushaltsüberschüssen hohe Defizite  zu verzeichnen waren.

Gesellschaftspolitisch steckt unser Land in einer fatalen Gerechtigkeitsfalle. Denn für eine vermeintlich gerechte Politik in der Gegenwart werden Kredite zu Lasten der nächsten Generation aufgenommen, die deren Gestaltungsspielräume gegen Null tendieren lassen. Die aktuelle Malaise der öffentlichen Finanzen ist Folge dieser seit Jahrzehnten praktizierten Lastenverschiebung. Investitionen in Infrastruktur und Bildung sinken, die Verkehrsinfrastruktur und die Gebäudesubstanz öffentlicher Bauten verkommt, weil das Geld für konsumtive Leistungen – Pensionen, Renten, soziale Leistungen aller Art – aufgewendet werden muss. Doch trotz dieser unbestrittenen Bestandsaufnahme haben die politischen Parteien im Kampf um die Macht nur eines im Sinn: die wahlentscheidende Gruppe der Rentner und Pensionäre soll nach der absehbaren Wahlkampfagenda 2013 mit Leistungsausweitungen statt mit notwendigen Kürzungen bei Laune gehalten werden. Das ist verantwortungslos!