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Der Unbiegsame

Steinbrück Unterm Strich 1 Buchkritik: Peer Steinbrück: Unterm Strich, Hamburg 2010 Steinbrückfans sollten es lesen; diejenigen, die mehr über die Geschehnisse der Finanzkrise wissen wollen, auch; Anhänger zum Beispiel der amerikanischen Tea-Party-Bewegung lieber nicht. Die gute Nachricht vorweg: Peer Steinbrück hat das Buch tatsächlich selbst geschrieben. Wort für Wort – und nicht wie Menschen seines Genres üblicherweise von einem Ghostwriter schreiben lassen. Steinbrück schreibt klar, gestochen, so scharf wie er denkt und manchmal so spitz wie das „s“, dass ihm beizeiten über seinen norddeutschen Lippen springt. Insofern – Kompliment an diesen Autor. Sein „Unterm Strich“ soll weder ein Erinnerungsbuch mit autobiographischen Zügen sein, noch den Anspruch auf Wahrheit erfüllen. „Nur ein Idiot glaubt, dass er über sich die Wahrheit schreiben kann“, zitiert Steinbrück den Schriftsteller Eric Ambler. Nun ja, was ist schon Wahrheit? Bringt es den Leser auf die Spur der Wahrheit, wenn ihm subjektiv gefärbte An- und Einsichten eines ehemaligen Finanzministers präsentiert werden, der es sich durchaus nicht nehmen lässt, den ehemaligen Kollegen rechts wie links in gedruckter Form kleine, unauffällige Tritte zu verpassen?

Wer das Buch kauft, hat zunächst einmal Interesse an Steinbrück. Und wer es tatsächlich durchliest, bekommt ebenso hoch interessante wie sehr menschliche Einsichten eines ranghohen Politikers, der in einer Phase der Weltgeschichte Finanzminister sein musste, die an Dramatik kaum zu toppen war. „Der 16. September 2008“, der Tag, nachdem die Investmentbank Lehmann Brothers zusammengebrochen war, „war einer der dramatischsten Tage in meinem Politikerleben“, schreibt Steinbrück. „Es gab Stimmen, die vom Ende des Kapitalismus sprachen.“ Die Finanzkrise war ein klarer Fall von Managementversagen, ist Steinbrück überzeugt. Und er hat recht.

Doch es reicht nicht. Was ist mit den anderen? Zum Beispiel den ausrangierten Politikern in den Vorständen der deutschen Landesbanken? Vielleicht liegt es daran, dass Steinbrück die eigene Gilde und sich selbst nicht zu hart ran nehmen will und daher eher im Nebensatz bekennt, dass auch Politiker zu dieser Krise beigetragen haben – nämlich die Regulierer, die nicht reguliert haben: Die griechischen Politiker haben Haushaltszahlen gefälscht, und die Verantwortlichen in der Europäischen Union, also auch deutsche Politiker, haben zugesehen.

 Warum der sonst so energische Steinbrück an dieser Stelle nicht auch Strafen für Politiker fordert, ist schade. Wer als Kaufmann eine falsche Bilanz abgibt, kommt in den Knast. Unverhohlen äußert Steinbrück dennoch Kritik an der EU – „ihre Arbeitsfähigkeit muss bereits jetzt bezweifelt werden“. Versteckte Häme an der aktuellen „Traumregierung“ kann er auch nicht lassen und Kassandrarufe in Bezug auf Deutschlands Zukunft schon gar nicht: „Wer traut sich schon, laut die Frage zu stellen, wie es eigentlich um die Innovationsfähigkeit oder, in platten ökonomischen Sinne, um die Produktivität einer deutlich älter werdenden Gesellschaft bestellt ist?“ 

Ihn  deswegen aber gleich wieder als „Besserwisser“ abstempeln zu wollen, wie manche Kritiker es aufgrund seiner intelligenten und scharf pointierten Denkweise machen, wäre angesichts seines engagierten und reflexionsreichen Buchwerkes, einfach nur billig. Den Mahner Steinbrück, so zeigt es die Lektüre, sollte man ernst nehmen, denn er stellt unbequeme Fragen, die für Politiker, die morgen die Wahl gewinnen wollen, nicht populär sind. Der heutigen, bestenfalls durchschnittlichen Politikergeneration wirft er sogar vor, wegen und für Wählerfang und Wahlerfolg zu „biegsam“ und „windschlüpfrig“ zu sein.

Steinbrück gehört eher zu den Unbiegsamen. Bei seinen Fragen geht es ihm letztlich um nichts anderes als um die Existenz seines Landes, Europas und der globalisierten Welt. Ganz neu sind seine Einsichten nicht: Die Zukunft Europas sei angesichts boomender Länder wie China in Gefahr. Doch ob Europa „überhaupt noch in der höchsten Gewichtsklasse mithalten kann“, bezweifelt er schlichtweg. Den Sozialstaat sieht er bei der heutigen Entwicklung vor dem Kollaps, seine Rolle als Retter in der Not sei überholt. Steinbrück plädiert vehement, den Sozialstaat zu stärken – vor allem aus Steuermitteln.

Zudem gebe es eine heillose Verstrickung zwischen Politik und Medien, beklagenswert und gleichzeitig notwendig. Der Vertrauensverlust sei groß. Selbst die SPD darf sich einiges von seinem Patron anhören. Steinbrück vermisst bei seiner Partei Selbstbewusstsein und sozialpolitische Kompetenz und beklagt die  Zerstrittenheit. „Es gibt eine Schicht von Parteiaktivisten, die einem intoleranten Jakobinismus anhängen und Meinungsoffenheit bereits für einen Verrat an den Prinzipien halten“, erklärt Steinbrück.

Natürlich lässt es sich als Privatier vortrefflich kritisieren. Doch Steinbrück wäre nicht so weit gekommen, setzte er nicht auf Dialog und Anerkennung. So erklärt er freilich auch, dass er in über 40 Jahren Parteimitgliedschaft, in 16 Jahren als sozialdemokratischer Regierungsvertreter in verschiedenen Kabinetten und in vier Jahren als Stellvertretender Vorsitzender der SPD auch mit „handfesten“, „sympathisch verrückten“, „tüchtigen“, „verlässlichen“ und „unermüdlichen“ Parteikollegen zusammengearbeitet habe. Ein versöhnliches Wort zum Schluss. Dennoch, Steinbrücks Schelte sitzt. Dem Leser bleibt das schale Gefühl, dass überall in Politik und Wirtschaft unfähiges Personal lauert.

Steinbrücks „Unterm Strich“ ist ein Buch voller Ideale – auch verlorener. Wer Steinbrücks klares Argumentieren liebt, sollte wenigstens einmal hineinlesen. Wer sich als junger Mensch für Politik begeistert, auch. Wer jedoch dem Ideal des „schwachen Staates“ anhängt oder erwartet, wie sich die Politik des nächsten Jahrzehnts entwickelt, ist hier nicht gut aufgehoben. So fehlt zum Beispiel dem Buch leider ein vertiefender Schwerpunkt zum Thema rund um die Einbeziehung des Bürgers und des bürgerlichen Engagements in die Politik – wie sie beispielsweise gerade in Stuttgart 21 exerziert wird.

Ob Steinbrück selbst noch einmal ein hohes Amt anstrebt, ist dem Buch nicht zu entnehmen. Vielleicht eher die Rolle eines zweiten Helmut Schmidts – ohne jedoch jemals Kanzler (gewesen) zu sein. Auch nicht schlecht.