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Westen wach auf!

Dass der Westen mit seinem Lebensmodell in der Krise steckt, ist schon länger ausgemachte Sache. Da helfen weder ein paar politische Schönheitsoperationen noch großzügig verordnete Finanzspritzen – der Westen muss sich endlich neu erfinden, fordert jetzt auch Udo di Fabio. Ökonomische, wissenschaftliche, technische und militärische Kraft kann sich auf Dauer nur entfalten, wenn sie auf gemeinsamen sittlichen und ideellen Werten beruht. Daran mangelt es dem Westen inzwischen jedoch erheblich. Udo di Fabio: Schwankender Westen – wie sich ein Gesellschaftsmodell neu erfinden muss, C.H. Beck, München 2015

DiUdo di Fabio: Schwankender Westen – wie sich ein Gesellschaftsmodell neu erfinden muss, C.H. Beck, München 2015e Welt um uns herum taumelt. Viele sorgen sich. Flüchtlingen in ganz Europa, Euro- und Schuldenkrise, Terrorismus, Bedrohung durch den Islamismus, Rechts-Tendenzen in manchen EU-Ländern wie Ungarn oder Frankreich – die Liste kritischer Punkte ist lang. Zukunftsangst breitet sich aus. Und trotzdem tun wir so, als ob das Lied vom freien Wunderland Westen ewig währt: „Die Magie von Markt und Wohlstand, persönlicher Freiheit und demokratischer Selbstbestimmung wirkt ungebrochen“, schreibt Udo di Fabio. Als Autor des nun erschienenen Buches „Schwankender Westen – wie sich ein Gesellschaftsmodell neu erfinden muss“ sieht er schon länger das Morbide hinter der leuchtenden Fassade der westlichen Welt durchschimmern: Die Deregulierung der internationalen Finanzwirtschaft und die hohe Staatsverschuldung haben gravierende Strukturprobleme hervorgebracht, sagt er. Expansive Geldpolitik und Nullzinsstrategie beschädigen die Institution des Privateigentums. Die soziale Markwirtschaft degeneriert mehr und mehr zu einer politisch gelenkten Marktwirtschaft.

Damit das westliche Modell überleben kann, fordert der Autor, die Grundlagen unserer Wertgemeinschaft neu zu vermessen.

Fehlprogrammiertes Europa und Amerika

Zwölf Jahre war der Autor Bundesverfassungsrichter in Karlsruhe. Mit Charme und druckreifem Sprechen überzeugte di Fabio bisher vor allem bei seinen Vorträgen. Dieses Mal ist ihm auf 270 Seiten ein intelligenter Essay in Druckformat gelungen, in dem er die wichtigsten geschichtlichen Einflüsse (vor allem der Renaissance und Aufklärung) und die Stärken Europas neu auszuloten versucht. Di Fabio ist sich sicher: Ökonomische, wissenschaftliche, technische und militärische Kraft kann sich auf Dauer nur entfalten, wenn sie auf gemeinsamen sittlichen und ideellen Werten beruht. Daran mangelt es dem Westen heute: „Vieles deutet sogar darauf hin, dass Europa und Nordamerika intellektuell fehlprogrammiert sind, dass die einstmals so kraftvollen selbstexpansiven Tugenden der Persönlichkeitsentfaltung nicht mehr hinreichend gepflegt, dass ihre durchdachten Institutionen vernachlässigt werden, die Alltagskultur sich vom Identitätsfundament abgekoppelt und deformiert zeigt.“

Di Fabios Fragen an die Politik und Gesellschaft lauten: Welche Bildungsinhalte, welche Erziehungsideale, welche sozialen und fachlichen Kompetenzen sind im 21. Jahrhundert noch wichtig? Was sind unsere Maßstäbe?

Soziale Marktwirtschaft contra gelenkte Marktwirtschaft

Di Fabio betont die Notwendigkeit von Normen für eine funktionierende Gesellschaft. Er sieht die persönliche Freiheit als Grundelement eines normativen Gesellschaftsentwurfs. Er macht den Erfolg einer Demokratie abhängt vom gut geordneten Markt und trennt fein säuberlich die „soziale Marktwirtschaft“ mit ihrer Offenheit für fairen Tausch und funktionierendem Wettbewerb von der „gelenkten Marktwirtschaft“, die Wirtschaft nach politischen Vorgaben verordnet. Genau dieses politisch beeinflusste Wirtschaftssystem bedeute letztlich eine bedrohliche Entwicklung hin zum „demokratischen Paternalismus“.

Auch wenn manches in di Fabios Buch so klingt, wie der letzte gute gemeinte Satz des Kapitäns vor der Bruchlandung – di Fabio ist alles andere als ein Zyniker. Der Westen ist für di Fabio nach wie vor das Ordnungsmodell für Freiheit und Wohlstand. Der Autor plädiert daher sehr energisch für „den Aufbau und die Bewahrung vernünftiger Gesellschaftsordnungen und bei uns um die Integration von Einwanderern in eine Arbeitsgesellschaft“. Beides, so meint der Autor wird etwas kosten, sei aber eine langfristig wirksame Investition. So bleibt für den Leser in jedem Fall die Erkenntnis: Auch wenn das westliche Modell schwächelt, „es ist weltweit der einzig vernünftige Weg zu einer menschenwürdigen Zukunft“.

Eine beruhigende Botschaft – und das nicht nur zur Winterszeit. Dass der Westen natürlich mehr oder weniger noch überzeugen kann, mag auch einfach nur daran liegen, dass es weltweit keine wirklichen Systemkonkurrenten gibt – nicht in China, Indien oder Russland.

Fazit

Ein lesenswertes Buch – nicht nur für die Merkels oder Gabriels dieser Republik, sondern für alle, die das Wertesystem des Westens einmal intensiv sortiert bekommen möchten. Di Fabios Ton ist unaufgeregt, klug und verständlich. Man liest ihn gern. Manchmal wünschte man sich allerdings ein wenig mehr Feuer in den Thesen. Auch einem Ex-Richter stünde dies durchaus gut zu Gesicht.

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