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Mehr Staat ist kein Allheilmittel

Heiner Flassbeck: Die Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts, München 2010. Rezension: Heiner Flassbeck: Die Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts, München 2010 Eine Marktwirtschaft fürs 21. Jahrhundert zu entwerfen, damit hat Flassbeck sich wahrlich ein großes Ziel gesteckt. Man kann dem Autor nur Recht geben, die Weltwirtschaft steht vor großen Herausforderungen. Und Flassbeck ist gewillt, zu allen drängenden ökonomischen, sozialen und ökologischen Fragen unserer Zeit kritisch Stellung zu nehmen. Soweit so gut. Leider entpuppt sich die dann dargebotene vermeintlich neue Idee als ein Rückgriff in die keynesianischen Werkzeugkiste der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts: Permanente staatliche Einwirkung auf den wirtschaftlichen Verlauf – kurz Globalsteuerung. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ohne staatliche Hilfsmaßnahmen wäre die größte Finanz- und Wirtschaftskrise seit der Großen Depression mit größter anzunehmender Wahrscheinlichkeit weitaus weniger „glimpflich“ abgelaufen. Zur Wahrheit gehört aber ebenso, dass der Staat vorher tatkräftig an dem Zustandekommen dieser Krise mitgewirkt hat. Erst durch die unsolide Haushaltsführung konnten Staaten zum Objekt von Spekulanten werden. Auch ist die „Schuldenkrise“ nicht das primäre Ergebnis von Spekulation oder mit den Worten des Autors: „Weil der Staat glaubte, für die Zocker an den Finanzmärkten einstehen zu müssen, …“. Der überwiegende Teil dieser Schulden stammt aus der Vorkrisenzeit. In Deutschland immerhin rund 1,5 Billionen Euro. Vor diesem Hintergrund erscheint der den Autor so irritierende Beschluss der Großen Koalition, gerade inmitten dieser großen Krise eine Schuldenbremse einzuführen, nicht abwegig, sondern konsequent. Geht es hier doch nicht darum, dem Staat den nötigen Handlungsspielraum für Notsituationen zu nehmen. Ganz im Gegenteil durch die Verpflichtung zu einer soliden Haushaltsführung in „Normalzeiten“ soll dieser eben erst geschaffen werden. Denn gegenwärtig ist Deutschland mit einer sich in diesem Jahr auf 60 Milliarden Euro belaufenden Belastung für Zinszahlungen für die nächste Krise denkbar schlecht vorbereitet.

Grundsätzlich fordert die Einstellung von Flassbeck zur Staatsverschuldung zum Widerspruch auf, wenn er lapidar schreibt: „Der Staat kann darüber hinaus auch auf das Vermögen und das Einkommen seiner Bürger zurückgreifen und dadurch sozusagen sein eigenes Vermögen erhöhen“. Sicherlich kann der Staat die Steuer drastisch erhöhen. Aber mit der steigenden Steuerbelastung werden auch die Bestrebungen der Steuerzahler zunehmen, sich diesem staatlichen Zugriff zu erwähren. Schwarzarbeit, Steuerhinterziehung Kapitalflucht werden zunehmen. Leistungsträger werden abwandern. Allesamt bereits heute schon ernstzunehmende Probleme.

In dieses Argumentationsschema passt dann auch der Hinweis des Autors, dass Staaten aus einem weiteren Grund nicht pleite gehen können: „Das aber ist das unerhörte Privileg von Staaten, sie können ihr eigenes Geld drucken!“. Selbstverständlich steht einem Staat, der sich in Zahlungsschwierigkeiten befindet, grundsätzlich die Option offen, einfach die Druckerpresse anzuwerfen. Dass dies jedoch kein Ausweg aus der Schuldenkrise, sondern letztendlich krisenverschärfend wirkt, mussten gerade die Deutschen während der Hyperinflation in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts leidvoll erfahren. Folglich ist die als „neoliberales Dogma“ kritisierte „scharfe Trennung von Fiskus und Zentralbank, die berühmte Unabhängigkeit der Zentralbank“ schlicht das Ergebnis historischer Erfahrungen.

Skeptisch gegenüber den Marktergebnissen fordert der Autor aber auch in vielen anderen Bereichen – ob Lohn, Wechselkurs oder Zins – ein verstärktes Engagement des Staates, um die durchgehend als „falsch“ titulierten Resultate des Marktes zu korrigieren. Leider bleibt er dabei die Antwort schuldig, wie dies praktisch umgesetzt werden soll. Wer die Tarifautonomie aufhebt und den Staat ermächtig, bei der Findung des „richtigen“ Lohns mitzuwirken, sollte zumindest die Frage thematisieren: Wie soll verhindert werden, dass sich die Parteien im Wahlkampf nicht mit ihren Versprechen bezüglich des künftigen Lohnniveaus überbieten? Und nicht weniger anspruchsvoll dürfte sich die Suche nach dem „richtigen“ Wechselkurs erweisen, wie die Debatten beim G-20-Gipfel in Südkorea gezeigt haben.


Heiner Flassbeck arbeitet seit 2000 bei den Vereinten Nationen in Genf und ist dort als Direktor zuständig für die Divisionen Globalisierung und Entwicklung.